II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 71

21.
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S
Kont##se Mizzi-oder der Fani Lientag
Schnitzler=Abend von Alfred Polgar
Ist es so wichtig, so zeitgemäß? Locken dort Menschheitsprobleme in
Telesei einer Neueinstudierung der „Liebelei“ ist es interessant,
besonderer Reinheit und Schärfe zu dramatischer Erörterung? Ist eine
Izu prüfen, welchen Qualitäten dieses kleine Drama seinen
Tyrannis zu sprengen, ein Götze zu stürzen, eine falsche Größe zu reduzieren?
#lange blühenden Reiz dankt. Dem Zauber wienerischer Neu¬
Oder soll das kühne Dogma verkündet werden, daß das Sexualleben auch
Si Sromantik gewiß nicht. Auch nicht der Luft, die von den Hängen
in gräflichen Schlössern vor allem eine physiologische und erst in weiterer Be¬
#des Kahlenberges und so weiter. Das Schlampig=Liebens¬
ziehung eine ethische Angelegenheit ist? Wenn noch ein originelles Resultat bei
GS-ewürdige, die Mischung von Rührseligkeit, Leichtsinn, Jargon,
dieser satirischen Betrachtung adeliger Geschlechtssunktionen herauskäme,
Zartheit, Wehmut und Cynismus schmeckt lau und abgestanden. Kurz, das
eigenartig gesehene und erkannte Menschen, eine Welt des merkwürdigen
Wienerische ists nicht, worin die „Liebelei“ sich so gut konservierte. Was sie
Zwanges und der merkwürdigen Freiheiten. Aber was boten die zwei
wirkungsvoll erhielt, sind ihre literarischen, dramatischen, technischen Qualitäten:
Komödien aus aristokratischem Milieu, die in jüngster Zeit gespielt wurden,
die Einfachheit und Knappheit des Vorgangs; die Geradlinigkeit des
die „Komtesse Clo“ und die „Komtesse Mizzi“? Figuren nach der urältesten
Dialogs, die nur selten zu lyrischem Geschnörkel sich verkräuselt; die hellen,
humoristischen Konvention. Späße, die an der letzten Oberfläche der
lebhaften Kontraste von Dur und Moll; die zarten und bescheidenen Farben
Menschen und Dinge hingen. Banalitäten der Kühnheit; und Witz, der
des aufgerollten Lebensbildes. Jede einzelne Figur löst sich klar vom
nur deshalb als besonders frei und unrespektvoll wirkt, weil er, was frühere
gemeinsamen Hintergrund. Eine volle Plastik gelingt nicht, wohl aber
Ironiker in sparsamer Dosierung als Pointe brachten, jetzt in Mengen als
ebenso zarte wie scharfe Reliefs. Alle Talente der Schnitzlerschen Leichtig¬
etwas Selbstverständliches in die Milieuschilderung einwebt. Dieses „er tut
keit sind in diesem populärsten Produkt seiner Literatur lebendig. Ein
gar nicht so, als obs was Besonderes wäre“, dieses legere Annehmen lustigt
unspürbarer Finger schlingt den dramatischen Faden. Alles vollzieht sich
frecher erotischer Verwicklungen als selbstverständliche, gar nicht weiter zu
leise, unroh, in Anmut und Dämmerlicht. Das unerbittliche Schicksal selbst
begründende Prämissen des Spiels — das freut die Leute und imponiert
kommt auf Zehenspitzen und drosselt seine Opfer gewissermaßen mit einer
ihnen an dem Dichter und an der Dichtung. Und dies ist auch das Um
„leichten Hand'. Auch das Schwarz in diesem Drama scheint noch wie
und Auf von dieser Dichtungen Modernität: daß sie kein Wesens draus
ein konzentriertestes Blau. Solchen literarisch=eigenartigen Tugenden ver¬
machen! Schnitzlersche Qualitäten sind auch dem leicht burlesken „Familien¬
dankt die „Liebelei“ ihre Dauerwirkung, nicht ihrer süßen Empfindsamkeit
tag“ anzumerken: das zwanglos gefügte, sich nie verknotende Geflecht des
und ihrem holden Wienertum. Im Deutschen Volkstheater gelangen gerade
Spiels; der glatte, gelassene Dialog; die leisen, mild=ironischen Ueber¬
die schwereren, dunkleren Teile des Spiels vortrefflich. Die Lustigkeit des
raschungen, die die Komödie bringt; die lautlose, unpathetische Urgemütlich¬
ersten Aktes geriet matt; der mürrische Frohsinn des Fräulein Waldow
keit, mit der heikelste Fragen gestellt, erörtert, beantwortet werden. (Ist
reichte nicht aus, das melancholische Zwielicht aufzubellen, das gleich anfangs
vielleicht das eine literarische Lockung des adeligen Milieus, daß dort solche
über der Darstellung lastete. Es schien, als ob alle schon von Ahnungen
lustspielmäßige Rube des Gespräches formal wohlbegründet, legitimiert
heimgesucht würden und sie vor einander zu verbergen trachteten. Im
erscheint?) Der Gesamteindruck: ein geschickter, witziger, ziemlich breit ge¬
zweiten Akt war Herr Kutschera sehr gut und einfach als zärtlicher Vater
dehnter Akt, dessen höhere Prätensionen verborgen blieben. Die Komödie
mit Zweifeln an den eudämonistischen Werten der Tugend. Vielleicht
wird ausgezeichnet gespielt. Prächtig Herr Thaller als alter Graf, in
ein bischen zu groß, zu würdig, zu stilisiert in der Gebärde für ein doch
einem gelungenen Misch=Dialekt, einer Art paprizierten Mehlspeis=Weis',
immerhin kleinbürgerliches Musikerlein. Herr Edthofer hatte innige, warme
deren wienerisch=gemächlicher Ton alle Augenblick ungarisch verknaxt.
Momente neben ein paar leer=theatralischen. Sehr sein ließ ers durch¬
Fräulein Galafrés als vorurteilslose Komtesse (mit Nervenbedürfnissen und
schimmern, wie seinem innersten Ahnen der Abschied vom Mädel auch der
Innenleben) sehr ruhig, kühl, distinguiert, glaubhaft. In einer outrierten
Abschied vom Leben sei. Herr Kramer spielte den Theodor bescheidentlich
Figur wirkte Herr Edthofer mit entsprechenden Mitteln sehr, sehr lustig.
in die zweite Linie. Alles Lob aber für Fräulein Hannemann, die Ekstase
Die Charge eines wiener Fiakers, eines Kutscher=Patriziers, gelang Herrn
der Herzensnot mit einer so schönen, übermächtigen. tränenlosen Energie
Lackner vortrefflich. Es herrschte einmütige Heiterkeit, wie er glänzend,
spielte, deren Verzweiftung einen solchen Glanz der Echtheit trug, daß
selbstbewußt, tadellos, im Parktor der gräflichen Villa erschien und seine
den Zuschauern die Augen übergingen.
leutselig=unterwürfigen, vertraulich=dienernden Komplimente machte. Herr
Es folgte: „Komtesse Mizzi oder Der Familientag“, eine Komödie in einem
Kramer ging, durch seine Zurückbaltung und Ruhe, als Fürst Egon
Akt. Ich weiß nicht, warum die wiener Dramatik jüngster Zeit mit einem
fast immer der Gefahr aus dem Wege, den Egon Fürst zu spielen.
so hitzig=heitern, grimmig=überlegenen Impetus die Aristokraten angeht.
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