21. Kontesse Mizz 1oder der Fani lientag
box 26/1
—Turis, Kom. Safl I Tafieisc0, StockHolm, Ste- Pervrewurge
Ourllenangabe ohne Gewühr).
Ausschnitt aus:
HeifEcReS Waffea.
W—. — —
vom:
—6 JANUAR 1909
Theater, Kunst und Literatur.
Deutsches Volkstheater. Der gestrige Abend gehörte
[Artur Schnitzler. Den Abend eröffnete das Schauspiel
„ Liebelei“, dessen Aufführungsrecht Direktor Schleuther
m das Volkstheater abgetreten hat. Wir haben dieses Wert
hriemals für eine dramatische Offenbarung gehalten, aber
vor Jahren hatte es wenigstens noch eine gewisse Frische und
Ursprünglichkeit, die ihm im Lause der Jahre vollständig
KTEL u
□0
n
verloren gegangen sind. Trotz einer Darstellung, die im all¬
ren
— „UBSEhTEn
gemeinen eine sehr befriedigende war und sich die größta
Mühe gab, aus dem Stücke etwas herauszuholen, haben uns
Leeter beörc honz Usterehmen fü-Zeinags-Rsehelte
die zwei errsten Akte mit ihrer Häufung von Banalitäten,
Wien, I., Concordiaplatz 4.
die als der Inbegriff des Verismus gelten sollen, gestern
furchtbar angeödet. Erst der dritte Akt, in dem man wirk¬
Vertretungen
lichen dramatischen Pulsschlag zu spüren vermeint, hat die
in berten. Radspent, Cntere, Chlialunts. Gent Kove¬
trostlose Langweile einigermaßen verscheucht. Die Besetzungg
nagen. London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vo. k.
war im großen und ganzen zu loben. In erster Linie ist
Paris. Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
Fräulein Hannemann zu nennen, die es zuwege brachte,
(Oaelienangabe ohne Gewälg).
der farblosen, schemenhaften Gestalt der Christine Körper
Leben zu geben und die insbesondere zum Schlusse er¬
Ausschnitt aus:
6- 1 19:9
greifende Gefühlstöne anschlug. Herr Kutschera gab den
alten Weiring mit guter Haltung und mit dem besten Be¬
Arhaiter Zeitung, Wien
mühen, sich langsam in die Väterrollen hinüberzuspielen.
vom:
E
Es will ihm merkwürdigerweise nicht recht gelingen, trotz¬
Paremung---eun
dem er in Wirklichkeit schon Vater einer erwachsenen Tochter
ist. Solch sonderbare Gegensätze herrschen oft zwischen der
Welt und den Brettern, die die Welt bedeuten! Die Herren
Theater und Kunst.
Kramer und Edthofer teilten sich in die Rollen der
Deutsches Volkstheater. Gestern übersiedelte die
beiden jungen Leute, die zu dem „süßen Mädel“ aus dem
„Liebelei“ ins Volkstheater, wohin sie gehört. O wie viele
Volke heruntersteigen, wenn sich das Liebesbedürfnis in
Krüglein könnten jetzt am Weghuber=Park mit Volkstränen über
ihnen regt. Herr Kramer war der Repräsentant der leicht¬
das traurige Schicksal der grausam verlassenen Christine Weiring
fertigen Anschauung, die alles nur als eine hübsche Episode
betrachtet, während Herr Edthofer seinen schwerblütigeren
gefüllt werden! Das Volksliedhafte dieses nun schon ein
Freund gab, der alles ernster auffaßt und daher auch ein
bißchen klassisch gewordenen Schauspiels ergreift die Herzen wie
Opfer seiner Leidenschaft wird. In den kleineren Rollen
am ersten Tage und von der Wiener Luft dieses Stückes wird
waren Frau Thaller und Herr Klitsch mit Erfolg
nicht nur geredet. Weichselige Luft umweht alle Gestalten des
tätig. Es brübrigt uns nun noch der Darstellerin der
unverblühten Werkes. Im Volkstheater wurde es nicht genug
Schlager=Mizzi, des Fräuleins Waldow, Erwähnung zu
intim inszeniert. Immer diese endlos lange, nicht zu
tun. Diese junge Dame ist uns schon mehreremal unangenehm
verkleinernde Bühne! Meisterhaft die Mizzi Schlager des
aufgefallen, und zwar durch die Aufdringlichkeit, mit der sie
Fräuleins Charlotte Waldow, echter, g’schnappiger und
aaaar 1o0s
Seite 9
diskreter ist die Rolle nie gegeben worden; Fräulein Hanne¬
mann, anfangs zu herb, im Tragischen aber über
sich auch in kleinen Rollen in den Vordergrund zu schieben
Erwarten stark. Besonders das Angstvolle der letzten Szenen,
trachtet. Sie scheint eine ganz falsche Vorstellung von dem
dieses instinktive „Wittern des Schicksals“ ging tief zu Herzen.
zu haben, was bodenechte Bewohner unserer Stadt unter
Von Herrn Kutschera hatte man den besten Musikus
dem Begriffe „fesch“ verstehen. Wer Frau Senders, die
Fräulein Waldow zu kopieren sucht, als Prototyp des
Weiring erhofft, durch ein bißchen zu viel Weinerlichkeit
Wienerischen ansieht, der wird wahrscheinlich auch mit der
schädigte er sich. Schön war der letzte Augenblick: wie der große
gestrigen Schlager=Mizzi einverstanden gewesen sein.
Mann in einer Ecke ganz klein wird. Herr Edthofer ist
Den Schluß des Abends bildete die einaktige Komödie
eine durchaus unsentimentale Natur, seine Rolle ist der Theodor
„Komtesse Mizzi“ oder „Der Familientag“. Man hat es
Kaiser, den aber Herr Kramer gab, auch recht gut, mit einer
hier mit einer jener Schilderungen des aristokratischen
geistreichen Unterstreichung des jüdischen Untertones der Rolle.
Milieus zu tun, die bei gewissen Autoren so außerordentlich
Dann kam ein ganz neuer Einakter von Schnitzler#
beliebt sind, trotzdem in den Kreisen, die ihnen viel näher
„Komtesse Mizzi oder: Der Familientag“. Der Komödie
stehen, keineswegs bessere Grundsätze tonangebend sind als
schadet (oder nützt) es, daß sie ein ähnliches Thema wie Burck¬
sin manchen Familien unseres Geburtsadels. Der Einakter
hards „Komtesse Clo“ behandelt. Auch hier hat eine Komtesse
ist, das muß man gelten lassen, wenigstens geschickt gemacht.
und es fehlt ihm nicht an heiteren Situationen und witigen
ein uneheliches Kind. Ich finde, daß diese Satiriker
Schlagern. Der Inhalt, der eigentlich weiter nichts ist als die
unserem Hochadel schmeicheln. Wahrscheinlich wären die
Konstatierung der verwandtschaftlichen Beziehungen, zu
Herrenhäusler geistig=sittlich
höher zu qualifizieren,
welchen die verschiedenen Personen des Stückes zueinander
wenn ihre Komtessen
so viel Kinder der Liebe:
stehen, ist so verwickelt, daß er sich in Kürze nicht erzählen
empfingen, wie uns im Volkstheater eingeredet wird. Schnitzlers
läßt. Es sei nur erwähnt, daß Prinz Egon Ravenstein (Herr
Komödie ist unvergleichlich graziöser als Burckhards sackleinener
Kramer) seinen Sohn (Herr Ebthofer), der einem
Schwank. Er wurde im Volkstheater unübertrefflich gespielt,
Verhältnisse mit Komtesse Mizzi Pazmandy (Fräulein
ganz entzückend von Herrn Edthofer, der hier seine be¬
Walafres) entsprossen ist, seinem alten Freunde HHerr
sondere Kraft erwies, Karikaturen behutsam=liebenswürdig zu
Thaller), dem Vater der Komtesse, just an dem Tage
zeichnen. Kräftig konturiert, voll Saft und Behaglichkeit, ein
zuführt, an dem der Graf endgültig von seiner langjährigen
ganz leise magyarisierter Graf Thallers, sehr taktvoll, mit
(„ Freundin“, der Tänzerin Lolo Langhuber (Fran
[Glöckner), Abschied nimmt, da diese im Begriffe steht.
einer von Vorstellung zu Vorstellung steigenden Kunst der
ihr illegitimes Verhältnis mit dem Aristokraten gegen ein
leichtesten Pointierung Fräulein Galafrés. In einer Minute,
legitimes mit einem bürgerlichen Fuhrwerksbesitzer (Herr
mit zehn Worten, errang Herr Lackner einen großen Erfolg;
Lackner) einzutauschen. Zum Schlusse zeigt sich noch ein
auch er ist ein figurenreicher Karikaturist. Herr Kramer war
Ausweg aus diesem Labyrinth, indem Komtesse Mitei,
so fürstlich, als er konnte. Der Abend war mit Beifall und
nachdem sie ihrem letzten Verehrer, einem natürlich gleich¬
Applaus beladen.
falls verheirateten Maler, der ihr Unterricht erteilte, den
Abschied gegeben hat, Neigung zeigt, dem Prinzen, ##m
Vater ihres 17jährigen Sohnes, der alle Anlage zu einem
Tunichtgut hat, ihre Hand zu reichen. Die Darstellung de¬
Finakters war eine glänzende.
Auules. an
—
box 26/1
—Turis, Kom. Safl I Tafieisc0, StockHolm, Ste- Pervrewurge
Ourllenangabe ohne Gewühr).
Ausschnitt aus:
HeifEcReS Waffea.
W—. — —
vom:
—6 JANUAR 1909
Theater, Kunst und Literatur.
Deutsches Volkstheater. Der gestrige Abend gehörte
[Artur Schnitzler. Den Abend eröffnete das Schauspiel
„ Liebelei“, dessen Aufführungsrecht Direktor Schleuther
m das Volkstheater abgetreten hat. Wir haben dieses Wert
hriemals für eine dramatische Offenbarung gehalten, aber
vor Jahren hatte es wenigstens noch eine gewisse Frische und
Ursprünglichkeit, die ihm im Lause der Jahre vollständig
KTEL u
□0
n
verloren gegangen sind. Trotz einer Darstellung, die im all¬
ren
— „UBSEhTEn
gemeinen eine sehr befriedigende war und sich die größta
Mühe gab, aus dem Stücke etwas herauszuholen, haben uns
Leeter beörc honz Usterehmen fü-Zeinags-Rsehelte
die zwei errsten Akte mit ihrer Häufung von Banalitäten,
Wien, I., Concordiaplatz 4.
die als der Inbegriff des Verismus gelten sollen, gestern
furchtbar angeödet. Erst der dritte Akt, in dem man wirk¬
Vertretungen
lichen dramatischen Pulsschlag zu spüren vermeint, hat die
in berten. Radspent, Cntere, Chlialunts. Gent Kove¬
trostlose Langweile einigermaßen verscheucht. Die Besetzungg
nagen. London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vo. k.
war im großen und ganzen zu loben. In erster Linie ist
Paris. Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
Fräulein Hannemann zu nennen, die es zuwege brachte,
(Oaelienangabe ohne Gewälg).
der farblosen, schemenhaften Gestalt der Christine Körper
Leben zu geben und die insbesondere zum Schlusse er¬
Ausschnitt aus:
6- 1 19:9
greifende Gefühlstöne anschlug. Herr Kutschera gab den
alten Weiring mit guter Haltung und mit dem besten Be¬
Arhaiter Zeitung, Wien
mühen, sich langsam in die Väterrollen hinüberzuspielen.
vom:
E
Es will ihm merkwürdigerweise nicht recht gelingen, trotz¬
Paremung---eun
dem er in Wirklichkeit schon Vater einer erwachsenen Tochter
ist. Solch sonderbare Gegensätze herrschen oft zwischen der
Welt und den Brettern, die die Welt bedeuten! Die Herren
Theater und Kunst.
Kramer und Edthofer teilten sich in die Rollen der
Deutsches Volkstheater. Gestern übersiedelte die
beiden jungen Leute, die zu dem „süßen Mädel“ aus dem
„Liebelei“ ins Volkstheater, wohin sie gehört. O wie viele
Volke heruntersteigen, wenn sich das Liebesbedürfnis in
Krüglein könnten jetzt am Weghuber=Park mit Volkstränen über
ihnen regt. Herr Kramer war der Repräsentant der leicht¬
das traurige Schicksal der grausam verlassenen Christine Weiring
fertigen Anschauung, die alles nur als eine hübsche Episode
betrachtet, während Herr Edthofer seinen schwerblütigeren
gefüllt werden! Das Volksliedhafte dieses nun schon ein
Freund gab, der alles ernster auffaßt und daher auch ein
bißchen klassisch gewordenen Schauspiels ergreift die Herzen wie
Opfer seiner Leidenschaft wird. In den kleineren Rollen
am ersten Tage und von der Wiener Luft dieses Stückes wird
waren Frau Thaller und Herr Klitsch mit Erfolg
nicht nur geredet. Weichselige Luft umweht alle Gestalten des
tätig. Es brübrigt uns nun noch der Darstellerin der
unverblühten Werkes. Im Volkstheater wurde es nicht genug
Schlager=Mizzi, des Fräuleins Waldow, Erwähnung zu
intim inszeniert. Immer diese endlos lange, nicht zu
tun. Diese junge Dame ist uns schon mehreremal unangenehm
verkleinernde Bühne! Meisterhaft die Mizzi Schlager des
aufgefallen, und zwar durch die Aufdringlichkeit, mit der sie
Fräuleins Charlotte Waldow, echter, g’schnappiger und
aaaar 1o0s
Seite 9
diskreter ist die Rolle nie gegeben worden; Fräulein Hanne¬
mann, anfangs zu herb, im Tragischen aber über
sich auch in kleinen Rollen in den Vordergrund zu schieben
Erwarten stark. Besonders das Angstvolle der letzten Szenen,
trachtet. Sie scheint eine ganz falsche Vorstellung von dem
dieses instinktive „Wittern des Schicksals“ ging tief zu Herzen.
zu haben, was bodenechte Bewohner unserer Stadt unter
Von Herrn Kutschera hatte man den besten Musikus
dem Begriffe „fesch“ verstehen. Wer Frau Senders, die
Fräulein Waldow zu kopieren sucht, als Prototyp des
Weiring erhofft, durch ein bißchen zu viel Weinerlichkeit
Wienerischen ansieht, der wird wahrscheinlich auch mit der
schädigte er sich. Schön war der letzte Augenblick: wie der große
gestrigen Schlager=Mizzi einverstanden gewesen sein.
Mann in einer Ecke ganz klein wird. Herr Edthofer ist
Den Schluß des Abends bildete die einaktige Komödie
eine durchaus unsentimentale Natur, seine Rolle ist der Theodor
„Komtesse Mizzi“ oder „Der Familientag“. Man hat es
Kaiser, den aber Herr Kramer gab, auch recht gut, mit einer
hier mit einer jener Schilderungen des aristokratischen
geistreichen Unterstreichung des jüdischen Untertones der Rolle.
Milieus zu tun, die bei gewissen Autoren so außerordentlich
Dann kam ein ganz neuer Einakter von Schnitzler#
beliebt sind, trotzdem in den Kreisen, die ihnen viel näher
„Komtesse Mizzi oder: Der Familientag“. Der Komödie
stehen, keineswegs bessere Grundsätze tonangebend sind als
schadet (oder nützt) es, daß sie ein ähnliches Thema wie Burck¬
sin manchen Familien unseres Geburtsadels. Der Einakter
hards „Komtesse Clo“ behandelt. Auch hier hat eine Komtesse
ist, das muß man gelten lassen, wenigstens geschickt gemacht.
und es fehlt ihm nicht an heiteren Situationen und witigen
ein uneheliches Kind. Ich finde, daß diese Satiriker
Schlagern. Der Inhalt, der eigentlich weiter nichts ist als die
unserem Hochadel schmeicheln. Wahrscheinlich wären die
Konstatierung der verwandtschaftlichen Beziehungen, zu
Herrenhäusler geistig=sittlich
höher zu qualifizieren,
welchen die verschiedenen Personen des Stückes zueinander
wenn ihre Komtessen
so viel Kinder der Liebe:
stehen, ist so verwickelt, daß er sich in Kürze nicht erzählen
empfingen, wie uns im Volkstheater eingeredet wird. Schnitzlers
läßt. Es sei nur erwähnt, daß Prinz Egon Ravenstein (Herr
Komödie ist unvergleichlich graziöser als Burckhards sackleinener
Kramer) seinen Sohn (Herr Ebthofer), der einem
Schwank. Er wurde im Volkstheater unübertrefflich gespielt,
Verhältnisse mit Komtesse Mizzi Pazmandy (Fräulein
ganz entzückend von Herrn Edthofer, der hier seine be¬
Walafres) entsprossen ist, seinem alten Freunde HHerr
sondere Kraft erwies, Karikaturen behutsam=liebenswürdig zu
Thaller), dem Vater der Komtesse, just an dem Tage
zeichnen. Kräftig konturiert, voll Saft und Behaglichkeit, ein
zuführt, an dem der Graf endgültig von seiner langjährigen
ganz leise magyarisierter Graf Thallers, sehr taktvoll, mit
(„ Freundin“, der Tänzerin Lolo Langhuber (Fran
[Glöckner), Abschied nimmt, da diese im Begriffe steht.
einer von Vorstellung zu Vorstellung steigenden Kunst der
ihr illegitimes Verhältnis mit dem Aristokraten gegen ein
leichtesten Pointierung Fräulein Galafrés. In einer Minute,
legitimes mit einem bürgerlichen Fuhrwerksbesitzer (Herr
mit zehn Worten, errang Herr Lackner einen großen Erfolg;
Lackner) einzutauschen. Zum Schlusse zeigt sich noch ein
auch er ist ein figurenreicher Karikaturist. Herr Kramer war
Ausweg aus diesem Labyrinth, indem Komtesse Mitei,
so fürstlich, als er konnte. Der Abend war mit Beifall und
nachdem sie ihrem letzten Verehrer, einem natürlich gleich¬
Applaus beladen.
falls verheirateten Maler, der ihr Unterricht erteilte, den
Abschied gegeben hat, Neigung zeigt, dem Prinzen, ##m
Vater ihres 17jährigen Sohnes, der alle Anlage zu einem
Tunichtgut hat, ihre Hand zu reichen. Die Darstellung de¬
Finakters war eine glänzende.
Auules. an
—