II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 281

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Kontesse1zz □oder der Fani Lientag
Dr. Max Goldschmidt
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Ausschnift ane:
Neue freie Presse, Wien
24. Wärz 1927
Akademielhealer.
„Komtesse Mitzi“ von Schnitzker. — „Das Beischen“
von Molyar.
Zu den Toten des Weltkrieges gehört, wenn man den
Versicherungen deutscher Theaterdirtkktoren Glauben schenken
darf, auch der Einakter. Diese drameitische Kunstform hat sich
überlebt, heißt es, das Publikum mill nichts mehr von ihr
wissen, nur Mehrakter lohnen die Mühe ihrer Aufführung.
Lauter Behauptungen, die man als solche nicht ernster zu
nehmen braucht als andere dieses an unbewiesenen und schwer
zu beweisenden Behauptungen so überreichen Zeitalters. In
Wahrheit ist der Einakter die klassische und die ewige Form
des Dramas. Der „König Oedipus“ ist ein Einakter und —
um zweitausend Jahre zu überspringen — der „Zerbrochene
Krug“ ist es gleichfalls. Davon abgeschen, ist der Einakter
allen anderen Kunstformen durchaus ebenbürtig, von denen
er sich oft nur durch eine größere Ehrlichkeit unterscheidet:
er nimmt für die Entsaltung eines Einfalles nicht mehr Zeit
und Raum in Anspruch, als der ihm innewohnenden Be¬
deutung zukommt. Tritt dazu eine besondere dichterische Ver¬
anlagung, derjenigen des Novellisten venvandt, so wäre es
mehr als unbillig, den Einakter aus dem Bereich des
praktischen Theaters zu verbannen weil er „nur“ ein Einakter
ist. In diesem Falle befindet sich Arthur Schniyler dessen
„Letzte Masken“, „Literatur“, „Große Szene“, „Puppen¬
spieler". — um nur einige seiner kurzen Diramen anzuführen
— wahre Meisterwerke sind, die in jedem Linn, auch im rein
dramatischen, zu den geglücktesten und schlakenlosesten dieses
Dichters zählen. Man kann Schnitzler, ohne seinen abend¬
füllenden Stücken im geringsten Abbruch zu tun, geradezu
einen Klasiter des Einakters nenner.
Ein solcher klassischer Einakter ist auch die „Kom¬
stesse Mitzi“, deren heitere Unverwüstlichkeit die Auf¬
führung am Akademietheater neuerlich erhärtet. Das Wiener
Gesellschaftsbild, das der Wiener Dichter in diesem Stück
vor bald zwanzig Jahren entwarf, ist nicht nur koloristisch,
auch gesellschaftlich seither bedeutend nachgedunkelt — Fürst
Ravenstein sitzt nicht mehr im Herrenhaus und Graf
Pazmandy fährt nicht mehr mit seiner Tochter nach Ostende
aber indem das Zuständliche etwas zurücktritt, tritt der
zeitlose Spott über alle Klassenvorurteile in Liebessachen nur
um so deutlicher hervor. Es ist ein Vorwurf, eines Komödien¬
dichters würdia, und er hat ihn im vorliegenden Fall ge¬
sunden. Zu der Endgültigkeit dieses Eindrucks, die ein un¬
gewöhnlich starker äußerer Erfolz besiegelte, trug auch eine
liebevoll launige Darstellung bei, die dem liebenswürdigen
Meisterwerk nichts Wesentliches schuldig blieb. Es ist, was
die wenigsten von sich behaupten können, nicht ganz ver¬
geblich älter geworden, denn zu Thaller, der den Grafen
Pazmandy schon vor achtzehn Jahren im Deuischen Volks¬
theater mit einleuchtender Echtheit verlebendigt hat, tritt nun,
ein mehr als ebenbürtiger Partner, Herr Devrient, dessen
Fürst Ravenstein einen Vorzugsplatz in der Galerie
älterer Lebemänner dieses Künstlers für sich in Anspruch
nehmen darf. Man weiß nicht, was man an diesem
in den muntersten Lustspielfarben gehaltenen Charakter¬
die Vornehmheit
gemälde mehr bewundern soll:
1
oder die Selbstverständlichkeit und Mühelosigkeit, mit der
diese Vornehmheit sich gibt. Sie nimmt keine Anläufe
und erreicht ihr Ziel, gleichsam ohne sich vom Fleck zu
rühren. ... Auch Frau Retty als Komtesse Mitzi und der
ihr nahestehende junge Herr Albach als naseweises junges
Fürstchen geben gutes Burgtheater, dessen überkommene
box 26/4