II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 150

Sr
Von Arthur
„Der grüne Kakadu.“
„Zwischenspiel.“ Von Arthur Schnitzler.
Schnitzler. „Der zerbrochene Krug.“ Von Heinrich von Kleist.
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Das Burgtheater hat mit Arthur Schnitzler wieder Frieden geschlossen und
tat wohl daran. Denn der stärkste Wiener Dramatiker gehört zu diesem Hause,
dessen reiche und feine Kunst sein Talent erst zur vollsten Reife bringen wird.
Damit des Dichters Wort in aller Tiefe und Reinheit verstanden werde, muß
es in der herrlichen Schale leuchten, mit der Burgtheaterkunst es kredenzt. Darum
glaube ich noch heute, daß die einzige Bühne, die den „Schleier der Beatrice“
hätte geben müssen, und die damit, wenn nicht lärmende Erfolge, so doch Ehre
für den Dichter und Ruhm für sich selbst geerntet hätte, das Burgtheater war.
Und wenn wir uns die Komödie „Zwischenspiel“ aus dem Burgtheater weg¬
denken, so streifen wir dem Werke den zartesten Schimmer von den Flügeln.
Der stärkste Wiener Dramatiker ist der Dichter des „Zwischenspiel“
gewiß. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß er ein starker Dramatiker ist. Er
ist kein Mann mit dramatischen Biceps, das Theatralische — und es gibt Theatralik,
das heißt Theaterwirksamkeit ohne bösen Nebensinn — ist ihm zuwider, und je
mehr er sich zum Lebensweisen läutert, desto mehr weicht er ihm aus. Seine
Kunst mit ihren leise mitklingenden melancholischen Untertönen, mit der Sordine
der Resignation, ist weicher Anmut voll. Aber es ist stets eine Anmut in Moll.
Wenn man ihm einmal in einem Wiener Garten ein Denkmal setzen wird, so
wird wohl, wie beim Maupassant=Denkmal im Park Monceau in Paris, eine
mondaine Dame die Hauptperson sein. In diesem Fall natürlich eine zierliche
elegante Wienerin, schalkhaft und verträumt, Schwermut über den süßen Augen.
Die Leserin, die Muse, die Egeria, was weiß ich! Aber von der Frau geht
seine ganze Kunst aus, von ihr spricht sie unaufhörlich, von ihrem Duft ist sie
durchtränkt, von ihrem Herzen ist sie belebt. Und Schnitzler, der Dramatiker,
bleibt immer Schnitzler, der Liebesdichter. Er ist der geistvollste Erotiker, den
Wien je hervorgebracht hat, und nur Wien konnte ihn so formen und bestimmen.
Die Liebenswürdigkeit unserer schönen Stadt trieb in ihm ihre bunteste und
reizvollste Blüte.
Eines ist seltsam: Schnitzler ist mit seinem Witz und seinem Humor zum
Lustspieldichter geboren. Er möchte sich aber zum Tragiker erziehen. So ist auch
das Problem des „Zwischenspiel“ eine glänzende Lustspielidee. Der Dichter aber
will den Scherz jenes Einfalles nicht gelten lassen und bemüht sich eifrig, schweren
Ernst in einen Fall zu legen, unter den wir am liebsten mit dem weltüberlegenen
Poeten herzhaft lachen möchten. Der Kapellmeister Amadeus Adams ist mit
der Opernsängerin Cäcilie Ortenberg vermählt. Die Ehe lockert sich. Amadeus
hat eine kleine Liebelei mit einer Schülerin, einer pikanten Gräfin, die gewiß mehr
Talent zur Geliebten als zur Sängerin hat, und Frau Cäcilie läßt sich von einem
Fürsten Sigismund den Hof machen. Da beschließen die beiden Ehegatten, die
ihren Bund auf Wahrheit begründet haben, einander völlige Freiheit zu ge¬
währen. Sie knoten das Eheband auf, sie trennen sich als Mann und Weib —
aber die Kameradsche# zwischen den mehr künstlerisch als menschlich verwandien
Naturen soll bestehen bleiben. Und was geschieht nun? Amadeus hat das kleine
Abenteuer mit der Gräfin so rasch überwunden und verwunden wie auch andere
Abenteuer gleichen Kalibers. Das sind Erlebnisse, die nur seine Haut berühren
und kaum seine Seele streifen. Cäcilie aber erlebt in Berlin, wo sie gastiert,
seelische Berührungen, ohne sich körperlich etwas zu vergeben. Sie ahnt Kommendes:
eine Liebe, die versinken, eine, die aufsteigen könnte. Sie entfernt sich, der
Freiheit wiedergegeben, viel mehr von ihrem Gatten als er von ihr, der seine
Freiheit als Männchen und nicht als Persönlichkeit genießt. Und als Cäcilie
nach Wien zurückkehrt, treibt die Eifersucht, die Cäcilie mit physischem, nicht mit
psychischem Maße mißt, Amadeus in eine neue Phase des Ehelebens. Er betrügt
seinen Kameraden Cäcilie mit der Frau Cäcilie.
Er bricht mit der eigenen Frau die Ehe, eben die Wahrheitsehe, auf die
beide so stolz waren. Und das scheidet sie nun vollends. Die letzte Liebesnacht
war nur ein Zwischenspiel im Auflösungsprozeß. Und beide tragen schwer und
hart an dem Zusammenbruch. Aber dieser Zusammenbruch lag in der Natur des
Verhältnisses. Er war nicht aufzuhalten und — der Mann war der schwächere
Teil. Das ist alles in der zartesten und. feinsten Farbe angelegt. Aus dem
psychologischen Grundproblem quellen Liebes= und Eheprobleme und =Problemchen
wie die Blume aus dem Hut des Taschenspielers. Aus jeder Dialogstelle könnte
beinahe ein neues Stück keimen. Aber dieser innere Reichtum des Werkes ist
sein Schaden. Das Stück ist für den leichten Bau seiner Handlung allzuschwer
mit Psychologie beladen. Wir wissen oft nicht, ist das eine Weisheit oder Spitz¬
findigkeit, höchste Erkenntnis, oder bloß ein geistvolles, dramatisch gefaßtes Aperen.
Die Schwere, mit der der Vorgang die Personen des Stückes belastet, ist
künstlich in das Werk getragen. Die leichten Flügel der Idee hat der Dichter
gestutzt. Und so ist die Komödie ein Drama geworden, das als Bühnenwerk
nicht vollauf befriedigen kann. Wo aber das Dramatische ausbleibt oder versagt, da
hilft der Geist des Poeten über die gefährliche Stelle hinweg, und wenn dieser
Geist nicht immer verständlich ist, so macht ihn das Burgtheater klar. Kainz
spielte den Amadeus mit einer Nervenmeisterschaft, mit einem Reichtum an Gefühl,
daß man diesen komplizierten barakter in all seinen Sprüngen und Wider¬
sprüchen mit selbstverständlicher Leichtigkeit zu erfassen glaubte. Fräulein Witt
hatte unter ihm einen schweren Stand. Sie kam der Rolle aber nur in ihren
äußeren Umrisse nahe, der in ihr verborgene Reichtum erschloß sich nicht, so vieles
an Ton und Haltung ihr auch gelang.