II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 683

22. herjunge Medandus
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Abends keinen Platz finden wird, um den Vater als
„Nathan“ zu sehen.“
Nun ist das wirklich keine Aufschneiderei. Zu
den klassischen Montagen des Deutschen Voltsthea¬
ters ist acht Tage vorher kein Billet zu haben. Wenn
einer von den Klassikern noch am Leben wäre, könnte
er sagen, wie seinerzeit unser liebenswürdiger Lands¬
mann Schnitzer, als man ihn nach der sechzigsten
Aufführung des „Zigeunerbaron“ fragte, wie die
Operette jetzt gespielt wird.
„Mich fragen Sie? Ich konnte bis heute noch
kein Billet erlangen. Ich fürchte, daß ich sterben
werde, ohne mein Wert in Wien gesehen zu haben.“
Telephon 12.801.
Nun hat er es sogar erlebt, seinen „Zigeuner¬
baron“ in der Hofburg zu sehen. Und wie diese Ope¬
reite geht! Man kann sie nicht oft genug aufs Reper¬
„OBSERVER
toire setzen. Immer drei Tage vorher ausverkauft.
Die Fülle von Melodien, die märchenhaft schöne Aus¬
I. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
stattung, die prachtvollen Chöre, dieses einzige Or,
chester — Alles groß und herrlich. Nur die Leistun
Wien, I., Concordiaplatz 4.
gen der Solisten stehen hinter jenen der richtigen
Vertretungen
Operettensänger zurück. So viel schöne Stimmen auch
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
hier aufgeboten werden. Aber das Publikum fragt
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
nicht danach. Man rauft um die Karten. Seit Wochen
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
ist „Der Zigeunerbaron“ das meistgespielte Repertoire¬
Qnellenangabe ohne Gewähr.)
stück der Hofopor und kein Abend hat eine Autoren¬
tantième unter siebenhundet Kronen gebracht.
Ausschnitt aus: Ködeeoster Jourhal
Eine interessante Neuigkeit hat den Wiener
1.1 FEn. mit
Theaterkreisen die Nachricht gebracht, daß Herr Russo,
vom:
der bei der Betheiligung am Johann Strauß=Theater
mit 200,000 Kronen geblutet hat, mit Ablauf der
Saison diese kostspielige Passion aufgibt und aus der
Wiener Ceulissengeschichten
Direktion des genannten Theaters scheidet. Jode neue
(Direktor Brahm in Wien. — Der große Schweiger. —
Operette, die man brachte, sollte der ersehnte Schlager
Einen Zettel auf den Tisch legen. — Der Sohn kann
werden. Aber je länger man eine Operette hier spielte,
den Vater nicht spielen sehen. — Der zukünftige Zigenner¬
umso größer wurde das Defizit. Jetzt wird Leo
baron. — Mit 200,000 Kronen geblutet. — Viktualien
Fall's „Syrene“ gespielt. Charalteristisch für die Zug¬
werden angenommen.)
kraft ist, daß ein Herr, der Sonntag die Abendkasse
verlassen wollte, weil er keinen Sitz für drei Kronen
Direktor Brahm aus Berlin weilte einige Tageserhalten konnte, von der Kassierin zurückgerufen wurde.
hier, um nach Stücken und Darstellern Umschau zu Ueber Veranlassung des hinter ihr stehenden Direk¬
Vhalten. Die Wiener Direktoren gehen zeitwilligk tors Erich Müller bot sie ihm einen Parketsitz, der
nach Berlin, um das Gleiche zu thun. Gewöhnlich das Doppelte kostet, um den Preis von drei
finden die Berliner Direktoren in Wien nichts und Kronen an. So werden in der Großstadt große Ope¬
die Wiener Direktoren kehren resultatlos aus Berlin rettentheater geführt. Bei den reisenden kleinen Trup¬
zurück. Wenigstens, was die Darsteller betrifft. Es
pen, wo Frau Direktor persönlich an der Kasse sitzt,
dreht sich immer um dieselben paar Schauspieler, die
werden solche Geschäfte entrirt. Sie habens gestern
man in die Höhe lizitirt. Die Schauspieler fahren im Kaffeehaus erzählt. Ein Komiker dieses Thea¬
dabei sehr gut und bleiben schließlich im Rahmen ters sagte:
des Theaters, wo sie ihren sicheren Boden haben.
„Weil unsere Direktoren halt an' Gschäftsgeist#
Der Nachwuchs muß immer von außen kommen haben. Nit so hochnasig sein wie andere Direktoren.#
und erzogen werden. Brahm klagt ebenso über den
Bei uns nehmen s’ auch Briefmarken und Viktualien.“
Mangel an Nachwuchs wie die Wiener Theater¬
10. Februar.
leiter. Am Ende sterben die Alten ab und es wird
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doch weiter gespielt. Die Nachrückenden entwickeln
en
sich. Und dieselben Alten, die heute nachdenklich
sagen, daß es keine guten Schauspieler mehr gibt,
denen die Erinnerung die früheren Größen vergoldet,
werden eines Tages kopfschüttelnd hören, daß man
die Jungen von heute als das Ideal der Künstler
preist, die nicht mehr zu erreichen sind.
Direktor Brahm hat sich den „jungen Medar¬
dus“ von Schnitzler angesehen und bei Schnitzler zu
Mittag gegissenl m ist der große Schweiger des
Deutschen Theaters. Es war nicht aus ihm heraus¬
zubringen, wie er über den „jungen Medardus“ denkt.
„So sagen Sie wenigstens“ frug man ihn
beim Souper, „ob Ihnen Schnitzler's Essen oder
Schnitzler's Schauspiel mahr zugesagt hat?“
Brahm lächelt und schweigt. Das ist die Sig¬
natur seiner ganzen Direktionsführung. Er lächelt und
schweigt, oder er ist ernst und schweigt. Seine Mit¬
glieder wissen, daß mit ihm nicht viel zu reden sei.
Wer immer ein Anliegen an ihn hat, heißt es:
„Bitte schriftlich!“ Das hat er mit Baron Dingel¬
stedt gemein, dem einst so berühmten Leiter der
Wiener Hoftheater. Der ließ keinen Schauspieler zu
Worte kommen.
„Bitte“ sagte er immer verbindlich, „einen