II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 54

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20. Zuischenspiel
geben. Ist keines dieser Bande stark genug, dann scheidet
(lieber schnell, ehe ihr zu des Bechers Neige gelangt. Klar,
Ms Zwischenspiel.
wie du es selbst heute noch nicht sehen kannst, sehe ich es,
Eine neue dreiaktige Komödie von Artur Schnitzler. Urauf=) daß jener flüchtige Seligkeitstaumel, flüchtig, ob er nun
vier Jahre oder nur fünf Tage dauert, für euch vorbei ist.
führung im Wiener k. k. Hofburgtheater am 12. Oktober 1905.
Allein gibt es ein Leben, das endloser Rausch ist? Jetzt gilt
Mit den gewöhnlichen Worten und üblichen Formeln
es zur stilleren Wirklichkeit zu erwachen, zur unzertrenn¬
der Kritik läßt sich diesem Stück nicht beikommen. Du hast
lichen Gemeinschaft, zur Erzeugung und Erziehung der
es erlebt! Ich habe es auch erlebt. Wir alle haben es erlebt:
Kinder, zum Beistand fürs ganze Leben.
Gefühl, Neigung, Liebe, das kommt und geht, ohne nach
Ungeduldig, spöttisch lächelnd ging er. In den nächsten
Gesetz oder Wille zu fragen. Nichts, gar nichts haben wir
Monaten versuchte das Paar mit allen Mitteln modernen
dazu getan, weder Zeit noch Ort gewählt, und plötzlich ist
Seelenraffinements die verlöschenden Flammen von neuem
die erste liebende Regung da. Drüben aber, weit drüben,
anzufachen. Doch aus der Asche loderte jetzt die Glut des
auf der anderen, dunklen Seite, graut der Abend, schreckt
Hasses empor. O wie war es abscheulich, als der lang vor¬
das Sterben einer Liebe. Jenei weint still ergeben vor sich
bereitete Bruch endlich mit Eclat erfolgte! O wie war das
hin, ein zweiter knirscht in tobendem Trotz mit den Zähnen,
häßlich, brutal und gemein!
ein dritter begießt das welkende Pflänzlein mit den tausend
Diese wahre Geschichte könnte fast Wort für Wort als
Quellen der seligen Erinnerungen — umsonst! Sie können
Inhaltsangabe des „Zwischenspieles“ dienen. Das
alle drei den Tod der Liebe nicht aufhalten, die nach uner¬
Merkwürdige aber an der erdichteten Komödie ist,
forschlicher Fügung sterben muß. Gefühl, Neigung, Liebe,
daß nicht nur Held und Heldin, sondern auch der Dichter
das wird, wächst und vergeht, indes Menschensatzung und
selber, er, der als Puppenspieler die unglaublich zerspal¬
Menschenwille ohnmächtig beiseite stehen.
tenen, dünnen Fäden seiner Marionetten lenkt, diesen
Aber ich sagte ja schon: mit Worten, kühlen Theorien,
springenden Punkt, diese differencia specifica
ist diesem Stück nicht beizukommen. Vielleicht kann ich's,
zwischen Liebe und Ehe nicht zu kennen scheint oder nicht
indem ich eine kurze, selbsterlebte Geschichte erzähle: Ich
kennen will. Sein Held Amadeus Adams, der von Kainz
kannte einmal einen jungen Musiker, der, verschlossen und
mit fast schöpferischer Kraft der Nachempfindung gespielt
in sich gekehrt, nur der Kunst lebte, ein Grübler und
wurde, ist Kapellmeister und zugleich Komponist. Die Hel¬
Träumer. Eines Tages sang eine berühmte Sängerin ein
din Cäcilie Adams=Ortenburg ist eine berühmte Opern¬
paar seiner Lieder. Er kam, hörte und liebte. Und was er
sängerin. Alles trägt sich zu, wie in meiner Geschichte. Auch
gar nicht zu hoffen gewagt hatte, geschah, er wurde wieder= dieses Paar hat bei Abschluß des Traumes weder die Stärke
geliebt und erhört. Nun wurde der Sinnierer ein ganz
auseinanderzugehen, noch die Fähigkeit, ihr Verhältnis
anderer Mensch: hell, klar, froh, lachend, leuchtend. Nie
auf die ruhigere — erkaltete erstarrte Lava ist fruchtbarer
hatten wir Wenigen, die er seiner Freundschaft würdigte,
Humus! — Ehebasis zu stellen. Sie beschließen, in unge¬
ihn so gesehen. Im April war's, in einem wundervollen
schlechtlicher Kameradschaft weiter beisammen zu bleiben.
Vorfrühling. Alle Knospen quollen. Auch des Freundes
Dabei lugt schon jedes nach einem neuen Traum aus. Der
geheimste Kräfte blühten. Einen Tag nach dem andern
Mann findet ihn bei der Opernsängerin Gräfin Friederike
konnte man ihn schon um 4 Uhr morgens in den sanften
Moosheim, die Frau in einem harmrosen Flirt mit dem
Waldtälern rund um Wien herum antreffen, pfeifend,
Fürsten Siegmund Maradas=Lohsenstein. Da Schnitzler
singend, glückschluchzend, schaffend. Nie war ihm seine Kunst
beharrlich Ehe und Liebesrausch identifiziert, so leben bei
so leicht geworden. Gegen 8 Uhr kehrte er heim, kleidete sich
ihm Herr und Frau Adams jetzt als sehr wahrheitsliebende
rasch um und holte sie ab, um sie zur Oper zu geleiten.
Freunde miteinander, der Mann aber steht mit der Gräfin
War die Probe vorüber, dann gingen sie zusammen hinaus
die Frau (allerdings nur platonisch) mit dem Fürsten in
in den Frühling oder in eine Gemäldeausstellung oder einer Art Gewissensehe. Gerade dieses kompliziert: Verhält¬
sonstwohin. Den ganzen Nachmittag musizierten sie mit¬nis jedoch läßt dem Musikus seine Frau wieder begehrens¬
einander. Niemand verstand ihn so wie sie. Niemand sang wert erscheinen. Der einstige Gatte und jetzige Freund
seine Lieder so wie sie. Dafür studierte er wieder alle Rollen erobert sich mit bestrickenden Schmeichelworten für eine
mit ihr. So wie er verstand es kein Korrepetitor, ihre Nacht seine Gattenrechte wieder und bricht so die zwei
reproduzierende Kraft bis zu den äußersten Grenzen
Gewissensehen. Die Folge dieses neuartigen Ehebruchs
emporzutreiben. Waren sie beide mit eigener Arbeit
unter Eheleuten ist, daß sich der Ehemann, der seine Gräfin
weniger beschäftigt, dann geleitete er sie durch die Herr¬
ohnehin schon satt hat, neuerdings in seine Frau zu ver¬
lichkeiten von Musik und Dichtung der toten Meister,
lieben glaubt und hocherfreut ist, als er aus zuverlässigem
denen er einmal gleich werden wollte. Den Abend verlebten Munde erfährt, daß zwischen dem Fürsten und seiner Frau
sie im Theater, sei es, daß sie sang und er mit kritischer
nichts vorgefallen sei. Es wäre also alles gut. Die Basis
Andacht lauschte, sei es, daß sie beide andächtig=kritisch einer Ehe in meinem Sinne, welche der Hafen ist, in den?#
lauschten. O Feierzeit, o reiche Zeit!
man still auf gerettetem Boot heimkehet — wer mehr for¬
Ein Jahr später kam der Musiker, den wir alle fast
dert, muß scheitern —, einer Ehe, welche durch kleine Sei¬
ganz aus den Augen verloren hatten, zu mir, seinem lang¬
tensprünge des Mannes nicht erschüttert werden kann,
jährigen Freund, und klagte mir in leidenschaftlichen
wäre nach wie vor gegeben. Jetzt aber will Frau Cäcilie
Worten ein bitteres Leid. Außerlich sei in seinen Beziehun¬
nicht mehr mittun. Alles Zureden und alle Bitten des Ka¬
gen zu der geliebten Frau keine Anderung eingetreten. Sie
pellmeisters verhallen ungehört, und schmerzüberwältigt
sänge noch immer seine Lieder, er korrepetiere noch immer
stürzt der Abgewiesene auf den Bahnhof, eine längere Tour¬
jede Rolle mit ihr, sie läsen noch immer zusammen Goethe,
nee anzutreten. Cärilie aber sinkt unter heißen Tränen in
sie lebten noch immer als Mann und Frau in freier Ge¬
ihrem verlassenen Heim zusammen, was Fräulein Witt
wissensehe. Aber obwohl scheinbar jeglicher Anlaß zu einer
trrigerweise so darstellte, als sei sie in dreizehnter Stunde
Anderung ihres Gefühlskomplexes fehle, empfänden sie
wieder anderen Sinnes geworden.
eins wie das andere mit Schrecken, wie der betörende
Mit den üblichen Formeln läßt sich diese seltsame Welt
des „Zwischenspiels“ nicht abfertigen. Es besteht wohl kaum!
Zauber, der sie bisher rmnfangen gehalten hätte, Stunde
für Stunde schwächer würde, wie die unsägliche Ekstase ihrer
ein Zweifel, daß die außerordentlich subtile Dichtung ein
Liebesgemeinsamkeit allmählich verblasse und wie ihr
schlechtes Theaterstück ist. Die vierfache Wurzel des Übels
erblicke ich erstens in der schon ausführlichst erörterten Sub¬
großes, früher unausschöpflich scheinendes Glück in Nichts
zerrinne. Wie das Fliehende halten? Wie das Veriorene
stitution von Liebe für Ehe; zweitens in dem Mangel
wiedergewinnen?
irgendeiner Handlung, irgendeines Aufeinanderprallens
von Willensentladungen im ältesten Sinne. Es wird ge¬
Zu jener Zeit stand ich gerade vor dem Abschluß
redet und geredet und wieder geredet, Stimmungen kom¬
meiner juristischen Studien. Auf meinem Tische lag das
men, werden zergliedert und verwehen, es ist ein ewiges
allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für das Kaisertum Öster¬
Auf und Nieder, in dem keiner weiß, was er will oder nicht
reich. Ich griff danach, schlug es auf und las meinem
Freunde den zweiten Satz des § 44 vor: „In dem Ehe= will, ein rechtes Bild unserer zeitgenössischen Nervenmen¬
nialer Symphonien= und Opern
es hinnehmen, daß Amadeus=K
regung dadurch Ausdruck verle
Händen wild herumfahrend, e
spielt. Zuerst erzählt man uns,
feiertsten Sopranistinnen der
hören wir Fräulein Witt mit
„Nicht mehr zu dir zu geh'n
dilettantisch singen. Kainzens K
Gesang, eines wirkt so grotesk,
Augenblicken.
Schnitzler ist unser Bester.
werden, daß solchen Mängeln
züge gegenüberstehen, die beson
Buch wird in einigen Wochen,
bei S. Fischer in Berlin ersch
tung kommen? „Zwischenspiel“
es nur einem Meister gelingt, v#
tails und metaphysischer Weis
großen Stiles, wie der „einsan
was ihr wollt, nur kein gutes
Dieser Ansicht waren auch
Burgtheaters, ein Publikum,
Schnitzler wohl der erklärteste
rend der Aufführung, einige H#
am Schluß Avplaus, von stärke
dieses Zischen war der ehrliche
eher pein= als lustvollen Gefü
erlösende Befriedigung die von t
in ungewissem Zwielicht dämm
verläßt. Zwischenspiel! Ich wün
den ich wie seine Kunst liebe und
Ziele, nach denen er seit einigen
und daß dieses „Zwischenspiel
Schaffen eben wirklich nicht n
bedeute.
Wien.