II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 23

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21. Kontesse Nizz 1oderder- Fami Lientan
Weltkenninis und weitherzigster Duldung gedeihen kann.
Komtesse Mizzi Pazmandy ist ein 38jähriges Mädchen, das
von dem Fürsten Egon Ravenstein ein Kind hat. Damals war
A% Feuilleton. %
der Flirst noch verheiratet und skandalscheu und deshalb
mußte die Geburt verheimlicht werden und das Kind in die
Welt zu fremden Leuten. Aber die Komtesse, die sich tapfer
zu ihrer Liebe und zur Mutterschaft bekennen wollte, verwand
die Sache nicht so leicht wie der fürstliche Herr Papa. Sie
Wiener Theaker.“
löschte in sich jedes Muttergefühl aus und wurde in diskrete¬
(Arthur Schnitzlers „Liebelei“ und „Komtesse Mizzi“ in
ster Form natürlich eine Freibeuterin der Liebe, die den
Deutschen Volkstheater)
Genuß nahm, wo sie ihn fand, und von der Ehe nichts mehr
G Wien, 5. Januar.
wissen wollte. Des später verwitweten Fürsten Heiratsanträge
wies sie standhaft zurück. Köstlich ist, wie der alte Graf
Das Deutsche Volkstheater scheint in eine
Pazmandy die sehr freie Tochter noch immer als Baby
Glanzperiode eintreten zu wollen und macht dem Hofburg¬
nimmt, dem er sogar sein schon zwanzig Jahre dauerndes
theater namentlich im Wiener Stück schon beträchtliche Kon¬
Verhältnis zur Lolo vom Ballett verheimlichen zu müssen
kurrenz. Schnitzlers „Liebelei“ war einer der gro¬
glaubt. Und nun bringt der Fürst den Buben doch her, nach
ßen Erfolmers. Nun hat das Volkstheater
siebzehn Jahren, sozusagen als inoffiziellen Freiwerber bei
diesen Schlager übernommen und sein Ensemble (die Her¬
der Mama, von deren Mutterschaft er natürlich keine Kennt¬
ren Kramer, Edthofer, Kutschera und Klitsch, die Damen
nis hat. Was der Fürst nicht vermocht hat, der naseweise,
Paldow, Hannemann und Thaller) braucht die Erinnerung
frische Bengel bringt es mit ein paar herzigen Redensarten
an die Aufführungen in der Burg durchaus nicht zu scheuen.
zuwege. Die Mutter wird weich und gibt dem letzten Lieb¬
Das gilt namentlich für Frl. Waldow, das hantige Wiener
haber, dem Malprofessor den Abschied. Wir ahnen, wie die
Vorstadtmadel mit der sechsläufigen Goschen, das keine Ant¬
Sache enden wird.
wort schuldig bleibt, immer den Nagel auf den Kopf trifft
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und doch ein lieber guter Kerl ist, echte Lerchenfelder Rasse.
Es ist amüsant, dies lächelnde und gewiß nicht sitten¬
Mir hat sie das Stück erträglich gemacht, das sonst schon er¬
strenge Stück mit dem „Vater“ zu vergleichen, dieser sauberen
sheblich muffelt. Schnitzler ist überhaupt kein Dramatiker.
französischen Komödie on Caillavet und Flers, die
Er hat Stimmung und Witz, ist ein feiner nüancenreicher
gleichfalls noch immer volle Häuser macht. Dort wird der Va¬
Gestalter und Poet, aber eine kräftige, vorwärts treibende
ter von der Tochter, hier die Mutter vom Sohne gewonnen.
HHandlung vermag er nicht aufzubauen. In der „Liebelei“
Aber die Rollen der Autoren sind gleichsam vertauscht. Die
entzücken die zwei ersten Szenen, das kleine Bacchanal im
Franzosen sind pedantisch und hochmoralisch, der Oesterreicher
Junggesellenlogis und der plötzliche Eintritt des Schicksals
ist graziös und nachsichtig, ohne jeden Anflug von bürger¬
in der Gestalt des beleidigten Ehemannes. Aber sobald die
licher Moral. Allerdings spielt sein Stück in der Hocharisto¬
Türe sich hinter diesem geschlossen hat, ist auch eigentlich das
kratie, wo man für die Satzungen der bürgerlichen Welt nur
Stück schon aus. Was noch folgt, ist Ausklang, Stimmungs¬
ein mitleidiges Lächeln hat. Und doch ist Menschlichkeit auch
malerei, Elegie, Idyll, aber Drama ist es nicht mehr. Ich
dort noch zu finden, aber eine Menschlichkeit ohne — wie
begreife sehr wohl, daß diese Wiener Variante der Murger¬
sollen wir doch sagen — ohne Sexualsperre. Es ist auch in¬
schen Bohème einmal helles Entzücken erregt hat; denn trotz
teressant, Schnitzlers „Komtesse Mizzi“ mit Burckhards¬
einiger vergriffener Takte („der Duft der Ewigkeit ...“,
„Komtesse Clocko“ zusammenzuhalten, einem jener vier ge¬
„die Stunde lügt immer“ usw.) ist doch echte Melodie darin,
wagten Einakter, die als „verflirte Frauenzimmer“ auf dem
und ein feiner Biedermeierduft liegt über dem Ganzen.
Repertoire stehen. Burckhardt ein zynisch grimmiger Anklä¬
Aber nun sollte doch ein Puccini sich dieses Restes erbarmen,
ger, der seine Sittenstudie der Aristokratie mit gellendem
der förmlich nach Musik schreit ...
Hohnlachen ins Gesicht schleudert, Schnitzler ein Versteher
und Verzeiher, der wie Mahadöh, der Herr der Erde, in tie¬
Eine wahre Erquickung war nach dieser zum großen
fer Verderbnis noch das menschliche Herz findet. Wenn dies
Konzert ausgeweiteten Cellosonate der darauf folgende Ein¬
tändelnde Stückchen am Zuhörer vorüberhuscht, ahnt er kaum,
lakter „Komtesse Mizzi.“ Da zeigt sich Schnitzler von
wieviel Nachdenkliches in die hingehauchten Farben hinein¬
sseiner allerbesten Seite, als ein Künstler, der seine Farben
gepreßt ist. Das wird ihm erst später klar, wenn die Perlen
nicht mehr mit dem groben Pinsel, sondern man möchte sagen
des Schaums verflogen sind und nur noch der Nachgeschmack
mit der Puderauaste aufsetzt. Das ist alles wie hingehaucht.
der edlen Traube auf der Zunge bleibt. Aber es ist eine
Kein falscher Ton, keine Tirade, keine Sentimentalität, nur
ganz erlesene Kunst, die sich so spielend zu geben vermag.
fseiner bildnerischer Humor und ein lächelndes Verzeihen aller
Freilich gehört zur vollen Wirkung auch eine Besetzung der
menschlichen Schwächen, wie es nur auf dem Grunde reifer! Rollen, wie sie das Volkstheater bieiet. Herr Kramer als
S
Fürst, Herr Glöckner als Lolo, Frl. Galafres als
Komtesse, Herr Thaller als Graf, dann mit besonderer
Würze Herr Edthofer als der bewußte Sohn und Herr
Lackner als Kutscher Wasner — wir haben schon lange
nicht so geschwelgt wie vor diesem vollen Strauß von Spiel¬
freude und Gestaltungskunst. Spül'n könn'n mir halt in
Wean
Dc
Oleiuns