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Miz
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Komtessez 1oder der Fani Lientag
in einem scheinbar absichtslosen, rein gesellschaftlichen Plaudern,
entwickelt von ungefähr die Fäden, die diese Menschen unter¬
einander binden, und läßt ganz allmählich, ohne stärkere Effekte,
aber in konsequenter Führung der Idee, ein Mutterherz, das
längst verzichtete, in Sinnenfreuden sich abzutöten suchte, dem
Sohnesherzen wieder näherwachsen.
Der zarten Führung des Dichters sich völlig zu vertrauen
wäre hier des Spielleiters beste Tugend. Herr Jelenko, der
(Quellenangabe onne Sewan
die Grundstimmung im wesentlichen zu treffen wußte und die
Illusion eines sommerlichen Herrensitzes mit wenig Mitteln
Mamburger Nachrichten
angenehm erweckte, glaubte dem Witz des Autors mit kleinen
Ausschnitt aus:
Hamburg
Nachhifen beispringen zu müssen, die leicht schwankhafte, die
7%
ursprüngliché Zurückhaltung störende Elemente mit einmischten.
10940
vom:
Entscheidend bleibt freilich die Gestaltung der Komtesse Mizzi
selber; und Frl. de Lalsky traf ganz vortrefflich den milden,
leicht wienerisch gfärbten Tonfall für diese überlegene, eigen¬
Dem Schnitzlerschen Einakter „Komtesse Mizzi
ständige, so klug unter den Männern um sie her sich be¬
oder Der Familientag“ wird jeder gerne gelegentlich
wegenden Gestalt. Sie hatte den rechten Einschlag leiser
auf unseren Bühnen wieder einmal begegnen, der an diesem
Trauer, ironische Duldsamkeit, verzeihendes Verständnis,
gleich Hofmannsthal etwas mimosenhaften, mehr die Dinge
Sicherheit. Und ganz ergötzlich keimte die leise Freude über
beklopfenden. statt angreifenden Temperament die besondere
den frechen Bengel auf, der ihr da plötzlich als siebzehnjähriger
Begabung für kleine, wohlabgewogene Formen zu schätzen
Sohn zugeführt wird. Sehr gut und echt gab Herr Wehr¬
weiß. Denn in der Ausarbeitung eines etwas frivolen Ein¬
lin den gealterten Lebemann mit dem sehnsüchtigen Herzen,
falls tut sich das typische Werkchen eines Reifen kund, eines
nur mit einer leise ans Operettenhafte gemahnenden Über¬
sicheren Könners, der alle billigen Wirkungen meidet, allen
deutlichkeit des Dialektes, gegen den Herrn Taegers mehr
lauten, aufreizenden Pointierungen abhold ist. Auch diese
norddeutscher und allzu biedermännischer Fürst Egon etwas ab¬
Dichtung ist fast zu zart und still, gelegentlich wohl auch zu
stach. Frl. Ferrons Lolo Langhuber war eine dezente, der
breit für das Theater; doch voll von leisen Neben= und Unter¬
Charakteristik dennoch nichts vergebende Lebensstudie und Herr
melodien und gänzlich auf die sanfte Klangfarbe milder
Brügmann bewies als Philipp seine Begabung für halb¬
Ironien eingestellt. Man hat geglaubt, nach einer bestimmten
eife Jünglingsgestalten.
Tendenz in ihr suchen zu müssen. Sie ist tendenzlos. Sie
ist, im eigentlichsten Sinne, undramatisch. Ein Genrebildchen;
ein Lebensausschnitt; ganz Behaglichkeit, ganz Lächeln, ganz
Verstehen. Der Lebensernst des Gesellschaftskritikers, den
Schnitzler keiner wird abstreiten können, der sein Gesamt¬
schaffen überschaut, ist hier völlig in die Grazie eines Tänzers
aufgelöst, in den frohen Leichtsinn eines begnadeten Tauseurs,
in eine Anmut, wie sie nächst den Franzosen nur den Wienern
eignet. Schon der technische Trick, die eigentlichen Handlungs¬
vorgänge in die Vergangenheit zu legen, uns gleichsam nur die
Essenz des Erlebnisses rückschauend mit genießen zu lassen,
läßt uns und den Dichter über alle Heikelkeiten des Stoff¬
lichen hinweg sanft in die Gefilde behaglicher poetischer Be¬
schaulichkeit entgleiten. Die eigentümlichen Beziehungen dieser
Menschen unter einander (der Mizzi zu Lolo, der Geliebten
ihres Vaters, Fürst Egons zu Mizzi, Mizzis zu ihrem ver¬
leugneten Sohne) werden so geadelt; sie bleiben versteckt, ver¬
schleiert, bekannt und dennoch unbekannt, dabei allenthalben
verklärt und ins wahre Maß des Komödienhaften heraufgerückt
durch die tragikomische Ironie ihres Gefüges zu einander.
Beinahe beziehungslos entspinnt sich der Dialog, er schreitet fort
Miz
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Komtessez 1oder der Fani Lientag
in einem scheinbar absichtslosen, rein gesellschaftlichen Plaudern,
entwickelt von ungefähr die Fäden, die diese Menschen unter¬
einander binden, und läßt ganz allmählich, ohne stärkere Effekte,
aber in konsequenter Führung der Idee, ein Mutterherz, das
längst verzichtete, in Sinnenfreuden sich abzutöten suchte, dem
Sohnesherzen wieder näherwachsen.
Der zarten Führung des Dichters sich völlig zu vertrauen
wäre hier des Spielleiters beste Tugend. Herr Jelenko, der
(Quellenangabe onne Sewan
die Grundstimmung im wesentlichen zu treffen wußte und die
Illusion eines sommerlichen Herrensitzes mit wenig Mitteln
Mamburger Nachrichten
angenehm erweckte, glaubte dem Witz des Autors mit kleinen
Ausschnitt aus:
Hamburg
Nachhifen beispringen zu müssen, die leicht schwankhafte, die
7%
ursprüngliché Zurückhaltung störende Elemente mit einmischten.
10940
vom:
Entscheidend bleibt freilich die Gestaltung der Komtesse Mizzi
selber; und Frl. de Lalsky traf ganz vortrefflich den milden,
leicht wienerisch gfärbten Tonfall für diese überlegene, eigen¬
Dem Schnitzlerschen Einakter „Komtesse Mizzi
ständige, so klug unter den Männern um sie her sich be¬
oder Der Familientag“ wird jeder gerne gelegentlich
wegenden Gestalt. Sie hatte den rechten Einschlag leiser
auf unseren Bühnen wieder einmal begegnen, der an diesem
Trauer, ironische Duldsamkeit, verzeihendes Verständnis,
gleich Hofmannsthal etwas mimosenhaften, mehr die Dinge
Sicherheit. Und ganz ergötzlich keimte die leise Freude über
beklopfenden. statt angreifenden Temperament die besondere
den frechen Bengel auf, der ihr da plötzlich als siebzehnjähriger
Begabung für kleine, wohlabgewogene Formen zu schätzen
Sohn zugeführt wird. Sehr gut und echt gab Herr Wehr¬
weiß. Denn in der Ausarbeitung eines etwas frivolen Ein¬
lin den gealterten Lebemann mit dem sehnsüchtigen Herzen,
falls tut sich das typische Werkchen eines Reifen kund, eines
nur mit einer leise ans Operettenhafte gemahnenden Über¬
sicheren Könners, der alle billigen Wirkungen meidet, allen
deutlichkeit des Dialektes, gegen den Herrn Taegers mehr
lauten, aufreizenden Pointierungen abhold ist. Auch diese
norddeutscher und allzu biedermännischer Fürst Egon etwas ab¬
Dichtung ist fast zu zart und still, gelegentlich wohl auch zu
stach. Frl. Ferrons Lolo Langhuber war eine dezente, der
breit für das Theater; doch voll von leisen Neben= und Unter¬
Charakteristik dennoch nichts vergebende Lebensstudie und Herr
melodien und gänzlich auf die sanfte Klangfarbe milder
Brügmann bewies als Philipp seine Begabung für halb¬
Ironien eingestellt. Man hat geglaubt, nach einer bestimmten
eife Jünglingsgestalten.
Tendenz in ihr suchen zu müssen. Sie ist tendenzlos. Sie
ist, im eigentlichsten Sinne, undramatisch. Ein Genrebildchen;
ein Lebensausschnitt; ganz Behaglichkeit, ganz Lächeln, ganz
Verstehen. Der Lebensernst des Gesellschaftskritikers, den
Schnitzler keiner wird abstreiten können, der sein Gesamt¬
schaffen überschaut, ist hier völlig in die Grazie eines Tänzers
aufgelöst, in den frohen Leichtsinn eines begnadeten Tauseurs,
in eine Anmut, wie sie nächst den Franzosen nur den Wienern
eignet. Schon der technische Trick, die eigentlichen Handlungs¬
vorgänge in die Vergangenheit zu legen, uns gleichsam nur die
Essenz des Erlebnisses rückschauend mit genießen zu lassen,
läßt uns und den Dichter über alle Heikelkeiten des Stoff¬
lichen hinweg sanft in die Gefilde behaglicher poetischer Be¬
schaulichkeit entgleiten. Die eigentümlichen Beziehungen dieser
Menschen unter einander (der Mizzi zu Lolo, der Geliebten
ihres Vaters, Fürst Egons zu Mizzi, Mizzis zu ihrem ver¬
leugneten Sohne) werden so geadelt; sie bleiben versteckt, ver¬
schleiert, bekannt und dennoch unbekannt, dabei allenthalben
verklärt und ins wahre Maß des Komödienhaften heraufgerückt
durch die tragikomische Ironie ihres Gefüges zu einander.
Beinahe beziehungslos entspinnt sich der Dialog, er schreitet fort