II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 138

Wien.-Ballistug
OE.
wären nur die zivilrechtlichen Grundlagen zu regeln. Sonst habe
sich Staat und Gesellschaft in diese Privatsachen überhaupt nicht
Feuilleton.
einzumengen. Es sind soziologische Utopien eines Nervenspezialisten.

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Das Thema ist ja nicht neu, vielmehr so alt als die Ehe selbst.
Burgtheater.
Als die Jungdeutschen in ihren freien Stunden an der Befreiung
des Fleisches arbeiteten — das gehörte zur damaligen Romantik —
(„Zwischenspiel“, Komödie in drei Akten von Artur Schnitzler.)
schrieb der junge Gutzkow seinen interessanten Roman: „Maha
Schnitzler will die Komödie der Ehelüge schreiben, nachdem
Guru, die Geschichte eines Gottes“. Sein Held ist der Dalat
Ibsen ihre Tragödie geschrieben. Er schreibt sie wie ein Moderner,
Lama, der Beherrscher eines Reiches, in dem die Vielmännerei ob¬
mit der romantischen Gebärde, das heißt in der ironischen Balance.
paltet. Wo ein Weib auch mit samtlichen Brüdern ihres Mannes
Die feinste poetische Empfindung hat einen selbstsatirischen Hinter¬
terheiratet ist. Eine schöne Geschichte. Wie so ein Freiromantiker
gedanken, vielleicht halb unbewußt, jedenfalls weniger bewußt als
diese Schwägergattenschaften detaillieren kann. Welche polychrome
bei Maurice Donnay etwa. Das ist das Moderne, daß wir an
Seelenvorgänge sich ihm bieten, bei solcher, in aller Anständigkeit
unseren Glauben nicht mehr glauben, auch wenn er zufällig felsen¬
legangener Leviratsorgie. Das schlägt schon in jenes literarische
fest ist. Wir verschreiben uns dem Teufel, um in den Himmel
Fach, das sich auf dem revolutionären Parnaß Frankreichs als
zu kommen.
„igarrures de l’esprit humain“ bezeichnete.
Die Ehelüge zwischen Amadeus Adams, dem berühmten Kapell¬
Nun, Amadeus und Cacilie wissen nichts von Professor Forel
meister, und Cacilie Adams=Ortenburg, der gefeierten Sängerin, be¬
und seiner Kur der erotischen Selbstsuggestion. Sie lassen die Dinge
steht darin, daß sie angeblich nicht vorhanden ist. Diese Hochwohl¬
hren Gang gehen. Sie werden leiden, als Menschen einer Ueber¬
anständigen und Auf= und Abgeklärten haben sich nämlich vor dem
wie Albertus sagt — mit „Verwicklungen, die viel¬
gangsevoche
Altare Wahrheit geschworen. Sie werden sich immer alles sagen.
licht für die nächste Generation gar nicht mehr existieren werden
Aber auch schon alles. Und wenn „die Stunde“ — wie sich Frau
und jetzt tragisch enden müssen, wenn ein leidlich anständiger Mensch
Cäcilie später ausdrückt — den Frauen pflegt ja so „ihr Stündlein“
tineingeräth“. Die Führung der Sache bei Schnitzler ist eine vor¬
oder „die Stunde“ zu kommen — also wenn die Stunde kommen
viegend dialektische. In Gesprächen, die aus Lenien und Gegen¬
sollte, werden sie in Freundschaft auseinandergehen, jeder zu seinem
Zenien bestehen, wird das Thema geistreich zerfasert und wieder
unwiderstehlichen Magneten. Oder auch nicht, meint Amadeus, als
hoffnungslos verflochten. Man könnte daraus ein kleines Ehebrevier
die Stunde wirklich gekommen ist. Wozu das behagliche Heim opfern
zusammenstellen. An jedem Aktschluß aber steht eine schöne poetische
und die gegenseitige musikalische Anregung, die Förderung ihres
Szene. Schnitzler hält dem Zuschauer den Kopf kühl und die Füße
Lernens, seines Schaffens ... und den „Buben“ vaterlos machen...
warm. Das erste Mal ist es die stimmungsvolle Szene, wo
wozu das ganze schöne Band zerschneiden, weil ein Faden darin zer¬
Mann und Frau, schon zum Scheiden entschlossen, am Klaviere
rissen ist? Die Geliebten sind dahin, die Freunde und Kameraden
das Brahmssche Lied anstimmen: „Nicht mehr zu Dir zu geh'n
mogen bleiben.
beschloß ich und beschwor ich . . . und geh’ doch jeden Abend
Ob das möglich ist? Der Räsonneur des Stückes, Albertus
Und am zweiten Aktschluß ein heißer Augenblick, wo Amadeus
Rhon, der Textdichter von Amadeus, sagt Nein. Zwischen Menschen
noch ein letztes Mal der Liebhaber seiner Frau sein will .. . und
von verschiedenem Geschlecht, selbst zwischen Eheleuten, sei Freund¬
wird. Diese Hergänge sind spannend gelenkt, der Oberton des
schaft gefährlich. Er hat ngtürlich Unrecht, weil er verallgemeinert.
Herzens klingt doch laut oder leise durch alle Kontrapunktik des
Diese Dinge sehen sich bei jedem Menschenpärchen anders und
Verstandes. Interessant ist es, die beiden Verläufe in Parallele zu
wiederum ganz anders an. Adam und Eva bleiben ewig nur ein
stellen. Sie ist sinnlicher, mehr geneigt auszuspringen, tut's aber
einzigesmal vorhanden. Und das kommt gerade davon, womit
doch nicht. Er ist gattentreuer, weniger zur Untreue geneigt, tur's
Albertus gerade diesen Satz schließt, von der „tiefen Unsicherheit
aber doch. Denn sie ist Weib und „zogert noch immer, wenn
aller irdischen Beziehungen zwischen Mann und Weib“. Ein schönes
schon längst entschlossen ist.“ Sie ist übrigens gar nicht entschlossen.
Wort. Ein wahres Empfindungswort. Die tiefe Unsicherheit! Darin
denn sie widersteht mit bewunderungswürdiger Standhaftigkeit. Si
allein liegt ein Dichter von echten Seelensachen. Ein ergreifendes
liebt ihn doch mehr, als er sie. Sie hat nicht einmal den Fürster
Wort, wenn man ihm nachhängt. Es duftet tragisch, es wiederhollt
erhört, was doch die ganze Welt glaubt und ihr Mann auch. Sie
von Verhängnis.
ist überhaupt hochanständig. Als ihr Mann mit ihr kamerad¬
Dieser Albertus ist überhaupt ein geistvoller Ehekritiker,
schaftlich weiter hausen und zusammen arbeiten möchte, weicht sie
nämlich einer, mit dem es sich zu streiten verlohnt. Er meint sogar,
aus. Vielleicht „spater“ — das Arbeiten nämlich — es ist einstweilen.
der Künstler brauche kein Abenteuer auswärts zu suchen, er könne es
ein tiefweibliches Genieren in ihr, ein angeborenes, das wie ein an¬
ganz nach Bedarf in der Ehe selbst finden. Man könne ja seine
geheiratetes wirkt. Aber sie kennt sich und den heißen Grund ihrer
eigene Frau mit allen erforderlichen Illusionen bekleiden. Also nicht
Seele. Sie sagt: Ich weiß es, es wird kommen ... vielleicht in¬
„Helenen in jedem Weibe sehen“, sondern jede Helena in seinem
zwei, in fünf Jahren, aber es wird kommen. Er übrigens auch:
Weibe. Wer denkt nicht an das wundersame Qutproquo in den
Diesmal siege ich vielleicht noch, aber wer weiß, ob das nächste
„Wahlverwandischaften“? Bei Schnitzler aber entgegnet Amadeus:
ist als ob ein
Mal. Also besser, gleich ein Ende machen. Es
„Ob man auch das Recht hat, einem Wesen, das einem wert ist,
Sechzigjähriger sich sagte: Mit siebzig sterb' ich ohnehin, also häng'
eine solche Rolle zuzumuten?“ Wieder eines jener feelisch feinen
ich mich gleich jetzt auf.
Worte, die in dieser innig durchfeinerten Komödie häufig auftauchen.
Ein Theaterdichter alter Schule hätte selbstverständlich den
Das ist Gewissen des Herzens. Ehrenpunkt eines Ehegentleman,
„Buben“ benützt, um die Eltern neu zusammenzukitten. Schnitzler
eines Fachmannes im Empfindungswesen, im Kunstgewerbe der Liebe.
meidet das mit einer Art Aengstlichkeit. Cäcilie verirrt sich
Merkwürdig übrigens, daß auch die moderne Wissenschaft auf diesem
dialektisch im Wirrsal, das sie aus jenem letzten ehelichen Abenteuer
Punkte angelangt ist. In dem neuen wichtigen Buche des Professors
herausspinnt. Es ist ein schwieriges Spinnen und man sieht ihr
August Forel („Die sexuelle Frage“) ist das Verfahren in den
dahei unbehaglich zu. Tatsächlich haben sich die Beiden in jener
„Wahlverwandtschaften“ geradezu als Mittel — das sich sogar schon
Nacht wiedergekunden. Sich wiedererobert. Die hochnotpeinliche
gegen An¬
in der psychiatrischen Praxis bewährt haben soll-
Beweisführung Cäciliens, daß sie gleichsam eine Gemeinheit be¬
wandlungen ehelicher Untreue empfohlen. Wenn Amadeus und Cäcilie
gangen habe, auf der sich nichts Gutes bauen lasse, mißglückt.
den Zuricher Nervenarzt konsultiert hätten, wüßten sie sich zu helfen.
Ibsen wird überibsent. Früher wäre eine reinliche Scheidung
Amadeus würde in Cäcilien die verführerische Gräfin Philine sehen
möglich gewesen, jetzt nicht mehr. Es wäre wirklich zu wünschen,
und C#tilie in Amadeus den schmachtenden jungen Fürsten Sigis¬
daß der Dichter diesen Schluß einer Kur unterzöge, die ja gar
mund von Maradas=Lohsenstein. Aber auch die bloße Lektüre des
nicht schwierig sein kann. Lieber noch gut altmodisch versöhnt, als
Forelschen Buches hätte sie davor bewahrt, in Schnitzlers Komödie zu
schlecht neumodisch geschieden.
verfallen.
Die vorzügliche Darstellung wird jedenfalls helfen, dieses zu
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Forel schlugi nämlich allen Ernstes die Gruppenehe vor. Er bekämpft
zwei Dritteilen so reizvolle Stück auf der Bühne zu erhalten. Jeder¬
mit reinmenschlichen, also naturwissenschaftlichen Gründen das
mann muß Herrn Kainz als Amadeus sehen. Er ist die ganze
Hereinragen einer alten Mystik in die heutige Ehegesetzgebung.
Zeit auf der Bühne und erfüllt sie bis in ihre letzten Winkel mit
Einzelne Menschen wären wohl monogamisch geartet, die meisten aber
seinem lebendigen, mannigfach wechselnden Pulsschlag. Im Grunde
bigamisch, ja polygamisch geborene Naturen. Viele würden auch durch
ist es ein hochmodernes Gemalde der Eifersucht, die sich unter fort¬
besondere persönliche Verhältnisse — nehmen wir nur etwa Krank¬
währendem Leugnen unausgesetzt bejaht. Ein sordiniertes Spiel mir
heiten des einen Teiles — nach dieser Seite abgedrängt. Es gebe
unuberwachten Ausbrüchen, ganz gespickt mit pikanten Unwillkürlich¬
körperliche, seelische, geistige, wirtschaftliche Momente, triviale und
keiten, die tief aus dem Menschlichen geholt sind. Den Handstreich,
ideale Gründe der verschiedensten Art, die das eheliche „Zweieck“
mit dem er am zweiten Aktschluß die Gattin erobert, wird kein Zu¬
wenn wir dieses Wort erfinden dürfen, im gegebenen Zeitpunkt zum
schauer vergessen. Solche Dinge sind nur von Kainz denkbar. Fräulein
Dreieck machen müssen. Wer weiß, vielleicht zum Viereck, Sechseck.
Witt (Cäcilie) hatte neben ihm einen schweren Stand, sie kam ihm
Wenn die wahre Sittlichkeit und gesunde Sinnlichkeit der Ehe nur in
linnerlich nicht nach. Allein sie hat so gewinnende und verläßliche
einer solchen geometrischen Form aufrechtzuerhalten ist, sollte diese;
Theatereigenschaften, daß sie die Szenen tatsächlich mittrug. Frau
seiner Ansicht nach, nicht verpönt, sondern anerkannt und rechtlich
epiß. Es ! Kallina (Grafin), die blotz im ernen Akt anftitt, hat sich ihre
nanfeciharlein