II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 61

Miz“
21. Kontesse #z1 oder der Fanilientag box 26/1
Telephon 12801.
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WIITENTTETSN
Das neue Jahr begann das Deutsche Doikstheater mit der Uraufführung einer einaktigen
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Komödie „Komtesse Mizzi oder der Familientag“ von Arthur Schnitzler.*)
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Durch alle Stücke Schnitzlers zieht sich ein verwandter Zug, die### vom „süßen
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Mädel“ spielt überall mit, und seine bekannten Figuren wechsel im Lebensalter. „Komiesse
Vertretungen
Mizzi“ ist ein älteres „Abschiedssouper“. Anatol und die jugendliche Ballerine Annie sind ernst,
9 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
reif und gesetzt geworden. Anatol ist diesmal Graf Arpad #zmandr. in älterer Aristokrat und
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Eom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
ausgedienter Kavallerioffizier. Annie die 38jährige pensionierte Ballettdame Lolo Langhuber.
(Obellenangabe ohne DewährJ
Als Pallestri war sie in der Fußspitzenkunst sehr geschätzt. Graf Pazmandr ist frühzeitig Witwer
6 Ausschnitt aus
geworden, hat dann bald mit Lolo Beziehungen angeknüpft, die nun durch achtzehn Jahre un¬
1e Bombe, Wien
getrübt gedauert haben. Er hat sich an Lolo gewöhnt, doch sie gibt ihm, wie ihre jüngere
E vom:
Kollegin Annie im „Abschiedssouper“, den Laufpaß. Sie will. da sie sich ins Privatleben zurück¬
B
gezogen hat, in „geordnete Verhältnisse“ kommen und heiratet den braven Fiaker und Haus¬
besitzer Wasner. Dem Graf wird es nicht leicht, seine treue, langjährige Gefährtin zu verlieren,
er bietet ihr sogar seine Hand zum ehelichen Bund, doch sie schlägt sie klugerweise aus, denn
#es tät doch kein gut“. Dor ihrer Verheiratung besucht Lolo ihren alten Freund auf dessen
Dedtel-
Landsitz. Das geniert den Grafen, denn er möchte doch Lolo seiner Cochter, Komtesse Mizzi.
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nicht vorstellen. Doch diese gleichfalls ein ältliches Mädchen, nimmt die Maitresse des Vaters
Fan- Peneel
liebevoll und herzlich auf. So sind Dater. Tochter und die illegale „Stiefmama“ beisammen.

Aber zum „Familientag“ fehlen noch zwei, die sind auch alsbald zur Stelle: Fürst Ravenstein
und dessen siebzehnjähriger natürlicher Sohn Philipp. Der Fürst hat ihn eben adoptiert. Die
Im Volkstheater Schnitzlerabend mit
Mutter des Jünglings ist Komtesse Mizzi. Als nach dem Tode ihrer Mutter der Dater bei Lolo
allem Zubehör. Festlich gekleidete Gäste aus
Trost gesucht hat, war sich die Komtesse meist allein überlassen. Sie verliebte sich in den Fürsten
der inneren Stadt, schöne Frauen, pietät¬
Ravenstein und hatte mit ihm einen Sohn, der ihr trotz alles Sträubens gleich nach der Geburt
weggenommen und fremden Leuten zur Erziehung übergeben wurde. Nun sieht sich die Mutter
volle Stimmung, welche dem nicht mit dem
plötzlich ihrem erwachsenen Sohne gegenüber, und seinetwegen entschließt sie sich jetzt, Fürst
Schillerpreis gekrönten und doch so talent¬
Ravenstein zu heiraten, der schon früher, sowie er Witwer geworden war, vergebens um ihre
vollen Dichter gilt.
Hand geworben hatte. Freilich hat sich Komtesse Mizzi nicht gelängweilt. Zeichenlehrer und
Die „Liebelei“ ist alt und wahrlich
andere Männer sorgten für ihren „Zeitvertreib“. So findet sich die eigenartige „Familie“ mit
schon genügend besprochen worden. Sie ist
einem Male zusammen. Wir bewundern wiederum die Geistesschärfe, mit der Schnitzler dieses
Sittenbild prachtvoll zeichnet, er greift ins Leben und holt sich daraus Figuren, die er mit seinem
nicht epochemachend, aber graziös, elegant
künstlerischen Genins umgibt. Der seine Beobachter, der tiefe Pfrcholog, der genaue Kenner der
eine Wiener Spezialität. Noch im jetzigen,
Gesellschaft zeigt sich wiederum in „Komtesse Mizzi“. Die beiden gleichen Schicksale der Komtesse
ein wenig fadenscheinig gewordenen Zu¬
und des Ballettmädchens, die Lebenslügen, die ein bevorzugter Stand für sich in Anspruch nimmt,
stand zeigt sie, daß sie in einem guten
im Gegensatz zur ehrlichen; munteren, aufrichtigen Auffassung eines Mädchens aus dem Dolke,
Atelier gefertigt worden ist.
das bringt Schnitzler in ungeschminkter Wahrheit mit Humor und treffender Charakteristik auf
die Bühne. Er präsentiert uns auch zwei Tppen österreichischer Aristokraten, in Pazmandr einen
„Komtesse Mizzi“ aber ist ein starker
gutmütigen, einfachen, braven Menschen der sich um den Lauf der Welt nicht viel kümmert, und
Rückschritt, nämlich ein — Überbleibsel vom
in Ravenstein, den auf seinen Ruf und die Aeußerlichkeit streng bedachten, streberischen, egoistischen
„Reigen“, der eine bedenkliche Konzession
Fendalen. Wie stets bei Schnitzler, sprüht auch diesmal der Dialog Leben und Geist. Seine
an den Masseninstinkt vorstellte. Die Aristo¬
Gestalten sind aus einem Guß geschaffen.
kratie ist hier ein bischen gar zu tendentiös
Die heite Ironie des österreichischen Aristokratentums amüsierte sehr. Die Komödie, die
vom Schottenringstandpunkt aus dargestellt.
von den Damen Glöckner und Galafrés und den Herren Thaller, Kramer, Edthofer
und Lackner bravourös gespielt wurde, errang einen starken Erfolg. Dem Einakter ging
Auch an Burckhardt wird man be¬
Schnitzlers Schauspiel „Liebelei“ voran, in der Frl. Hannemann als Christine durch ihr seelen¬
denklich erinnert. Das ist dramatisierter
volles; lief empfundens Spiel ergriff.
Kaffeehauswitz — ein Stoff des Budapester
Orpheums mühsam ins Literarische empor¬
gehoben.
Sehr gut war Frl. Hannemann als
Christine, wirksam Herr Kutschera als
der im Grunde unmögliche alte Musiker,
wie sich ihn Schnitzler vorstellt.
Famos war Herr Lackner in „Kom¬
tesse Mizzi“ in der Fiakerrolle, über alles
Lob erhaben der fesche Thaller als un¬
garischer Graf.