II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 72

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Kon Mizz1der der ani ientag
—1.—
namentlich für den Wagnerkenner, ist gerade nicht
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Wiener Theater.
geeignet, diese Begeisterung zu erhöhen. Sie ist nicht
Wien, Mitte Januar 1909.
viel mehr als charakteristisch und illustrierend, in manchen
Gewohnheitsmäßig beginnt man mit dem Burg¬
Augenblicken auch laut und lärmend. Aber noch
theater — es ist aber wirklich nichts als eine Ge¬
lauter war die Begeisterung des Publikums, wie
wohnheit, ein gedankenloser traditioneller Respekt, zu
immer in der Volksoper, für die diese leichte Empfäng¬
dem bald kein Anlaß mehr sein wird. Man könnte
lichkeit und Kritiklosigkeit eine nicht zu unterschätzende
Gefahr bedeutet.
das Burgtheater ebenso gut an die letzte Stelle setzen,
Mancher andere Autor könnte solches nachsichtige
wenigstens im Bericht. Es ist überhaupt kein Ver¬
und leicht befriedigte Publikum wohl brauchen. Auch
gnügen, darüber zu schreiben. Etwa, als sollte man
einem alten, herabgekommenen Menschen, der einst rühm¬
Franz von Schönthan, der dem Deutschen
Volkstheater mit seinem altenglischen Lustspiel
lichere Tage gesehen hat, seine Meinung sagen. Aber
„Georgina“ eine recht magere Weihnachtsbescherung
was läßt sich machen, ein Verheimlichen gibt's da nicht
bereitet hat. Ueber die Qualitäten und die Aufnahme
mehr, und man muß wohl oder übel über die künstlerischen
dieses allzu fadenscheinigen und gedehnten Stückes ist
Burgtheaterereignisse berichten. Zum Beispiel, daß
bereits nach der Uraufführung berichtet worden. Heute
ist es schon nicht mehr aktuell, noch weiter darüber zu
von dem er vielleicht nicht wieder ins Burgtheater
reden. Eine viel erfreulichere Urpremiere war die
zurückfinden wird. Um uns den Abschied noch recht
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der einaktigen Komödie „Komtesse Mizzi“ von
schwer zu machen, hat er uns zu guter Letzt noch Oskar
Arthur Schutler. Ein kleiner ironischer Aus¬
Wildes wunderbaren Renaissancetorso „Florenti¬
schnt dm Minen der österreichischen Aristokratie.
nische Tragödie“ vorgespielt. Man hat diesen raffi¬
Sieben durch allerlei komplizierte Fäden vielfach mit
nierten Schlußakt eines Ehebruchsdramas schon aus einer
einander verbundene Figuren treten darin auf. Ein
Winkelaufführung gekannt oder vielmehr nicht gekannt,
wienerisch=ungarischer Graf, seine siebenunddreißig¬
denn die Versepracht, die konzentrierte Leidenschaftlichkeit,
jährige Tochter, die Komtesse Mizzi, die vor achtzehn
die darin steckt, ist erst von Kainz herausgeholt worden.
Jahren ein flüchtiges Verhältnis mit dem Fürsten Raven¬
Dieses Erwachen und Aufbäumen des Krämers, der
stein hatte, woraus ein Sohn entsproß, der alsbald im
aus Schlauheit und Eifersucht zum Helden, zum Be¬
Fiaker vorfährt, und auf dem Bock sitzt der Bräutigam der
sieger des fürstlichen Störers seiner Ehe wird, das
ehemaligen Geliebten des Grafen, die von links eintritt,
ist eine der grandiosesten und verblüffendsten Leistungen,
und zum Schluß erscheint noch der letzte Liebhaber
die man von Kainz hier je gesehen hat, und sie
der Komtesse
.. Alle diese Personen, die völlig
wurde mit unbeschreiblichem Jubel ausgenommen —
verschiedenen Standes, verschiedener Anschauungen
im Burgtheater? Bewahre, wer wird so etwas denken;
sind, haben durch die zwischen ihnen mehr und minder
im Johann=Strauß=Theater, bei einer Wohltätigkeits¬
heimlich waltenden zärtlichen und verwandtschaftlichen
matinee.
Beziehungen jahrelang eine Familie gebildet, ohne es
Also, Kainz ist auf Urlaub gegangen, sprechen wir
zu ahnen — „Familientag“ ...
In diesem Unter¬
nicht mehr davon. Ja, aber von was denn soll man
titel steckt die liebenswürdige Ironie, die sich sehr fein
sprechen? Vielleicht von der denkwürdigen Clavigo¬
und lustig gegen Standesbewußtsein und Familien¬
sonst recht lustigen
Aufführung, mit einem
aber es war
hochmut richtet. Das beste daran ist der zierliche,
Komiker in der Hauptrolle
meinen sollte. Lieber
elegante Aufbau, der bald geistvolle, bald witzige
doch nicht so lustig, wie man
Dialog. Das Ganze ist keine große, tiefe Dich¬
noch von der „Tür ins Freie“, da bin ich wenigstens
tung, aber ein reizendes kleines Kunststück aus
aller Kritik enthoben, denn man kennt ja das
einer Seitenlade des Dichterschreibtisches. Noch
Stück schon überall, soweit die deutsche Lustspielzunge
Blumenthals und Kadelburgs reicht Was aber in
einmal kam Arthur Schnitzler zum Wort, und
zwar bei einer Concordia=Matinee, bei der das
Kattowitz oder Gera bereits etwas ganz Gewöhnliches
Volkstheater=Ensemble seinen Einakter „Anatoles
ist, das bedeutet im Wiener Burgtheater einen geoßen
Hochzeitsmorgen“ spielte. Es war eine Uraufführung
Premierenabend, den Höhepunkt der Saison. Und es
wurde wirklich gelacht, namentlich im ersten Akt, sogar
nach vierzehn Jahren, und Schnitzler hat sich lange
noch in eweiten. Aber im dritten Akt gab es nichts
dagegen gesträubt, was nicht ganz unbegreiflich ist,
mehr zu lachen, zumal für den erscheinenden Herrn
denn der Einakter ist nicht mehr als ein übermütiger
Kadelburg, der von dem sich besinnenden Burg¬
Schwank, der mit dem Dichter des „Weg ins Freie“
theaterpublikum bemerkenswert heftig angeblasen wurde
nicht viel gemeinsam hat. Bei derselben Matinee
— und das ist vielleicht die erfreulichste Strömung, die
wurde ein Einakter, „Besuch in der Dämmerung“
seit langer Zeit in diesem Hause zu spüren war.“
von Thaddäus Rittner gegeben. Dieser junge öster¬
Derselbe kühle und entrüstete Luftzug hatte erst ein
reichische Autor ist im vorigen Jahre durch ein Drama,
paar Tage vorher durch die Hofoper geweht und
„Das kleine Heim“ bekannt geworden. Sein Einakter,
zwar bei der ersten Aufführung des musikalischen
ein Stimmungsdialog, ist nur eine winzige Probe seiner
Dramas „Der Vagabund“ Der Dichtung Jean
Begabung, aber eine sehrcharakteristische. Auch der Inhalt
Richepins entsinnt man sich noch aus den fernen
ist winzig. Er wird von zwei Hauptfiguren getragen:
Tagen, da Girardi in Wien am Deutschen Volks¬
einer „Dame in Rosa“, nämlich einer Halbweltdame,
theater gewirkt hat. Er gab diesen ruhelosen
die ihr Dasein trotz eines reichen Freundes als leer
Landstreicher, dem die Freiheit und Schrankenlosig¬
empfindet, und einem „Herrn in Schwarz“, dem durch
keit der Landstraße über alles geht, über Haus und
den Tod seiner Frau das Leben nichtig erscheint.
Hof und sogar über die unveränderte Zärtlichkeit
Diese gemeinsame Stimmung führt diese sonst gänzlich
einer wiedergefundenen verlassenen Geliebten und
verschiedenartigen Menschen zusammen, und nach einer
ihres Kindes. Das ist zwar eine banale und rühr¬
Weile gehen sie noch enttäuschter auseinander. Wie
selige Komödie, aber ein sehr dankbarer Operntext.
man sieht, ein Nichts von Handlung, aber im Dialog er¬
Doch wie undankbar erweist sich der Komponist Xavier
glänzt manches feine und tiefergehende Wort, und
Leroux. Er hat für diese naiven Wiedersehens= und
subtile psychologische Probleme werden behutsam ge¬
Abschiedsszenen, für diese ländlichen Ernte= und
streift. Denn Rittner ist sozusagen ein Dichter der
Weihnachtsstimmungen nichts als eine geklügelte,
letzten Dinge, ein Dramatiker des Unbewußten —
mühselige Gehirnmusik, der es an herzerfreuenden
weshalb ihm auch das breite Theaterpublikum nicht
Melodien gänzlich fehlt und die durch ihre Aehnlich¬
allzu viel Interesse und Verständnis entgegenbringen
keiten mit Puccini, Massenet und anderen für den
dürfte. Um so stärker wirkte hierauf der „Pech¬
Fachmann einiges Interesse hat. Noch ärger ist es
vogel“ eine Szene aus der französischen Revolution
um das Orchester Leroux' bestellt; hier bekämpfen sich
von A. M. Willner. Hinter der Szene verrichtet die
Motive und Instrumente unaufhörlich, wodurch es
Guillotine unaufhörlich ihre Arbeit, und vorne spielt sich
manchmal zu den ärgerlichsten Auseinandersetzungen
eine sentimentale Liebesgeschichte ab, die mit ihrem sü߬
kommt. An diese Novität, die erste der zur Hälfte ab¬
lichen, gezierten Dialog in diesem Milieu doppelt
gelaufenen Saison, ist sehr viel Mühe und künstlerische
unnatürlich wirkt... Von den Schauern der Revolution
Sorgfalt gewendet worden. Aber weder die fein¬
und der Guillotine wird ungebührlicher Gebrauch ge¬
fühlige Regie Wymetals, noch die Kostüme Professor
macht. Da sieht man wieder einmal, wie gerecht die
Rollers und die entzückenden Bühnenbilder Brioschis
Bewegung gegen die Todesstrafe und gegen die
konnten den Abend erträglicher machen und das
Guillotine ist. Man muß sie unbedingt abschaffen,
Publikum über die endlose Langeweile täuschen. Der
schon mit Rücksicht auf den Unfug, den die
Dramatiker damit treiben.
Komponist erschien wohl nach dem dritten Akt und
dankte für den Beifall, er galt aber Herrn Demuth,
Der berühmte Pariser Schlager „Kümmere dich um
der in der Titelrolle namentlich darstellerisch außer¬
Amélie“, der am Berliner Residenz=Theater, ich weiß
ordentliches leistete.
nicht wie lange schon, seine Schuldigkeit tut, hat im
Ungleich größeres Glück mit der musikalischen
Theater in der Josefstadt ziemlich versagt, und
Moderne hat die Volksoper, die ja den jungen
nicht viel besser erging es der letzten Novität des
französischen und italienischen Komponisten jederzeit
Lustspiel=Theaters, der Komödie „Schwanen¬
offen steht. Hier erschien ein veristisches Werk, das
gesang" Der melancholische Titel ist von den
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Platz, während Oskar Straus' „Der tapfere Soldat“
bereits den Rückzug antreten muß. Im Johann
Strauß=Theater wird allabendlich die schicksals¬
schwere Frage „Bub oder Mädel“ gestellt. Im
Karl=Theater erzielt Leo Falls „Geschiedene Frau“
über die nach der Uraufführung berichtet wurde, dank
der Beliebtheit einiger Darsteller und Darstellerinnen,
viel Gefallen und Beifall. Die Wiener Operette
findet sich auch im Programm unserer großen Variété¬
Bühnen. Natürlich handelt es sich dabei meistens
um anspruchslosere, kleinere Werke, aber manche
Melodie, mancher Witz ist schon von hier aus populär
geworden, und auch die letzte Novität des Apollo¬
Theaters hat alle Anlagen, die zu einer solchen
Operettenkarriere notwendig sind. Sie heißt „Der
Rodelbaron“. Das Libretto stammt von Alexander
Engel und Julius Horst, den bewährten Autoren
„der blauen Maus“ die Musik von einem neuen
Mann, Fritz Fürst. Kein großes selbständiges
Operettengenie, aber ein sehr liebenswürdiges Wiener
Talent, das eigentlich für den Variétérahmen viel zu
fein und anständig ist.