II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 682

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Bühne und Welt.
„Der junge Medardus“ leidet an der Ueberhäufung der Motive, an dem zu großen Reich¬
tum der Handlungen, die oftmals nicht zum Dorteil der Arbeit durch — wenn auch sehr hübsches
— Episodenwerk zerrissen werden. Aber gerade die Episoden sind das Wertvollste. In ihnen
offenbart sich der Dramatiker, waltet der Doet, der das Leben in seiner ursprünglichen Kraft und
Gewalt darstellt, mit wenigen Dinselstrichen Menschen von Fleisch und Blut aus den ver¬
schiedensten Sphären und Schichten porträtgetren zeichnet. Nicht sympathisch ist uns die Figur
des haltlosen Medardus, von dem der Dichter selbst sagt: „Gott wollte ihn zum Belden schaffen,
der Lauf der Dinge machte einen Narren aus ihm." Unmittelbar vor der Premiere hat man
eine der schönsten und wirksamsten Stellen gestrichen, die auch viel zum Verständnis des Charakters
der jungen Herzogin von Dalois und des Medardus beiträgt, die zweite Friedhofs=Szene, in der
die Prinzessin den Medardus als Werkzeng ihrer Pläne zum Mörder von Napoleon dingen will.
Es wurde eingangs erwähnt, welche große Summe von Fleiß das Burgtheater für Schnitzlers
dramatische Historie aufgewendet hat. Ein hervorragender Anteil dieses Lobes gebührt der Dar¬
stellung, aus der die kraftvollen urwüchsigen Gestalten der Frau Bleibtren und des Herrn
Valajtr,= die würdevolle Haltung des Herrn Hartmann als Herzog und die edle vornehme¬
Erscheinung des Fräulein Wohlgemuth als Prinzessin hervorragten. Man hat es einstimmig
konstatiert das Burgtheater hatte einen Ehrenabend, und Schnitzler ist und bleibt der bedeutendste
Dromätiker des jungen Oesterreich.
Auf der Bühne im achten Bezirke, walche dem Burgtheater an manchen Vormittagen
Gastfreundschaft zur Abhaltung von Droben Kwährt, wurde die Komödie „Die Duderquaste“.
der jungen Wiener Literaten Ludwig Hipschfeld und Siegfried Geper aufgeführt. Die Autoren.
schreiben nicht, wie man von Anfängern erwartet hätte, ein wienerisches Stück, sie ziehen an
den Seinestrand. Sie stürzen sich dort in den Sündenpfuhl und plätschern vergnügt in trüben
Gewässern. Nur Kokotten laufen auf der Bühne herum, die routinierte, reich erfahrene, und
die noch nicht ganz verdorbene, der immerhin ein ehrliches Gefühl noch aufleben kann. Einen
exotischen Prinzen, für den das Heimatland der vielköpfigen Drnastie keine entsprechende Be¬
schäftigung hat, schickt man in= Ausland auf Reisen. Die befreundeten Regierungen sorgen für ein
interessantes, d. h. den Prinzen sehr langweilendes Programm, das auch Gelegenheit zu Liebes¬
abenteuern enthält. Bei einem solchen verliebt sich eine Kokotte in den Prinzen und will sich
eben darum gerade ihm versagen. Dier Wochen dauert diese platonische Liebe, und da sie dies
zu sein aufgehört hat, verläßt der Prinz auch schon am nächsten Morgen Paris und seine un¬
glückliche Geliebte, die nach dieser schmerzlichen Enttäuschung noch schlechter wird als vordem.
Die Lehre von der sentimental gedachten, aber amüsant erzählten Geschichte: das Spmbol einer
Kokotte ist die Duderquaste, die Schminke. Eine Kokotte darf nicht ehrlich sein, sie darf sich nicht
den Luxus des Gefühlslebens erlauben, Gefühle könnten Tränen erzeugen, und die Schminke
duldet keine Zähren. Die Autoren stecken stark in französischen Dorbildern. Die Arbeit ist eine
hübsche Talentprobe. Die verliebte Kokotte fand in Fräulein Marietta Weber eine prächtige
Darstellerin, deren warmer, inniger Ton frmpathisch berührte.
Auf der andern Bühne des Herrn Jarno, dem Lustspielkbeater, singt und tanzt
wieder Hansi Niese in der lustigen Komödie „Die Jammeipepi“ von Alerander Engel.
Die Titelheldin ist ein immer tränenfeuchtes armes Ding, dessen ewiges Jammern und
Lamentieren beim Dublikum große Heiterkeit auslöst, ein Geschöpf, das all den vielen Registern
des umfangreichen Talentes der Niese reichlich Gelegenheit zur vollsten Entfaltung gibt. Dus
Stück ist also mit Humor, drastischer Komik und witzigen Situationen gespickt. Der Antor schrieb
auch andere gute Rollen, die von Herrn Gustao Maran, dem schönen begabten Fräulein Malva
Rona-und Fräulein Bock charakteristisch gespielt wurden.
Im Theater an der Wien regiert jetzt „Fall Nummer zwei“. Wenige Wochen nach¬
der Premie seiner Operetee „Dus #upgenmädel“ am Carltheater dirigierte Leo Fall im
Theater an der Wien „Die schöne Risette“. Das ist der echte, der rechte Fall, vorwärts¬
strebend, sich verbessernd, allmählich die Höhe erklimmend, auf deren Gipfel ihm die Oper winkt.
Das Buch der Herren A. Willner und Robert Bodanzkr ist gut und reinlich. Es behandelt
die romantische Liebesgeschichte eines schwermütigen Königs, dessen krankes Herz durch die reine
Liebe eines Hirtenmädchens gesund wird, ist sentimental und stellenweise humoristisch. Fall weiß
aus den ihm im Orchester zu Gebote stehenden Mitteln klug und feinsinnig alles zu holen; eine
wunderbare Klangfülle. Das Dorspiel, der größte Teil des ersten Aktes, die Schlußgesänge
und die Ensemblechöre sind fast opernhaft. Glänzend verwertet Fall im Finale des zweiten Aktes.