II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 17

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21. Kontesse Mizz1oderder FaniLientag
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Aber vor ihr kommt Fürst Egon, der beste Christine wie Luise als Opfer gesellschaftlicher
Theater und Kunst.
Moral...! Sentimentalität und Heroismus
Freund des Grafen, zu Besuch und bringt eine

des Herzens können beide Musikantentöchter
Ueberraschung mit: seinen achtzehnjährigen un¬
Deutsches Volkstheater:
zu volkstümlichen Heldinnen machen. Ein Jahr¬
ehelichen Sohn, von dessen Existenz der Graf
(Arthur Schnitler: „Komtesse Mizzi.“
hundert hat die gesellschaftlichen Schichten ver¬
keine Ahnung hatte. Da ist es nun sehr amü¬
Komödie in einemAkt. — „Liebelei.“ Schauspiel
schoben; die Vorurteile des Adels gegen das
sant, wie sich herausstellt, daß Komtesse Mizzi
in drei Akten. — Erstaufführung am 5. Januar.)
Bürgertum hat die reiche Bourgeosie gegen die
die Mutter dieses Sohnes ist, wie der Fürst,
Kleinbürgerlichen übernommen. Luise war schon
der seinen Bengel, weil er ihm viel Spaß be¬
c. h. Eine Schnitzler=Premiere. Es geschieht
ein süßes Mädel, Fritz allerdings ist kein Ferdi¬
reitet, adoptieren will, ihr auf eine höchst un¬
nicht oft, daß wir neue Stücke von Arthur
nand mehr... So merkwürdig das klingt: es
sentimentale Art einen Heiratsantrag macht,
Schnitzler in Wien zuerst zu sehen bekommen.
besteht wirklich eine Beziehung von Lessings und
wie sie ihn zunächst ablehnt, aber sich zuletzt
Manchmal müssen wir selbst jahrelang warten.
Schillers bürgerlichen Dramen bis zu Schnitzler
die Möglichkeit der Annahme offen behält, wie
Das „Zwischenspiel“ war die letzte Komödie
her. Gewiß hat unter seinen Stücken die „Liebe¬
sich ihr Zeichenlehrer als ihr Liebhaber ent¬
von ihm, die man hier gab. „Der Ruf des
lei“ einen großen zeitdokumentarischen Wert.
puppt, wie sie sich zu der Maitresse des Vaters
Lebens“, der später entstand, wurde vor drei
Im Volkstheater wird sie sehr hübsch auf¬
hingezogen fühlt... Das alles ist in einem
Jahren gespielt — aber in Berlin; die Wiener
geführt. Ueberraschend ist Fräulein Hanne¬
lebhaft pointierenden, rasch gleitenden Dialog
Bühnen sind ihn uns bisher schuldig geblieben.
mann im letzten Akt, nachdem sie in den frühe¬
eingefangen, ohne Verschämtheiten, mit sauberer
Darum müssen wir zufrieden sein, wenn wir
ren den richtigen schmiegsamen, zärtlich=ängst¬
Deutlichkeit, nicht zu boshaft, nur mit einem
wieder einmal früher an die Reihe kommon als
lichen Ton nicht hatte finden können; sie be¬
Lächeln vorgetragen. Man kann nicht von
die anderen, ist es auch nur ein kleines, leichtes,
kommt plötzlich eine ergreifende Schmerzlichkeit
Satire sprechen, nirgends sind Verzerrungen,
einaktiges Stück. „Komtesse Mizzi“ ist
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und Entschlossenheit. Herr Edthofer ist wohl
Uebertreibungen der Charakteristik, auffällige
eine der feinen Kleinigkeiten, die Schnitzler
von Anfang an gar zu weich und schmachtfetzig.
Unterstreichungen, bloß von Ironie. Daß der
gleichsam als Intermezzi der Erholung, so¬
Fräulein Waldow gibt die Schlager=Mizzi,
Graf niemals die Wahrheit erfährt, ist eine
zusagen um nicht aus der Uebung zu kommen,
Herr Kutschera den alten Weiring, Herr
der wundervollen Echtheiten in Schnitzlers
die Geschmeidigkeit des Handgelenks zu er¬
Kramer den Theodor mit starken Akzenten.
Stücken. Herr Thaller spielte ihn mit dis¬
proben, zwischen größeren, ernsteren Arbeiten
Es war ein stürmischer Erfolg. Schnitzler
kreter Behandlung seiner drastischen Mittel
schreibt. So gelangen ihm ein paar seiner
mußte nach der „Liebelei“ sehr oft vor der
und auch ohne das vorgeschriebene Magyaren¬
Köstlichkeiten, „Der grüne Kakadu“ etwa,
tum übermäßig hervorzuheben. Fräulein
Rampe erscheinen und wurde nach „Komtesse
seine Marionettenspiele. Und nun diese un¬
Galafrés betonte vorzüglich die adelige
Mizzi“ immer wieder gerufen.
gemein amüsante, von Ironie funkelnde, feder¬
Contenance der Komtesse; man konnte
an
leichte „Komtesse Mizzi“. „Der Familientag“
Strindbergs Fräulein Julie denken, aber
lautet der Untertitel des Einakters, was un¬
an
be¬
Julie ohne ausbrechende Brände, mit
gefähr heißen soll: Auch ein Familientag...
herrschter Sexualität. Den Fürsten mit dem
Auf die Lebensmoral der aristokratischen Welt
Steirerhut und den § telettes zeichnete Herr
hat Schnitzler schon wiederholt getippt, und hier
tut er es nochmals auf eine ebenso eindring¬
Kramer ein wenig zu typisch, ebenso Frau
liche wie unterhaltsame Art.
Glöckner die bürgerlich werdende Balletteuse
Komtesse Mizzi ist siebenunddreißig Jahre
und Herr Edthofer den schlau geschwätzigen
Adoptivsohn.
alt geworden, ohne einen Heiratsantrag anzu¬
nehmen. Sie malt, das ist ihr einziges Pläsier.
Dem Einakter ging, zum erstenmal im Volks¬
Ihr Vater, Witwer, hat ein Verhältnis mit
theater, Schnitzlers „Liebelei“ voran. Und
der Balletteuse Lolo, die ihm und der Bühne
obwohl dieses Schauspiel längst literarhistorisch
gerade den Laufpaß gibt, um die Frau eines
eingereiht ist, wirkt es immer noch sehr lebendig.
Fiakerbesitzers zu werden. Sie kommt zum Ab¬
Vielleicht wird man einmal die Linie von -
schied sich noch das gräfliche Schloß ansehen.! „Kabale und Liebe“ zur „Liebelei“ zieben.