II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 654

Me
22. Der junge „dardus
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Rundschau.
Rundschau.
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orten, das
Das weite Land ist unsere Seele; die Liebe ist —
Dichter die Personen und Ereignisse. Eine echte
gzen an.
oder eigentlich die Frauen sind — die Hauptsache,
Tragikomödie haben wir vor uns. Wenn auch Pro¬
t, ist so
in der Pause zwischen zweien baut man Fabriken,
bleme des Einsamen Weges und des Zwischenspieles
elei ist.
schreibt Symphonien usw. Das eigene Eheweib
wieder abgewandelt werden, wenn auch der Dichter
kann
darf nicht Treue verlangen und braucht sie auch nicht
Albertus Rohn wieder erscheint, so ist es doch ein
en Ge¬
halten — —
das sind die Voraussetzungen und
ganz anderes, ein ganz neues Drama.
k, den
Grundsätze des Fabrikanten Hofreiter. Mehr noch.
Das Komische und Tragische sind nicht nur durch
Aber
Ihm graut vor der Tugend seiner Frau, die schon
Situationen und — sei mir das Wort erlaubt —
„selt¬
unglücklich liebende Männer in den Tod getrieben
Personalunion verbunden, sondern beide Elemente
hat. (Eben hat sich einer erschossen, ein anderer ist
entspringen denselben Quellen und zwar treten sie
ssida
abgestürzt.)
nicht nacheinander auf, sondern gleichzeitig. Das
Drum und weil er vom neuen Bau der Fabrik
Komische von Liebesdingen hat Schnitzler nie ganz
überarbeitet ist und weil ein junges Mädchen lockt,
legt,
außeracht gelassen, im Reigen geradezu ausgeschöpft.
die der
geht er in die Dolomiten, wo er und das Mädchen
Im weiten Land ist es mit dem Tragischen untrenn¬
hrten
einander verführen. Er bricht das Abenteuer ab,
bar verquickt.
geiste¬
kehrt heim und ertappt den Marinefähnrich, den
jungen Herrn v. Aigner — der alte ist sein Freund¬
Ein¬
Hofreiters Liebesleben, das der Ehepaare Aigner
F
rende
bei seiner Frau, schläft aber ruhig auf der Wiese.
und Natter ist recht komisch und zugleich recht tragisch.
nsbedürf¬
Am nächsten Tag hat er zuerst ein Renkontre mit
Unser Leben ist ja — ehrlich! — heute nicht nur in
weg, bis
dem Mann seiner früheren Geliebten, der verleum¬
der Liebe und nicht nur in dem von Schnitzler her¬
id Meister
derische Sachen über ihn in die Welt setzt, er kann
ausgegriffenen Wiener Kreise ebenso tragisch wie
r hinkende
ihm aber nicht beikommen, da der feine Mann ihm
komisch. Auch der Übermensch Hofreiter — dem
androht, die Geschichte mit dem Fähnrich zu erzählen;
tenstück zu
„Meister“ von Hermann Bahr verwandt —, der
also, „man will doch nicht der Hopf sein,“ fordert er
über dem Leben zu stehen scheint, die Leidenschaften
den Fähnrich, verspricht aber seiner Frau, daß er
ses Valois.
und Moralwerte überwunden hat, ist stark tragisch
ihm nichts tun werde. Wie er dann dem jungen
angehaucht. Abgesehen davon, daß er eine moderne
g sind von
Mann gegenüber steht, reizt ihn diese „freche In¬
t.
Schießkomödie spielen will und dann doch ge¬
Da der
gend“ im Ange des Gegners, das ihm auch verrät,
nidung und
zwungen wird, den Gegner zu töten, abgesehen
daß er nicht auf Schonung, auf „Komödie“ zu rechnen
davon, daß er das Altern an sich merken muß — ist
r erscheint
es höchst tragisch (und doch auch komisch), daß er die
hat und — er schießt den Fähnrich nieder. Zuhause
n und die
trifft er die Mutter des Gefallenen, muß der Ahnungs¬
Mutter seines Opfers begrüßen muß (das ist Situa¬
ih, die von
losen die Hand geben und spricht sich dann mit seiner
tion), ist es aber besonders tragisch, daß er, der allein
ktreuen der
Frau aus, die ihn verabscheut und mit dem Mädchen,
sein will, wimmert beim Rufe seines Kindes, wimmert
ösende Tat.
das ihn bewundert und bei ihm bleiben will. Er aber
und ihm entgegenstürzt. Dieser Schluß sollte doch
spüren wir
weist sie zurück, er will niemandem angehören, allein
auch die Moralisten versöhnen; jedenfalls gewinnt
gehen, bald einmal würde er ja zusammenbrechen.
Hofreiter dadurch unsere Sympathie, die wir ihm
Vorwürfe
Da ruft ihn vom Garten her sein Bub, der dreizehn¬
ja auch vorher nicht versagen können, da er ein auf¬
daß alle
jährige Percy, der aus England auf Ferien kommt,
richtiger und „netter“ Kerl ist. Das Wienerische gibt
ischen Be¬
der Vater wimmert auf und mit dem Rufe: „Percy,
überhaupt dem Ganzen einen liebenswürdigen
„modern“
Schimmer.
ich komme!“ stürzt er dem Sohne entgegen. Es ist
n Studen¬
wahrlich kein erfreuliches Bild vom sogenannten
Den feinen geistreichen Dialog Schnitzlers kennen
n meinen.
„moralischen“ Standpunkte aus, das uns Schnitzler
wir. Auffallend ist die theatermäßige Belebung
er Unrecht,
entrollt von der „besten“ Wiener Gesellschaft. Aber
durch Nebenfiguren, deren im dritten Akt, in der
hetisch ver¬
es ist ein wahres. Der Dichter steht auch gar nicht
Halle des Dolomitenhotels, eine große Zahl einge¬
in der er
auf der Seite dieser Leute, sonst hätte er nicht dem
führt wird. Unzweifelhaft hat Schnitzler die Wirk¬
einzig anständigen Dr Mauer — die Mediziner sind
lichkeit stärker zum Modell genommen als sonst; daß
dem Arzt Schnitzler immer ein Sprachrohr (auch im
Direktor Aigner nach dem kürzlich verstorbenen
Medardus treten zwei in ähnlicher Mission auf) —
Dr. Cristomanos geformt ist, wurde allgemein be¬
die Verurteilung dieser Halbheit in den Mund ge¬
merkt. Der Aufbau ist nicht straff und der Dichter
legt, der da sagt, wenn schon, dann die unmas¬
ist, wie es Stoff und Form fordern, mehr der
kierte Orgie, nicht aber diese Verlogenheit. Auch ein
Technik der Zustandsschilderungen gefolgt, wobei
Gegenstück stellt er dar im Ehepaar Aigner, das aus
ihm die ersten zwei Akte bedeutend länger gera¬
Liebe auseinanderläuft. Kurz, objektiv, wie es be¬
ten sind und um so breiter wirken als sie nicht so
sonders der Komödiendichter muß, gestaltet der bewegt sind wie die übrigen.