Theatel.
Komtesse Mizzi. Djamileh. Ballet.
Würdig wurde der Vorabend des allerhöchsten
Namensfestes mit einer Festouvertüre und der Volks¬
hymne, die vom Hause stehend angehört wurde
eingeleitet; unwürdig eines solchen Vorabends waren
nur die Kunstbrocken, die Herr Klein uns vor¬
gesetzt hat. Das erste Stückchen Komtesse Mizzi von
Schnitzler, dem leider bekannten Verfasser von
er und Treppengeschichten, nennt sich echt
protzenhaft „Komödie“ und ist überhaupt gar kein
Drama, denn es besitzt keine Handlung, wenn man
nicht etwa die Vorstellung eines Studenten in einem
befreundeten Hause eine dramatische Handlung nennen
will. Es ist auch nichts Komisches darin, weder
diese Vorstellung noch die Situation noch die Vor¬
fabel, die wir aus dem Gespräch der Personen er¬
fahren; ein paar harmlose Witze machen zwar noch
keine Komödie, aber Schnitzler will eben eine Ko¬
mödie geschrieben haben und darum heißt sie so.
Aus dem Dialog erfahren wir, daß Graf Arpad
Pazmandy, der lieblose Vater einer nicht mehr
jungen Tochter Mizzi, seit vielen Jahren ein Ver¬
hältnis mit der Ballettänzeri: Lolo Langhuber un¬
terhalten hat, die nunmehr den Wiener Fiaker
Wasner heiratet; daß Fürst Ravenstein vor Jahren
die sich selbst überlassene Mizzi verführt, ihr den
kaum geborenen Sohn Philipp entführt und im ver¬
borgenen erzogen hat; daß die sitzengebliebene Kom¬
tesse Mizzi malen lernt und ihren Professor Wind¬
hofer seiner Frau abspenstig macht. Fürst Ravenstein
stellt nun seinen Sohn Philipp der unbekannten
Mutter und dem Großvater vor. Herr Bogy¬
anskys (Graf Pazmandy) hatte gar nichts Aristo¬
kratisches an sich, nicht einmal die Reitstiefel waren
es, war aber dafür eine vorzügliche Kopie des
Schweinezüchters im „Zigeunerbaron“. Von dieser
Figur hat Herrn Huttegs Ravenstein angenehm
abgestochen, nur war sein Aussehen seinem siebzehn¬
jährigen Sohn gegenüber allzujugendlich. Dieser
Sohn Philipp (Herr Heinz) war übertrieben
lustig und närrisch wie ein junger Hund. Tadellos
haben ihre Rolle Frl. Sartoff (Mizzi) und Herr“
— Der zweite
Grünau (Windhofer) gespielt.
Brocken war die einaktige Oper Djamileh (sprich
Dschamileh) von Bizet. Die Musik ist schön, ohne
originell zu sein, und etwas schwierig; daher waren
leichte Entgleisungen im Orchester und im Gesang
zu verzeichnen. Auch hier kann von dramatischer
Handlung kaum die Rede sein: Der reiche Türke
Harun liebt seine Sklavin Dschamileh und erprobt
ihr Herz in kindlich naiver Weise, indem er ihr
wiederholt sagt, daß er sie nicht liebe und ihr die
Freiheit schenken wolle, bis sie schließlich als Tän¬
zerin verkleidet ihn weinend anfleht, sie nicht zu
verstoßen, weil sie ohne ihn nicht leben könne.
Splendiano, Haruns Erzieher, der sich auf die
schöne Dschamileh Hoffnungen gemacht hat, muß
nun leer ausgehen. Frl. Zrost=Radon (Dscha¬
mileh) hat in ihrem reizenden Kostüm auf verein¬
samte Herzen gewiß Eindruck gemacht, war aber auch
in Spiel und Gesang recht anmutend. Auch Herr
Dembitzer (Harun) hat eine empfehlende Leistung
zu verzeichnen, trotzdem sein Umfang für einen
Südländer bedenklich zu werden anfängt. Zur Ent¬
fettungskur wird hiesiges Leitungswasser empfohlen.
Herr Wolter hat seinen Splendiano unorien¬
talisch komisch dargestellt. Störend und unan¬
genehm war die falsche Aussprache des Titel¬
namens. Der französische Textdichter hat ja gerade
deswegen den Namen mit j geschrieben, um die
arabische Aussprache Dschamileh wiederzugeben.
Warum läßt die Regie solche Verstöße unterlaufen?
Zum Schlusse wurden 5 Ballettnummern gegeben,
die im ganzen befriedigt haben, trotzdem sie Prä¬
zision noch vermissen lassen. Unser Publikum ist
aber glücklicherweise mehr als bescheiden und die
Theaterkommission überweise. Gott sei Dank!
41
Telephon 12801.
P An
9 l. österr. behördl. konz. Unterr ehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
2
Vertretungen
D in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
ige 300
41
6 Ausschnitt Aus:
230
70 : 1909
E vom:
—Eine dichterisch genußreiche Vorstellung brachte Donners¬
tag der 18. März mit zwei Schnitzler'schen Stücken: Das:
ältere, aus dem Jahre 1895 daltekend Schauspiel „Liebelei“
und die neue Komödie „Komtesse Mitzi“ oder „Der Fa¬
[milientag“, in beiden Stücken mit zwei Gästen, dem talen¬
stierten jugendlichen Liebhaber vom Deutschen Volkstheater in
Wien, Herrn A. Edthofer und einer Frau Gertrud Senger
vom Germaniatheater in Chicago. In dem Dreiakter tat neben
Herrn Edthofer, welcher den Fritz Lobheimer spielte, sich
Frl. Franzi Frank als Schlagermizzi hervor. Frau Senger
als Christine hatte zwar mit den Dialektanforderungen zu
kämpfen, hob sich jedoch bedeutend in der Tragik des Schlu߬
aktes. Herr Burger als Theodor Kaiser, Herr Ehrich als
betrogener Gatte und Frl. Maugsch als Strumpfwirkersgattin
standen jedes an seinem Platze. An Stelle des erkrankten Herrn
Rosner übernahm im letzten Moment ein Schauspieler die Rolle
des Weiringer und fand sich mit seiner Aufgabe nicht schlecht
ab. — Als Komtesse Mitzi erschien Frau Senger durch ihre
taktvolle und vornehme Art noch besser am Platze. Selbstver¬
ständlich war Herr Edthofer als Philipp mit seiner gewin¬
Tnenden Ungezwungenheit an der Spitze und der ungarische Graf
fand in Herrn Marholm einen charakteristischen Repräsen¬
tanten. Wie fein und graziös Aufgaben, wie sie die Lolo
bietet, Frl. Franzi Frank zu lösen weiß, ist bekannt. Den
Fürst mußte in letzter Stunde Herr Kronau, dem ursprünglich
der Fiaker Wasner zugeteilt war, übernehmen. Diesem Um¬
stande trägt die Kritik Rechnung.
Komtesse Mizzi. Djamileh. Ballet.
Würdig wurde der Vorabend des allerhöchsten
Namensfestes mit einer Festouvertüre und der Volks¬
hymne, die vom Hause stehend angehört wurde
eingeleitet; unwürdig eines solchen Vorabends waren
nur die Kunstbrocken, die Herr Klein uns vor¬
gesetzt hat. Das erste Stückchen Komtesse Mizzi von
Schnitzler, dem leider bekannten Verfasser von
er und Treppengeschichten, nennt sich echt
protzenhaft „Komödie“ und ist überhaupt gar kein
Drama, denn es besitzt keine Handlung, wenn man
nicht etwa die Vorstellung eines Studenten in einem
befreundeten Hause eine dramatische Handlung nennen
will. Es ist auch nichts Komisches darin, weder
diese Vorstellung noch die Situation noch die Vor¬
fabel, die wir aus dem Gespräch der Personen er¬
fahren; ein paar harmlose Witze machen zwar noch
keine Komödie, aber Schnitzler will eben eine Ko¬
mödie geschrieben haben und darum heißt sie so.
Aus dem Dialog erfahren wir, daß Graf Arpad
Pazmandy, der lieblose Vater einer nicht mehr
jungen Tochter Mizzi, seit vielen Jahren ein Ver¬
hältnis mit der Ballettänzeri: Lolo Langhuber un¬
terhalten hat, die nunmehr den Wiener Fiaker
Wasner heiratet; daß Fürst Ravenstein vor Jahren
die sich selbst überlassene Mizzi verführt, ihr den
kaum geborenen Sohn Philipp entführt und im ver¬
borgenen erzogen hat; daß die sitzengebliebene Kom¬
tesse Mizzi malen lernt und ihren Professor Wind¬
hofer seiner Frau abspenstig macht. Fürst Ravenstein
stellt nun seinen Sohn Philipp der unbekannten
Mutter und dem Großvater vor. Herr Bogy¬
anskys (Graf Pazmandy) hatte gar nichts Aristo¬
kratisches an sich, nicht einmal die Reitstiefel waren
es, war aber dafür eine vorzügliche Kopie des
Schweinezüchters im „Zigeunerbaron“. Von dieser
Figur hat Herrn Huttegs Ravenstein angenehm
abgestochen, nur war sein Aussehen seinem siebzehn¬
jährigen Sohn gegenüber allzujugendlich. Dieser
Sohn Philipp (Herr Heinz) war übertrieben
lustig und närrisch wie ein junger Hund. Tadellos
haben ihre Rolle Frl. Sartoff (Mizzi) und Herr“
— Der zweite
Grünau (Windhofer) gespielt.
Brocken war die einaktige Oper Djamileh (sprich
Dschamileh) von Bizet. Die Musik ist schön, ohne
originell zu sein, und etwas schwierig; daher waren
leichte Entgleisungen im Orchester und im Gesang
zu verzeichnen. Auch hier kann von dramatischer
Handlung kaum die Rede sein: Der reiche Türke
Harun liebt seine Sklavin Dschamileh und erprobt
ihr Herz in kindlich naiver Weise, indem er ihr
wiederholt sagt, daß er sie nicht liebe und ihr die
Freiheit schenken wolle, bis sie schließlich als Tän¬
zerin verkleidet ihn weinend anfleht, sie nicht zu
verstoßen, weil sie ohne ihn nicht leben könne.
Splendiano, Haruns Erzieher, der sich auf die
schöne Dschamileh Hoffnungen gemacht hat, muß
nun leer ausgehen. Frl. Zrost=Radon (Dscha¬
mileh) hat in ihrem reizenden Kostüm auf verein¬
samte Herzen gewiß Eindruck gemacht, war aber auch
in Spiel und Gesang recht anmutend. Auch Herr
Dembitzer (Harun) hat eine empfehlende Leistung
zu verzeichnen, trotzdem sein Umfang für einen
Südländer bedenklich zu werden anfängt. Zur Ent¬
fettungskur wird hiesiges Leitungswasser empfohlen.
Herr Wolter hat seinen Splendiano unorien¬
talisch komisch dargestellt. Störend und unan¬
genehm war die falsche Aussprache des Titel¬
namens. Der französische Textdichter hat ja gerade
deswegen den Namen mit j geschrieben, um die
arabische Aussprache Dschamileh wiederzugeben.
Warum läßt die Regie solche Verstöße unterlaufen?
Zum Schlusse wurden 5 Ballettnummern gegeben,
die im ganzen befriedigt haben, trotzdem sie Prä¬
zision noch vermissen lassen. Unser Publikum ist
aber glücklicherweise mehr als bescheiden und die
Theaterkommission überweise. Gott sei Dank!
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Telephon 12801.
P An
9 l. österr. behördl. konz. Unterr ehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
2
Vertretungen
D in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
ige 300
41
6 Ausschnitt Aus:
230
70 : 1909
E vom:
—Eine dichterisch genußreiche Vorstellung brachte Donners¬
tag der 18. März mit zwei Schnitzler'schen Stücken: Das:
ältere, aus dem Jahre 1895 daltekend Schauspiel „Liebelei“
und die neue Komödie „Komtesse Mitzi“ oder „Der Fa¬
[milientag“, in beiden Stücken mit zwei Gästen, dem talen¬
stierten jugendlichen Liebhaber vom Deutschen Volkstheater in
Wien, Herrn A. Edthofer und einer Frau Gertrud Senger
vom Germaniatheater in Chicago. In dem Dreiakter tat neben
Herrn Edthofer, welcher den Fritz Lobheimer spielte, sich
Frl. Franzi Frank als Schlagermizzi hervor. Frau Senger
als Christine hatte zwar mit den Dialektanforderungen zu
kämpfen, hob sich jedoch bedeutend in der Tragik des Schlu߬
aktes. Herr Burger als Theodor Kaiser, Herr Ehrich als
betrogener Gatte und Frl. Maugsch als Strumpfwirkersgattin
standen jedes an seinem Platze. An Stelle des erkrankten Herrn
Rosner übernahm im letzten Moment ein Schauspieler die Rolle
des Weiringer und fand sich mit seiner Aufgabe nicht schlecht
ab. — Als Komtesse Mitzi erschien Frau Senger durch ihre
taktvolle und vornehme Art noch besser am Platze. Selbstver¬
ständlich war Herr Edthofer als Philipp mit seiner gewin¬
Tnenden Ungezwungenheit an der Spitze und der ungarische Graf
fand in Herrn Marholm einen charakteristischen Repräsen¬
tanten. Wie fein und graziös Aufgaben, wie sie die Lolo
bietet, Frl. Franzi Frank zu lösen weiß, ist bekannt. Den
Fürst mußte in letzter Stunde Herr Kronau, dem ursprünglich
der Fiaker Wasner zugeteilt war, übernehmen. Diesem Um¬
stande trägt die Kritik Rechnung.