20. Zuischensniel
noch schwelgt sie in hohen, entlegenen und schmerz¬
berauschten Ekstasen, und gleich darauf fährt sie mit
einem schneidenden Gelächter dazwischen, zieht eine
Grimasse von einem Ohr bis zum anderen und
wippt possierlich mit den Zehen in der Luft. Ebenso
schnell findet sie den Weg zurück und gleitet vom über¬
mütigen, selbstparodierenden Schabernack wieder hinab
in die Salzflut echter Tränen. (Bitte nur zu probieren,
ob sie echt sind! Sie schmecken, auf Ehre, ganz salzig!)
Diese Seelenakrobatik wollen wir nicht allzu feier¬
lich nehmen. Sie hat mehr technische als dichterische
Reize. Es ist sehr interessant, derlei zu „können“;
aber es ist unendlich gefährlich, es häufiger aus¬
zuüben. Ganz abgesehen davon, daß es niemals
gelingen wird, ein Publikum, soweit es nicht mode¬
vernarrt ist, mit Leib und Seele in derlei Experimente
mit hineinzuziehen, laufen unsere Autoren auch Gefahr,
selber in diesem widerspruchsvollen Element zu ver¬
sinken. Bei Schnitzler ist diese Gefahr minder groß
als bei anderen. Er weist dem Burlesken einen
immerhin bescheidenen Platz an und behält somit als
Künstler Gewalt darüber (wenn schon nicht immer
über die dadurch angefachten Zwitterstimmungen im
Zuschauerraum). Auch überwiegt bei ihm im tiefsten
Grund der Ernst, ja selbst die Sentimentalität, und
vielleicht bloß um dieser Schwäche zu begegnen, greift
er zu possenhaften Beimischungen. Schließlich ist er
viel zu sehr Wiener, um jemals die so empfindliche
Geschmacksgrenze in bedenklichem Maße zu über¬
schreiten. Wie er in seiner Wehmut sympathisch bleibt
und niemals albern wird, so hält er auch in seinen
Scherzen ein gebührliches Maß und verliert sich nicht
ins Absurde.
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kaum etwas Zwingendes und B#
Trotzdem hat er, indem er dieser Zeitneigung
Künstler, der sich ausschließlich auf
nachgab, dafür büßen müssen. Sein „Zwischenspiel“
verläßt, setzt sich hierdurch fortwähre
hat einen tieferen und volleren Eindruck nicht zu er¬
oder Unglauben aus. Gewiß vermi
zielen vermocht. Das lag freilich nicht bloß an jener
Gemütskräfte durch sanfte Überred
riskanten Mischung; das hatte auch noch seine ganz
Einflüsterungen so zu lenken, daß
anders gearteten Gründe. Solch ein allerfeinster
ihm momentweise auch Ungewohnte
Kenner und Zergliederer der modernen Seele, wie
uns daran zu erfreuen. Aber plötzlich
es Schnitzler ist, geht naturgemäß darauf aus, die
Wendung schnellen wir gewappnet wi
Subtilität seiner Seelenkunst auch im Theater zu er¬
versagen ihm plötzlich die Gefolgsch
weisen. Man darf es wohl als sein Ziel hinstellen,
dazwischen werfen: „Nein, das mi
das Theater für die diskreten Reize einer mit den
kommen!“ So ging es manchem
zartesten psychologischen Nuancen und Abtönungen
Akt vom „Zwischenspiel“, als der C
arbeitenden und auch vor überraschenden Wider¬
er mit seiner Frau soeben erst
sprüchen nicht zurückschreckenden Seelenmalerei zu
Trennung vereinbart hat, unmittell
gewinnen. Das ungeheure Beispiel Ibsens ist ihm
wieder anbändelt und ein gemeinsch
und ist uns allen hierin vorangeschritten. Doch hat
Arbeiten verabreden will. Sch
Ibsen sich niemals in der bloßen Nuancierung
gewiß darüber belehren können, d
verloren. Seine seelischen Farben sind stets
und im Charakter und in der Si
einer sehr fest gezogenen Zeichnung ein= und
sei. Trotzdem glauben wir es ihm
untergeordnet, und sie beherrschen niemals das
Instinkte rebellieren. Wir verlang
ganze Gemälde, sondern sie heben sich als duftige
möglichste Reinlichkeit und Ganzh
Glitzerpunkte ab von einem machtvoll aufgebauten,
weil uns aller Mischmasch irritier
geheimnisvoll vertieften Hintergrund. Bei Schnitzler
lichkeit einer etwaigen Wiederannä
hingegen wird die psychologische Nuance vielfach
in noch so verkappter Form, woll
Selbstzweck, und sein Gemälde bekommt hierdurch
Fall durchaus nichts hören. Dav
etwas Zerfahrenes. Anfangs erfreuen und fesseln
halbes Jahr später, das heißt im
einen ja diese Feinheiten, und mit entzücktem Ohr
nächsten Akt will aber der Dichter
lauscht man jeder Wendung des zart und graziös
sein. Folglich wendet er seine gan
bewegten Dialogs. Mit der Zeit aber stellt sich Er¬
einschmeichelnde Kunst auf, um
müdung ein. Und nicht bloß diese; auch Unsicher¬
recht unglaubhafte Wendung schon
heit. Das Möglichkeitsfeld der menschlichen Seele
zubringen. Das spüren wir, un
ist ein so großes, daß es hier kaum noch Unmöglich¬
keiten gibt. Aber ebendeswegen gibt es auch hier wir.
noch schwelgt sie in hohen, entlegenen und schmerz¬
berauschten Ekstasen, und gleich darauf fährt sie mit
einem schneidenden Gelächter dazwischen, zieht eine
Grimasse von einem Ohr bis zum anderen und
wippt possierlich mit den Zehen in der Luft. Ebenso
schnell findet sie den Weg zurück und gleitet vom über¬
mütigen, selbstparodierenden Schabernack wieder hinab
in die Salzflut echter Tränen. (Bitte nur zu probieren,
ob sie echt sind! Sie schmecken, auf Ehre, ganz salzig!)
Diese Seelenakrobatik wollen wir nicht allzu feier¬
lich nehmen. Sie hat mehr technische als dichterische
Reize. Es ist sehr interessant, derlei zu „können“;
aber es ist unendlich gefährlich, es häufiger aus¬
zuüben. Ganz abgesehen davon, daß es niemals
gelingen wird, ein Publikum, soweit es nicht mode¬
vernarrt ist, mit Leib und Seele in derlei Experimente
mit hineinzuziehen, laufen unsere Autoren auch Gefahr,
selber in diesem widerspruchsvollen Element zu ver¬
sinken. Bei Schnitzler ist diese Gefahr minder groß
als bei anderen. Er weist dem Burlesken einen
immerhin bescheidenen Platz an und behält somit als
Künstler Gewalt darüber (wenn schon nicht immer
über die dadurch angefachten Zwitterstimmungen im
Zuschauerraum). Auch überwiegt bei ihm im tiefsten
Grund der Ernst, ja selbst die Sentimentalität, und
vielleicht bloß um dieser Schwäche zu begegnen, greift
er zu possenhaften Beimischungen. Schließlich ist er
viel zu sehr Wiener, um jemals die so empfindliche
Geschmacksgrenze in bedenklichem Maße zu über¬
schreiten. Wie er in seiner Wehmut sympathisch bleibt
und niemals albern wird, so hält er auch in seinen
Scherzen ein gebührliches Maß und verliert sich nicht
ins Absurde.
box 25/1
kaum etwas Zwingendes und B#
Trotzdem hat er, indem er dieser Zeitneigung
Künstler, der sich ausschließlich auf
nachgab, dafür büßen müssen. Sein „Zwischenspiel“
verläßt, setzt sich hierdurch fortwähre
hat einen tieferen und volleren Eindruck nicht zu er¬
oder Unglauben aus. Gewiß vermi
zielen vermocht. Das lag freilich nicht bloß an jener
Gemütskräfte durch sanfte Überred
riskanten Mischung; das hatte auch noch seine ganz
Einflüsterungen so zu lenken, daß
anders gearteten Gründe. Solch ein allerfeinster
ihm momentweise auch Ungewohnte
Kenner und Zergliederer der modernen Seele, wie
uns daran zu erfreuen. Aber plötzlich
es Schnitzler ist, geht naturgemäß darauf aus, die
Wendung schnellen wir gewappnet wi
Subtilität seiner Seelenkunst auch im Theater zu er¬
versagen ihm plötzlich die Gefolgsch
weisen. Man darf es wohl als sein Ziel hinstellen,
dazwischen werfen: „Nein, das mi
das Theater für die diskreten Reize einer mit den
kommen!“ So ging es manchem
zartesten psychologischen Nuancen und Abtönungen
Akt vom „Zwischenspiel“, als der C
arbeitenden und auch vor überraschenden Wider¬
er mit seiner Frau soeben erst
sprüchen nicht zurückschreckenden Seelenmalerei zu
Trennung vereinbart hat, unmittell
gewinnen. Das ungeheure Beispiel Ibsens ist ihm
wieder anbändelt und ein gemeinsch
und ist uns allen hierin vorangeschritten. Doch hat
Arbeiten verabreden will. Sch
Ibsen sich niemals in der bloßen Nuancierung
gewiß darüber belehren können, d
verloren. Seine seelischen Farben sind stets
und im Charakter und in der Si
einer sehr fest gezogenen Zeichnung ein= und
sei. Trotzdem glauben wir es ihm
untergeordnet, und sie beherrschen niemals das
Instinkte rebellieren. Wir verlang
ganze Gemälde, sondern sie heben sich als duftige
möglichste Reinlichkeit und Ganzh
Glitzerpunkte ab von einem machtvoll aufgebauten,
weil uns aller Mischmasch irritier
geheimnisvoll vertieften Hintergrund. Bei Schnitzler
lichkeit einer etwaigen Wiederannä
hingegen wird die psychologische Nuance vielfach
in noch so verkappter Form, woll
Selbstzweck, und sein Gemälde bekommt hierdurch
Fall durchaus nichts hören. Dav
etwas Zerfahrenes. Anfangs erfreuen und fesseln
halbes Jahr später, das heißt im
einen ja diese Feinheiten, und mit entzücktem Ohr
nächsten Akt will aber der Dichter
lauscht man jeder Wendung des zart und graziös
sein. Folglich wendet er seine gan
bewegten Dialogs. Mit der Zeit aber stellt sich Er¬
einschmeichelnde Kunst auf, um
müdung ein. Und nicht bloß diese; auch Unsicher¬
recht unglaubhafte Wendung schon
heit. Das Möglichkeitsfeld der menschlichen Seele
zubringen. Das spüren wir, un
ist ein so großes, daß es hier kaum noch Unmöglich¬
keiten gibt. Aber ebendeswegen gibt es auch hier wir.