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20. Zuischensniel
Rundschau.
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keiten feuilletonistischen Charakters, denen der Vorzug, an der ersten deutschen
Bühne aufgeführt zu werden, nie hätte zuteil werden sollen. Mit dem, was später
kam, steht es nicht viel besser. „Klein Dorrit“ von Franz von Schönthan war
ausersehen, ähnlich wie „Quality street“ als eine Art Komtessenstück „für harmlose
Unte haltung“ und für die Kasse zu sorgen. Den Erfolg, den Barries idyllisches,
friedliches und ein wenig spießbürgerliches Lebensbild aus Alt=England errang,
hat den spekulativen Kopf Franz von Schönthan auf die Idee gebracht, einen
bewährten Kollegen, nämlich Dickens, um einen Stoff anzupumpen und diesen für
die Bühne und sentimentalische Anforderungen herzurichten. Diesen Stoff bot ihm
der breit angelegte und umständlich charakterisierende Roman von „little Dorrit“
Aber leider hat er daraus nur die äußeren Elemente, Kostüme und Lokale genommen
und das wesentliche, die Kennzeichnung des seltsamen Gemisches von Würde,
Ansehen, Schäbigkeit und Erniedrigung bei den Dorrits im Schuldturme von
Marshalsea ganz oberflächlich behandelt. Aus Dickens ist reiner Schönthan
geworden, der Schönthan der Blumenthal=Koppel=Ellfeldschen billigen Lustspiel¬
technik, die zuletzt in dem elenden Boulevardstücke „Maria Theresia“ ihre traurigen
Triumphe feierte. Daß die groben und banalen Effekte dieses Genres die zarte
und feinverzweigte Gemütsschilderung Dickens grausam verwischen mußten, erklärt
sich von selbst. Aber Schönthan hat diesesmal auch kein haltbares Theaterstück
zuwege gebracht. Den „großen“ Szenen des alten Häftlings bei seiner Freilassung
und der beherzten kleinen Amy in der Apologie für ihren Vater fehlte die
Resonanz der dramatischen Vorgänge und Charakterentwicklungen; sie blieben
Solostücke. Zudem zeigten auch die Darsteller, Herr Thimig und Frau Retty, ein
gewisses Unbehagen; Herr Thimig, weil er sich der Aufgabe, zu charakterisieren,
gegenüber hilflos sah, Frau Retty, weil sie lediglich Tiraden zu sagen hatte, die
mit der Kinderseele Klein Dorrits nichts zu schaffen haben.
In die höchsten Regionen des modernen Gesellschaftsdramas strebt Schnitzler
mit seinem „Zwischenspiel“, das kühl, fast geringschätzig abgelehnt wurde. Es ist
auch eines der schwächsten Stücke dieses Antors. Schnitzler will darin eine Menge
beweisen, Dinge, die sich zum Teil von selbst verstehen, zum anderen Teil nicht beweisen
lassen. Daß eine Ehe, lediglich als Kameradschaft bestehend, nicht haltbar ist,
bedarf kaum einer seriösen Argumentation und ist als Lustspielthema schon oft mit
Glück abgewandelt worden; daß eine Frau zuerst durch die Tat einwilligt, diese
Kameradschaft wieder in eine Ehe uumzuwandeln und unmittelbar hinterher die
Fortführung diefer Ehe verweigert, as wird Schnitzler trotz der Sophismen des
Dialogs niemand glauben. Dieser Diulog ist in dem Stücke alles; es ist ein Dialog
an sich, ohne lebenskräftige Menschen, die dahinterstehen und ihn bewirken. Vielleicht
wollte Schnitzler zeigen, wie einer seine Frau verliert, weil er sie in einer übel
gedeuteten Anwandlung in die Freiheit entlassen hat und dann nicht mehr gewinnen
kann, weil sie in dieser Freiheit eine andere geworden ist, weil ihr dieselbe eine
Umwertung ihres ganzen Wesens zur Ehefremdheit bedeutet hat, während sie ihm
nur ein „Zwischenspiel“ war. Aber um diesen Gedankengang klar auszuarbeiten,
hätte der ganze Kameradschaftshandel, hätte die Einführung der albernen Figur
des Fürsten entfallen müssen, hätte vor allem im Wege des Bühnenerlebnisses
gezeigt werden müssen, was aus der Gattin und Mutter die Abenteuerin macht,
ein Moment, der Angelpunkt der Katastrophe, den Schnitzler mit ein paar Phrasen
eher verschleiert als markiert. So wie Schnitzter es auf die Bühne stellt, ist das
Zwischenspiel ein chaotisches, verworrenes Wortgefecht, aus dem niemand klug wird,
niemand Eindrücke und überzeugungen gew innt, eine mit Gesten rezitierte, lang¬
weilige und unglaubwürdige Novelle. In deer Darstellung war demgemäß natürlich
auch nichts zu holen: Herr Kainz und Frei Witt konnten nicht mehr als eine
stellenweise stärker pointierte, aber im ganz en alltägliche Konversation ohne Aus¬
tragung wirksamer Konflikte durchführen.
20. Zuischensniel
Rundschau.
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keiten feuilletonistischen Charakters, denen der Vorzug, an der ersten deutschen
Bühne aufgeführt zu werden, nie hätte zuteil werden sollen. Mit dem, was später
kam, steht es nicht viel besser. „Klein Dorrit“ von Franz von Schönthan war
ausersehen, ähnlich wie „Quality street“ als eine Art Komtessenstück „für harmlose
Unte haltung“ und für die Kasse zu sorgen. Den Erfolg, den Barries idyllisches,
friedliches und ein wenig spießbürgerliches Lebensbild aus Alt=England errang,
hat den spekulativen Kopf Franz von Schönthan auf die Idee gebracht, einen
bewährten Kollegen, nämlich Dickens, um einen Stoff anzupumpen und diesen für
die Bühne und sentimentalische Anforderungen herzurichten. Diesen Stoff bot ihm
der breit angelegte und umständlich charakterisierende Roman von „little Dorrit“
Aber leider hat er daraus nur die äußeren Elemente, Kostüme und Lokale genommen
und das wesentliche, die Kennzeichnung des seltsamen Gemisches von Würde,
Ansehen, Schäbigkeit und Erniedrigung bei den Dorrits im Schuldturme von
Marshalsea ganz oberflächlich behandelt. Aus Dickens ist reiner Schönthan
geworden, der Schönthan der Blumenthal=Koppel=Ellfeldschen billigen Lustspiel¬
technik, die zuletzt in dem elenden Boulevardstücke „Maria Theresia“ ihre traurigen
Triumphe feierte. Daß die groben und banalen Effekte dieses Genres die zarte
und feinverzweigte Gemütsschilderung Dickens grausam verwischen mußten, erklärt
sich von selbst. Aber Schönthan hat diesesmal auch kein haltbares Theaterstück
zuwege gebracht. Den „großen“ Szenen des alten Häftlings bei seiner Freilassung
und der beherzten kleinen Amy in der Apologie für ihren Vater fehlte die
Resonanz der dramatischen Vorgänge und Charakterentwicklungen; sie blieben
Solostücke. Zudem zeigten auch die Darsteller, Herr Thimig und Frau Retty, ein
gewisses Unbehagen; Herr Thimig, weil er sich der Aufgabe, zu charakterisieren,
gegenüber hilflos sah, Frau Retty, weil sie lediglich Tiraden zu sagen hatte, die
mit der Kinderseele Klein Dorrits nichts zu schaffen haben.
In die höchsten Regionen des modernen Gesellschaftsdramas strebt Schnitzler
mit seinem „Zwischenspiel“, das kühl, fast geringschätzig abgelehnt wurde. Es ist
auch eines der schwächsten Stücke dieses Antors. Schnitzler will darin eine Menge
beweisen, Dinge, die sich zum Teil von selbst verstehen, zum anderen Teil nicht beweisen
lassen. Daß eine Ehe, lediglich als Kameradschaft bestehend, nicht haltbar ist,
bedarf kaum einer seriösen Argumentation und ist als Lustspielthema schon oft mit
Glück abgewandelt worden; daß eine Frau zuerst durch die Tat einwilligt, diese
Kameradschaft wieder in eine Ehe uumzuwandeln und unmittelbar hinterher die
Fortführung diefer Ehe verweigert, as wird Schnitzler trotz der Sophismen des
Dialogs niemand glauben. Dieser Diulog ist in dem Stücke alles; es ist ein Dialog
an sich, ohne lebenskräftige Menschen, die dahinterstehen und ihn bewirken. Vielleicht
wollte Schnitzler zeigen, wie einer seine Frau verliert, weil er sie in einer übel
gedeuteten Anwandlung in die Freiheit entlassen hat und dann nicht mehr gewinnen
kann, weil sie in dieser Freiheit eine andere geworden ist, weil ihr dieselbe eine
Umwertung ihres ganzen Wesens zur Ehefremdheit bedeutet hat, während sie ihm
nur ein „Zwischenspiel“ war. Aber um diesen Gedankengang klar auszuarbeiten,
hätte der ganze Kameradschaftshandel, hätte die Einführung der albernen Figur
des Fürsten entfallen müssen, hätte vor allem im Wege des Bühnenerlebnisses
gezeigt werden müssen, was aus der Gattin und Mutter die Abenteuerin macht,
ein Moment, der Angelpunkt der Katastrophe, den Schnitzler mit ein paar Phrasen
eher verschleiert als markiert. So wie Schnitzter es auf die Bühne stellt, ist das
Zwischenspiel ein chaotisches, verworrenes Wortgefecht, aus dem niemand klug wird,
niemand Eindrücke und überzeugungen gew innt, eine mit Gesten rezitierte, lang¬
weilige und unglaubwürdige Novelle. In deer Darstellung war demgemäß natürlich
auch nichts zu holen: Herr Kainz und Frei Witt konnten nicht mehr als eine
stellenweise stärker pointierte, aber im ganz en alltägliche Konversation ohne Aus¬
tragung wirksamer Konflikte durchführen.