II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 233


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21. Kontesse Mizzj oder nilientag box 26/3
Assschaltt ausbeutsche Rundschau, E.
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Arthus-Schniglers Tragikomödie in fünf Akten, „Das weite Land“,
ist seit Sonnabend, den 14. Oktober 1911 das Repertoirestück des Lessing¬
Theaters und erst seit Dienstag, den 30. Januar 1912 von der Komödie
An einem Akt: „Komtesse Mizzi oder der Familientag“, ebenfalls von
Schnitzler, abgelöst worden. Otto Brahm hat sein Theater Ibsen und Schnitzler
gewidmet; wenn der Magus aus dem Norden nicht mehr mit seinen Dunkelheiten
und Verschrobenheiten zieht, muß der Wiener Doet mit seiner Leichtfertigkeit und
dem unvermeidlichen Ehebruch bald in Harmlosigkeit, bald in Lüsternheit daran.
Denn mit dem eigentlichen Hausdichter, Gerhart Hauptmann, ist seit der Geisel
Karls des Großen“, seit „Griseldis“ und der Ratten“ auch nicht das kleinste
Knäuel Seide mehr zu spinnen. Arthur Schnitzler ist mir am willkommensten,
wenn er sich am kürzesten ausspricht, als ewigjunger Anatol. Denn selbst in diesem
Falle ist seine Rede noch immer länger als seine Handlung und weitschweifiger
als ihr Sinn. Darum ist mir seine „Komtesse Mizzi“ angenehmer als sein
„weites Land“. Seit achtzehn Jahren haben Gräfin Mizzi Pazmandy und Fürst
Egon Ravenstein ein Verhältnis und einen Sohn. Natürlich außerehelich, so daß die
Komtesse „aber auch gar keine Beziehung und Regung des Blutes“ empfindet, als
ihr der Fürst nach zwanzig Jahren den jungen, auf dem Lande und in Gymnasien
erzogenen Philipp als seinen adoptierten Sohn vorstellt und sie um ihre Hand
bittet. Das Bild vollendet sich durch die Gegenseite: die ältliche Geliebte des
Grafen Dazmandy, Lolo Langhuber, empfindet plötzlich das Bedürfnis, anständig
zu werden und einen Fiakerkutscher zu heiraten. Das Ende ist, daß die gräflichen
und fürstlichen Herrschaften nach Ostende reisen und Lolo in der Kutsche ihres
Bräutigams nach Wien zurückfährt. Die heitere Selbstverständlichkeit, mit der
diese brüchigen und unsauberen Verhältnisse geschildert werden, und die An¬
gejahrtheit der Männer und Frauen, die sich nicht mehr auf die Abermacht der
Leidenschaft als Entschuldigung ihrer Entgleisung berufen können oder wollen,
drückt dem Ganzen den Stempel alt gewordener Lüsternheit auf, als ob die fünfzig
Jahre des Dichters sich auch in seiner Dichtung geltend machten. Aber ein
Flimmer von Geist und Anmut umgibt sie, während die Handlung der Tragi¬
komödie „Das weite Land“, die um einige Stufen niedriger in der sozialen Sphäre
in bürgerlichen Kreisen spielt, Ehebruch und Genußsucht ohne Schleier darstellt.
Der Fabrikant Friedrich Hofreiter, ein Abermensch jenseits von Gut und Böse,
macht seiner Frau, die den bezeichnenden Namen Genia führt, die bittersten Vor¬
würfe, daß sie dem Hausfreunde, einem russischen Klaviervirtnosen Korsakow, ihre
Liebe versagt und ihn dadurch zum Selbstmord getrieben habe, und erschießt, als sich
die Frau diese Vorwürfe zur Richtschnur nimmt und mit einem Marinekadetten ein
Verhältnis anfängt, den jungen Menschen. Von der Moral sehe ich selbstverständlich
ab, sie ist für die Schnitzlersche Dichtung kein Faktor, aber wenn der Ehebruch billige
Alltagsware wird hat er dann noch irgendeinen Anspruch auf künstlerische Dar¬
stellung und tragischen Ausgang? Daß Schnitzler alles, was geschieht, aus dem
Liebeswinkel und der Sinnlichkeitsoptik betrachtet und beurteilt, ist seine berechtigte
Eigenart, aber sie erlaubt ihm doch nicht, nun auch mit der Kunst eine Liebelei zu
treiben und ihre Gesetze zu mißachten. Sein Talent ist zu engbrüstig, um eine
Fabel für eine fünfaktige Komödie zu erfinden: wie bei dem „Schleier der Beatrice“
und dem „Ruf des Lebens“ ist ihm auch hier die Länge verhängnisvoll geworden.
Nebensachen und Nebenfiguren müssen den leeren Raum ausfüllen und das un¬
versiegbare Wortgeplätscher die Schwindsucht der Handlung verdecken. Die zwei
Geschichten des Stücks — der Flirt der Frau mit dem Kadetten und die große
Leidenschaft zwischen Erna und Hofreiter
— spielen sich abseits voneinander ab,
die eine in einer Villa bei Wien, die andere in den Tiroler Bergen und berühren
sich auch nicht im Ausgang. Während der Flirt der Frau grausam bestraft wird,
triumphiert die Leidenschaft des brutalen Mannes. Aus welchem Grunde die
peinliche Handlung und die endlose Rederei zu dem Titel „Das weite Land“ ge¬
kommen ist, weiß ich nicht: sicherlich ist der Inhalt kein Weitblick in blühende
Landschaft und auf blaue Berge, sondern ein trübseliger Einblick in wurmstichige.“
Verhältnisse und brüchige Charaktere.