Zwei Komödien im Lessing=Theater.
Gestern zum ersien Male: „Komtesse
Mizzi“ ein Akt von Arthur Schnitzler.
„Erde“, drei Akte von Karl Schonherr.
Von diesen beiden Komödien hatte der Ein¬
akter von Schnitzler, der vor einigen Jahren
in Wien ziemlich lautlos in der Persenkung ver¬
schwand, einen sehr vergnügten Erfolg, während
Schönherrs Bauernspiel, sonst überall mit
großem Beifall empfangen, gestern nur ein
halbes Echo weckte. Das Nebeneinander lieferte
einen interessanten Prüfstein für die beiden
österreichischen Talente, die hier in Wettbewerb
traten.
„Komtesse Mizzi“ ist im Reiz der stoff¬
lichen Erfindung, in der feinen Verzahnung
der Szenenführung, in der schwebenden Stim¬
mung und der weltmännischen Anmut der
Dialoge echtester und bester Schnitzler, den noch
dazu die Gesetze des Einakters zu vorteilhafter
Knappheit zwangen. In wenigen Auftritten
rollen achtzehn Jahre an uns vorüber. So
lange hat Graf Arpad Pazmandy die hübsche
Balletteuse Lolo Langhuber ausgehalten. So
lange ist es her, daß seine Tochter Mizzi sich
von der Fürsten Ravenstein verführen ließ,
der leide damals verheiratet war, und ihm
heimlich vor der Welt und ihrem anderweitig
beschäftigten Papa einen Buben schenkte. Es
mußte alles äußerlich „korrekt“ bleiben, und so
ward der Junge in der Stille auferzogen, und
Mizzi, in ihrer Liebe enttäuscht, suchte in allerlei
anderen kleinen Amouren ihren Trost. Nun,
nach achtzehn Jahren, bringt der Fürst das
Söhnlein als angehenden Studenten in die
gräfliche Villa, wo auch Fräulein Lolo, die sich
jetzt ins Privatleben zurückziehen und einen
Fiakerbesitzer heiraten wird, zum Abschied er¬
scheint — „Der Familientag“ heißt darum der
verschmitzte Nebentitel der Komödie. Fast zwei
Jahrzehnte lang haben alle diese Menschen ihre
Liebe und ihr Glück in der Heimlichkeit, inoffi¬
ziell genossen — jetzt erst, schon recht vorgerückt
in den Jahren, findet jeder seinen Platz; denn
auch Mizzi wird nun den Fürsten nehmen, den
sie in der Zwischenzeit abgelehnt hat. So
schnallten Konvention, Schicksal und Rück¬
sichten die Menschen ein und spielten mit ihnen
wie mit Hampelmännern. Diese Handlung ist
mit ihrer äußeren Heiterkeit und ihrem inneren
Ernst von den geschliktesten Händen aufgebaut
und zog im wunderhübsch abgestimmten
Spiel der Damen Triesch und Sussin
der Herren Reicher, Monnard und
Walter, der den feschen und naseweisen Acht¬
zehnjährigen charmant gab, die Hörer rasch in
ihren Bann.
Gegen Schnitzlers Reichtum wirkte Schön¬
herrs Kargheit doppelt leer. Aber wenn dies
Spiel von dem alten Bauern, der seinen hoffen¬
den Erben zum Trotz am Rande des Sarges und
Grabes noch einmal verjüngt ins Leben zurück¬
kehrt, gestern so geringen Eindruck machte,
geringer noch als vor einigen Jahren im Hebbel¬
Theater, so lag die Hauptschuld doch an der Auf¬
führung, die für diese Bühne erstaunlich zer¬
fahren und uneinheitlich war. Das Stück steht
an Ursprünglichkeit und Gehalt der Dichtung
hoch über dem gerühmten Schauspiel von
„Glaube und Heimat“. Aber es verlangt eine
sorgfältige Harmonisierung des bäuerischen En¬
sembles, das auch des Dialekts nicht entraten
kann. Der Mangel an tirolischer Echtheit, die
hier unentbehrlich ist, beeinträchtigte auch die
dralle und prächtige Magd unserer lieben Else
Lehmann. Herr Stieler formte den Wasch¬
lappen Hannes, den Sohn des Alten, der endlich
Bauer und Vater werden will, gar zu weich und
sentimental. Die kleineren Rollen fanden keine
rechte Vertretung. Und Herr Reicher gab dem
alten Grutz nicht das Quantum des Dämo¬
nischen, das dieser Repräsentant erdverwachsener
Bauernkraft braucht. Nimmt man Schönherr
das Ethnographische, so sieht man, wie wenig er
im Grunde Menschliches tiefer fassen und ge¬
stalten kann, und die nackten Effekte bleiben
übrig, die im naiven Raffinement ihrer Auf¬
reihung wohl ihren Theaterwert haben, aber
nicht weit über die Kulissen hinausreichen.
M. Oer
Hr
Gestern zum ersien Male: „Komtesse
Mizzi“ ein Akt von Arthur Schnitzler.
„Erde“, drei Akte von Karl Schonherr.
Von diesen beiden Komödien hatte der Ein¬
akter von Schnitzler, der vor einigen Jahren
in Wien ziemlich lautlos in der Persenkung ver¬
schwand, einen sehr vergnügten Erfolg, während
Schönherrs Bauernspiel, sonst überall mit
großem Beifall empfangen, gestern nur ein
halbes Echo weckte. Das Nebeneinander lieferte
einen interessanten Prüfstein für die beiden
österreichischen Talente, die hier in Wettbewerb
traten.
„Komtesse Mizzi“ ist im Reiz der stoff¬
lichen Erfindung, in der feinen Verzahnung
der Szenenführung, in der schwebenden Stim¬
mung und der weltmännischen Anmut der
Dialoge echtester und bester Schnitzler, den noch
dazu die Gesetze des Einakters zu vorteilhafter
Knappheit zwangen. In wenigen Auftritten
rollen achtzehn Jahre an uns vorüber. So
lange hat Graf Arpad Pazmandy die hübsche
Balletteuse Lolo Langhuber ausgehalten. So
lange ist es her, daß seine Tochter Mizzi sich
von der Fürsten Ravenstein verführen ließ,
der leide damals verheiratet war, und ihm
heimlich vor der Welt und ihrem anderweitig
beschäftigten Papa einen Buben schenkte. Es
mußte alles äußerlich „korrekt“ bleiben, und so
ward der Junge in der Stille auferzogen, und
Mizzi, in ihrer Liebe enttäuscht, suchte in allerlei
anderen kleinen Amouren ihren Trost. Nun,
nach achtzehn Jahren, bringt der Fürst das
Söhnlein als angehenden Studenten in die
gräfliche Villa, wo auch Fräulein Lolo, die sich
jetzt ins Privatleben zurückziehen und einen
Fiakerbesitzer heiraten wird, zum Abschied er¬
scheint — „Der Familientag“ heißt darum der
verschmitzte Nebentitel der Komödie. Fast zwei
Jahrzehnte lang haben alle diese Menschen ihre
Liebe und ihr Glück in der Heimlichkeit, inoffi¬
ziell genossen — jetzt erst, schon recht vorgerückt
in den Jahren, findet jeder seinen Platz; denn
auch Mizzi wird nun den Fürsten nehmen, den
sie in der Zwischenzeit abgelehnt hat. So
schnallten Konvention, Schicksal und Rück¬
sichten die Menschen ein und spielten mit ihnen
wie mit Hampelmännern. Diese Handlung ist
mit ihrer äußeren Heiterkeit und ihrem inneren
Ernst von den geschliktesten Händen aufgebaut
und zog im wunderhübsch abgestimmten
Spiel der Damen Triesch und Sussin
der Herren Reicher, Monnard und
Walter, der den feschen und naseweisen Acht¬
zehnjährigen charmant gab, die Hörer rasch in
ihren Bann.
Gegen Schnitzlers Reichtum wirkte Schön¬
herrs Kargheit doppelt leer. Aber wenn dies
Spiel von dem alten Bauern, der seinen hoffen¬
den Erben zum Trotz am Rande des Sarges und
Grabes noch einmal verjüngt ins Leben zurück¬
kehrt, gestern so geringen Eindruck machte,
geringer noch als vor einigen Jahren im Hebbel¬
Theater, so lag die Hauptschuld doch an der Auf¬
führung, die für diese Bühne erstaunlich zer¬
fahren und uneinheitlich war. Das Stück steht
an Ursprünglichkeit und Gehalt der Dichtung
hoch über dem gerühmten Schauspiel von
„Glaube und Heimat“. Aber es verlangt eine
sorgfältige Harmonisierung des bäuerischen En¬
sembles, das auch des Dialekts nicht entraten
kann. Der Mangel an tirolischer Echtheit, die
hier unentbehrlich ist, beeinträchtigte auch die
dralle und prächtige Magd unserer lieben Else
Lehmann. Herr Stieler formte den Wasch¬
lappen Hannes, den Sohn des Alten, der endlich
Bauer und Vater werden will, gar zu weich und
sentimental. Die kleineren Rollen fanden keine
rechte Vertretung. Und Herr Reicher gab dem
alten Grutz nicht das Quantum des Dämo¬
nischen, das dieser Repräsentant erdverwachsener
Bauernkraft braucht. Nimmt man Schönherr
das Ethnographische, so sieht man, wie wenig er
im Grunde Menschliches tiefer fassen und ge¬
stalten kann, und die nackten Effekte bleiben
übrig, die im naiven Raffinement ihrer Auf¬
reihung wohl ihren Theaterwert haben, aber
nicht weit über die Kulissen hinausreichen.
M. Oer
Hr