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20. Zwischensniel
Arthur Schnitzler.“)
Ganz Wien war zur Stelle. Galt es doch eines
jener bedeutungsvollen Ereignisse, denen man bei¬
wohnen muß, um am Tagesgespräch teilnehmen zu
können. Vor zwei Lustren hat Artur Schnitzler, der
sein Erstlingswerk am Deutschen Volkstheater hinge¬
schlachtet sehen mußte, mit der „Liebelei“ im Burg¬
theater seinen großen Bühnenerfolg errungen. Den
vermochte er bisher nicht zu überbieten. Sein „Frei¬
wild“ glitt an der Bühne des Kaisers vorüber; die
Richtung schien militärfeindlich; das „Vermächtnis“
dessen erster Akt gleich dem der „Liebelei“ stark und
kühn einsetzt, soll bereits prüdere Damen der Aristo¬
kratie nachdrücklich verletzt haben. Da unternahm es
der verwegene Dichter, seine Pfeile direkt gegen die
Logen abzuschießen: „Der grüne Kakadu“ verschwand
von der Bühne, weil eine Erzherzogin ihn unerträglich
fand. So geschah es, daß der „Schleier der Beatrice“
in Wien nicht zur Aufführung gelangte. Die vor¬
*) Nachdruck verboten
nehmsten Wiener Kritiker legten sich ins Mittel.
Sie daß sie nicht mehr um ihrer selbst willen geliebt wird] Die Aufführung ließ nichts zu wünschen übrig.
forderten Direktor Schlenther öffentlich auf, sich
und der die seltsame Laune des Musikers Ehe und Kainz spielte den nervösen Künstler als ein Künstler
wegen dieser Zurückweisung zu rechtfertigen. Das
Freundschaft zu entwürdigen scheint, erachtet ein der Nervosität, Lotte Witt wußte die Rätsel der
geschah. Bald darauf schuf der Dichter seinen
weiteres Zusammenleben mit ihm als unmöglich. Da weiblichen Seele geistvoll zu deuten, Treßler, eines
„Leutnant Gustl“ Er erbitterte hierdurch die Offi¬
verläßt er sie. Sie ist darüber untröstlich....
der echtesten schauspielerischen Talente, die es je ge¬
ziere noch mehr als durch das „Freiwild“. Aus
Es ist selbstverständlich, daß die Ovation, die geben, konnte sich mit dem farblosen Rhon nur eben
Furcht vor einem Theaterskandal ließ Schlenther
Schnitzler zugedacht war, durch die Vorgänge auf der abfinden. Den Vogel schoß Korff mit einer Epi¬
„Die lebendigen Stunden“ und den „Einsamen Weg“
sodenrolle ab: er stellte den Fürsten Siegismund mit
Bühne einigermaßen gedämpft wurde. Der Dichter,
nach Berlin flattern. Die Freunde des hochbegabten
der sich als naiver Künstler jählings in die Höhe ge= einer schlichten Herzlichkeit dar, die für einige Augen¬
Schriftstellere fanden dies ungerecht. Ihrem Drängen
schwungen, hat sodann die Bahnen der Tendenz=blicke wenigstens jeden Widerspruch bannte. Alles in
wurde endlich nachgegeben. Die erste Bühne Oester¬
dramatik eingeschlagen; die letzten seiner Werke sind
allem: Schlenther konnte seine Freude haben.
reichs öffnete dem verlorenen Sohn wieder ihre
Problemstücke. Das „Zwischenspiel“ erinnert stellen¬
Dr. J. v. Lubassh.
Arme. Man wollte vergeben, man wollte vergessen.
weise an Ibsens „Nora“, manchmal wohl auch an
Bei der Versöhnung mitgewirkt zu haben, das wollte
Bahrs „Meister“ der ja gleichfalls zu dem nordischen
sich niemand nehmen lassen. Darum war ganz Wien
Magus in Beziehungen steht. Die Idee, von der
zur Stelle. Es sollte eine Huldigung für den jungen
Schnitzler ausgeht, läßt er durch den Dichter Rhon,
Meister werden, womöglich auch eine Bestrafung des
den Kollovorator des Kapellmeisters, aussprechen:
Bühnenleiters, der einen Mann von Bedeutung so
„Freundschaft zwischen Personen verschiedenen Ge¬
schnöde ins Ausland gedrängt hatte.
schlechts ist auch dann unmöglich, wenn es sich um
Artur Schnitzler wird von seinen Freunden als
verheiratete Leute handelt.“ Aus diesem Satze hätte
der größte österreichische Dramatiker gepriesen. Ich
sich ein ergötzliche Komödie bilden lassen. Schnitzler
für meinen Teil ziehe Karl Schönherr vor. Schnitzler, hat es vorgezogen, eine psychologische zu schreiben. Lei¬
der in „Die Toten schweigen" und „Der blinde) der vorwechselt er Dunkelheit und Tiefe. Daß die
Geronimo und sein Bruder“ zwei Novellen gebildet Vorgänge überspitzt, geklügelt und konstruiert sind,
hat, die geradezu als klassisch anmuten, ist nicht
würde nicht so schwer ins Gewicht fallen: bedeutsamer
eigentlich im Lande der Dramatiker geboren. Er hat
ist es, daß sie durchaus novellistisch wirken. Die Be¬
mit Fleiß und Verstand ihre Sprache, ihre Art, zum
strebungen der Figuren sind nicht immer klar; der
Teil auch ihre Kunst erlernt und gießt nun seinen
Zusammenhang zwischen Ursache und Bewegung
novellistischen Stoff in die Theaterform. Das gelingt
scheint oft gesucht, ja willtürlich zu sein. Der
gelegentlich, es mißlingt aber auch manchesmal. In
Dichter tut das Aeußerste, um die Stimmungen, die
guten und bösen Stunden ist ihm aber ein eigener
sein Werk durchwalten, zu erklären: Lange Aus¬
Reiz eigen. Er verfügt über einen hellen silbernen
einandersetzungen zwischen Mann und Weib wechseln
Ton in der Farbe, über einen Perlmutterglanz, der
mit Monologen ab; zum Ueberflusse wird auch in
an die Schöpfungen eines Veronese gemahnt. Auch
dem Dichter Rhon der Vertraute der älteren und der
das „Zwischenspiel“ ist von diesem merkwürdigen
Raisonneur der neueren französischen Komödie wieder
Leuchten überschimmert. Der Kapellmeister Amadeus
lebendig. Die besten Absichten scheitern schließlich
Adams ist seit sieben Jahren mit der Opernsängerin
daran, daß uns hier das Seelenleben von Künstlern
Cäcilie Adams=Ortenburg verheiratet. Ihrer Ehe ist
vorgeführt wird. Menschen, die ein Wort für eine
ein Kind, der kleine Peter, entsprungen. Amadeus
Tat, einen Einfall für ein Erlebnis halten. Dadurch
läßt sich von einer anderen Opernsängerin, Gräfin
wird ihnen etwas papiernes eigen: rote Tinte fließt
Friederike Moosheim, den Hof machen; Cäcilie heißt
ihnen in den Adern, nicht Blut. Eine einzige Ge¬
die Werbungen eines Fürsten Lohsenstein willkommen.
stalt, echt schnitzlerisch gesehen und gebildet, atmet
Der Mann, der seine Frau nicht mehr liebt, schlägt
volles Leben: der junge Fürst Sigismund. Diese
dieser vor, die Ehe in Freundschaft übergehen zu
gewinnende, liebenswürdige, frische Natur, die sich
lassen. Jeder der beiden Gatten behält sich somit
nicht in einem Qualm von Redensarten ausdrückt,
ausdrücklich vor, seine Neigungen anderweitig unter¬
aus deren Brust vielmehr gesundes und schlichtes
zubringen. Cäcilie ist zu stolz, um ein solches An¬
Empfinden quillt, zeigt, was dieser Autor dem
sinnen zurückzuweisen. Sie geht, Gram im Herzen,
Schrifttum sein könnte, wenn er die Kraft hätte, sich
darauf ein. Das ist der erste Akt. Der zweite spielt
dem snobistischen Milien des Wiener Literatur¬
einige Monate später. Amadeus hat seinen Roman
klüngels zu entziehen. Ein verhängnisvoller Einfluß
mit der Dame seines Herzens erledigt. Da Cäcilie
ist es, der ihn in das Kielwasser Ibsens drängt. Wer
inzwischen durch ein Gastspiel in Berlin festgehalten
den „Puppenspieler“ mit dem Vaganten Ulrich
war und der junge Fürst ihr Gesellschaft leistete,
Brendel vergleicht, wird alsbald bemerken, in welch
glaubt der ungetreue Ehegatte, sie hätte ihm Gleiches erschreckendem Maße Schnitzler seiner Eigenart ver¬
mit Gleichem vergolten. Aber es liegt ihm nichts lustig wird, wie er im Begriffe steht, seine Persön¬
—
e
ubüßen, seine köstliche Jugend hinzugeben
20. Zwischensniel
Arthur Schnitzler.“)
Ganz Wien war zur Stelle. Galt es doch eines
jener bedeutungsvollen Ereignisse, denen man bei¬
wohnen muß, um am Tagesgespräch teilnehmen zu
können. Vor zwei Lustren hat Artur Schnitzler, der
sein Erstlingswerk am Deutschen Volkstheater hinge¬
schlachtet sehen mußte, mit der „Liebelei“ im Burg¬
theater seinen großen Bühnenerfolg errungen. Den
vermochte er bisher nicht zu überbieten. Sein „Frei¬
wild“ glitt an der Bühne des Kaisers vorüber; die
Richtung schien militärfeindlich; das „Vermächtnis“
dessen erster Akt gleich dem der „Liebelei“ stark und
kühn einsetzt, soll bereits prüdere Damen der Aristo¬
kratie nachdrücklich verletzt haben. Da unternahm es
der verwegene Dichter, seine Pfeile direkt gegen die
Logen abzuschießen: „Der grüne Kakadu“ verschwand
von der Bühne, weil eine Erzherzogin ihn unerträglich
fand. So geschah es, daß der „Schleier der Beatrice“
in Wien nicht zur Aufführung gelangte. Die vor¬
*) Nachdruck verboten
nehmsten Wiener Kritiker legten sich ins Mittel.
Sie daß sie nicht mehr um ihrer selbst willen geliebt wird] Die Aufführung ließ nichts zu wünschen übrig.
forderten Direktor Schlenther öffentlich auf, sich
und der die seltsame Laune des Musikers Ehe und Kainz spielte den nervösen Künstler als ein Künstler
wegen dieser Zurückweisung zu rechtfertigen. Das
Freundschaft zu entwürdigen scheint, erachtet ein der Nervosität, Lotte Witt wußte die Rätsel der
geschah. Bald darauf schuf der Dichter seinen
weiteres Zusammenleben mit ihm als unmöglich. Da weiblichen Seele geistvoll zu deuten, Treßler, eines
„Leutnant Gustl“ Er erbitterte hierdurch die Offi¬
verläßt er sie. Sie ist darüber untröstlich....
der echtesten schauspielerischen Talente, die es je ge¬
ziere noch mehr als durch das „Freiwild“. Aus
Es ist selbstverständlich, daß die Ovation, die geben, konnte sich mit dem farblosen Rhon nur eben
Furcht vor einem Theaterskandal ließ Schlenther
Schnitzler zugedacht war, durch die Vorgänge auf der abfinden. Den Vogel schoß Korff mit einer Epi¬
„Die lebendigen Stunden“ und den „Einsamen Weg“
sodenrolle ab: er stellte den Fürsten Siegismund mit
Bühne einigermaßen gedämpft wurde. Der Dichter,
nach Berlin flattern. Die Freunde des hochbegabten
der sich als naiver Künstler jählings in die Höhe ge= einer schlichten Herzlichkeit dar, die für einige Augen¬
Schriftstellere fanden dies ungerecht. Ihrem Drängen
schwungen, hat sodann die Bahnen der Tendenz=blicke wenigstens jeden Widerspruch bannte. Alles in
wurde endlich nachgegeben. Die erste Bühne Oester¬
dramatik eingeschlagen; die letzten seiner Werke sind
allem: Schlenther konnte seine Freude haben.
reichs öffnete dem verlorenen Sohn wieder ihre
Problemstücke. Das „Zwischenspiel“ erinnert stellen¬
Dr. J. v. Lubassh.
Arme. Man wollte vergeben, man wollte vergessen.
weise an Ibsens „Nora“, manchmal wohl auch an
Bei der Versöhnung mitgewirkt zu haben, das wollte
Bahrs „Meister“ der ja gleichfalls zu dem nordischen
sich niemand nehmen lassen. Darum war ganz Wien
Magus in Beziehungen steht. Die Idee, von der
zur Stelle. Es sollte eine Huldigung für den jungen
Schnitzler ausgeht, läßt er durch den Dichter Rhon,
Meister werden, womöglich auch eine Bestrafung des
den Kollovorator des Kapellmeisters, aussprechen:
Bühnenleiters, der einen Mann von Bedeutung so
„Freundschaft zwischen Personen verschiedenen Ge¬
schnöde ins Ausland gedrängt hatte.
schlechts ist auch dann unmöglich, wenn es sich um
Artur Schnitzler wird von seinen Freunden als
verheiratete Leute handelt.“ Aus diesem Satze hätte
der größte österreichische Dramatiker gepriesen. Ich
sich ein ergötzliche Komödie bilden lassen. Schnitzler
für meinen Teil ziehe Karl Schönherr vor. Schnitzler, hat es vorgezogen, eine psychologische zu schreiben. Lei¬
der in „Die Toten schweigen" und „Der blinde) der vorwechselt er Dunkelheit und Tiefe. Daß die
Geronimo und sein Bruder“ zwei Novellen gebildet Vorgänge überspitzt, geklügelt und konstruiert sind,
hat, die geradezu als klassisch anmuten, ist nicht
würde nicht so schwer ins Gewicht fallen: bedeutsamer
eigentlich im Lande der Dramatiker geboren. Er hat
ist es, daß sie durchaus novellistisch wirken. Die Be¬
mit Fleiß und Verstand ihre Sprache, ihre Art, zum
strebungen der Figuren sind nicht immer klar; der
Teil auch ihre Kunst erlernt und gießt nun seinen
Zusammenhang zwischen Ursache und Bewegung
novellistischen Stoff in die Theaterform. Das gelingt
scheint oft gesucht, ja willtürlich zu sein. Der
gelegentlich, es mißlingt aber auch manchesmal. In
Dichter tut das Aeußerste, um die Stimmungen, die
guten und bösen Stunden ist ihm aber ein eigener
sein Werk durchwalten, zu erklären: Lange Aus¬
Reiz eigen. Er verfügt über einen hellen silbernen
einandersetzungen zwischen Mann und Weib wechseln
Ton in der Farbe, über einen Perlmutterglanz, der
mit Monologen ab; zum Ueberflusse wird auch in
an die Schöpfungen eines Veronese gemahnt. Auch
dem Dichter Rhon der Vertraute der älteren und der
das „Zwischenspiel“ ist von diesem merkwürdigen
Raisonneur der neueren französischen Komödie wieder
Leuchten überschimmert. Der Kapellmeister Amadeus
lebendig. Die besten Absichten scheitern schließlich
Adams ist seit sieben Jahren mit der Opernsängerin
daran, daß uns hier das Seelenleben von Künstlern
Cäcilie Adams=Ortenburg verheiratet. Ihrer Ehe ist
vorgeführt wird. Menschen, die ein Wort für eine
ein Kind, der kleine Peter, entsprungen. Amadeus
Tat, einen Einfall für ein Erlebnis halten. Dadurch
läßt sich von einer anderen Opernsängerin, Gräfin
wird ihnen etwas papiernes eigen: rote Tinte fließt
Friederike Moosheim, den Hof machen; Cäcilie heißt
ihnen in den Adern, nicht Blut. Eine einzige Ge¬
die Werbungen eines Fürsten Lohsenstein willkommen.
stalt, echt schnitzlerisch gesehen und gebildet, atmet
Der Mann, der seine Frau nicht mehr liebt, schlägt
volles Leben: der junge Fürst Sigismund. Diese
dieser vor, die Ehe in Freundschaft übergehen zu
gewinnende, liebenswürdige, frische Natur, die sich
lassen. Jeder der beiden Gatten behält sich somit
nicht in einem Qualm von Redensarten ausdrückt,
ausdrücklich vor, seine Neigungen anderweitig unter¬
aus deren Brust vielmehr gesundes und schlichtes
zubringen. Cäcilie ist zu stolz, um ein solches An¬
Empfinden quillt, zeigt, was dieser Autor dem
sinnen zurückzuweisen. Sie geht, Gram im Herzen,
Schrifttum sein könnte, wenn er die Kraft hätte, sich
darauf ein. Das ist der erste Akt. Der zweite spielt
dem snobistischen Milien des Wiener Literatur¬
einige Monate später. Amadeus hat seinen Roman
klüngels zu entziehen. Ein verhängnisvoller Einfluß
mit der Dame seines Herzens erledigt. Da Cäcilie
ist es, der ihn in das Kielwasser Ibsens drängt. Wer
inzwischen durch ein Gastspiel in Berlin festgehalten
den „Puppenspieler“ mit dem Vaganten Ulrich
war und der junge Fürst ihr Gesellschaft leistete,
Brendel vergleicht, wird alsbald bemerken, in welch
glaubt der ungetreue Ehegatte, sie hätte ihm Gleiches erschreckendem Maße Schnitzler seiner Eigenart ver¬
mit Gleichem vergolten. Aber es liegt ihm nichts lustig wird, wie er im Begriffe steht, seine Persön¬
—
e
ubüßen, seine köstliche Jugend hinzugeben