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20 Zuischensniel
D
Jeuilleton.
□
Berliner Theater.
Arthur Schnitzlers „Zwischenspiel“*)
Ein neues dramatisches Werk Arthur Schnitzlers fesselte
am Samstag im Lessingtheater außerordentlich. Die ersten
beiden Akte bedeuteten einen vollen Erfolg, der letzte freilich
weckte mit seiner mathematisch=gehirnmäßigen Austragung des
Gefühls=Widerstreites auch die Zeichen des Mißfallens.
Schnitzler arbeitet in diesem Drama wieder, wie so oft,
als ein experimentierender Chemiker seelischer Zustände. Eine
Komödie der Gefühlsirrungen ist sein Stück, in dem die
Menschen sich selbst betrügen und in dem schmerzlich ironische
Erkenntnis das letzte Wort spricht: niemand kennt den andern
und niemand kennt sich selbst. Man gleitet an einander vor¬
über, sucht sich zu halten und verliert, wenn man glaubt,
daß man gefunden.
Ein Ehefall ist der Stoff, und das Menschliche dabei
empfängt eine stärkere Verwickelung dadurch, daß der Mann
und die Frau, Amadeus und Cäcilie, er Komponist, sie
Sängerin, eine künstlerische Gemeinschaft voll ganz einzigen
Verständnisses haben.
In der Kunst sind sie eins, aber ihre Lebenseinheit ist
nicht mehr fest, fremde Leidenschaften haben sich zersetzend
eingemischt. Den Mann zieht es nach einer anderen Frau,
und Cäcilie hört, vernachlässigt und gekränkt, auf die Wer¬
bungen des jungen Fürsten Siegismund. Amadeus, immer
im Bann seiner Augenblicks=Phantasien und Vorstellungen,
will sich seine Frau, die künstlerische Gefährtin, die ihm
durch niemanden ersetzt werden kann, als Kameradin, als
Freundin erhalten. Und Cäcilie sagt mit schmerzlich=zucken¬
dem Mund dazu Ja und er merkt nicht, wie diese Lebens¬
form, auf deren Wahrheit und Echtheit er so stolz ist, ein
Selbstbetrug und eine Gefühlsvergewaltigung dieser Frau ist.
Das wird nun die innere Handlung des Stückes.
Der zweite Akt spielt nach längerem Zwischenraum und
bringt das Wiedersehen dieser Freundes=Gatten unter
er
neuen Bedingungen.
Amadeus ist von der Augenblicksleidenschaft geheist: Ge¬
banken und Erinnern, die Trennung von Cäcilie, die auf einem
Castspiel Triumphe feiert, eine uneingestandene Eifersucht auf
alles, was sie erleben könnte, geben ihrem Bilde frische reizende
Züge.
Als sie nun gar kommt, mit einem Glanz in den Augen
and einem Klang in der Stimme, der ihm fremd, berauscht
sie ihn. Die Rollen sind nun getauscht. Er liebt wieder
und sie, die sich mühsam überwunden, erschrickt und erinnert
— ——
*) Die Buchausgabe ist bei S. Fischer, Verlag erschienen.!
ihn an ihr Freundschaftsbündnis. Doch er in der Verwirrung!
der begehrenden Sinne umstrickt sie und nimmt sie wie eine
Geliebte. Es begiebt sich hier etwas ähnliches wie in jener
verhängnisvollen Liebesnacht des Goethischen Ehepaares der
„Wahlverwandtschaften“.
Cäcilie ist nun so gezeichnet, daß dies Erlebnis voll Trug
und Phantom für sie eine unheilbare Gefühlsverletzung be¬
deutet. Amadeus, der sie wiedergewonnen glaubt, hat sie
jetzt wirklich verloren. Sie geht von ihm, aus Angst vor
einem noch schlimmeren Ende.
Schnitzler ist hier ganz der Wissende, der mit scharfem
Licht in alle Schleichwege der Seele, in alle verborgenen Win¬
kel, wo Selbstbetrug und die umnebelnden Spuckgeister der
Triebe lauern, hineinleuchtet. Aber siel seiner und viel¬
fältiger hätte er diese Psychologie mit ihren dopvelten Böden,
Verwechslungen und Verwandlungen in der Novelle und im
Roman spielen lassen können.
Die dramatische Technik wirkt hier allzu beschränkend
Um diese so versponnenen, widerspruchsvollen, immer auf
Messerschneide schwebenden Situationen und Zustände klar zu¬
legen, müssen die Personen auf Kosten ihrer Unbewußtheit
allzu sondierend und haarscharf sich über sich aussprechen.
So anregend und geistreich diese Gefühlsdialektik in den ersten¬
Akten ist, so schädlich wird sie dem Werk im letzten Akt.
Denn hier wird Cäcilie, ohne Rücksicht auf ihre Menschlich¬
keit zu der Rolle einer die Dinge auseinandersetzenden Wort¬
führerin für den Dichter.
Hier kommt das Begriffliche, das überwiegend Gedank¬
liche von Schnitzlers Persönlichkeit etwas erkältend heraus.
Man merkl die Gleichung und das Erperiment, und die frostiges
Luft in einer Sitnation. in der das Gefühl hochgespannt sein
müßte, ward der anteilsvollen Aufnahme im letzten Augen¬
blicke hinderlich.
Für die Gestaltung sind diese Figuren sehr spröde. Bas¬
sermann, gleich Schnitzler ein Künstler des Wissens voms
Leben, traf alle Stimmungen der Selbsttäuschung, der bereitens
Gr
####
Selbstüberredung, der hoffend=zweifelnden Erwa#tungen; Irenes
Triesch war die Cäcilia, und ihr gelang am besten das
Schmerzhaft=Schwebende des ersten Aktes, in dem ihr Mund¬
ihrem Herzen widersprechen muß und sie den Abgrund fühl¬
bar macht, der zwei Menschen trennt.
Im Schauspielhaus ging am gleichen Abend eine roman¬
tische Komödie“ „Der Froschkönig“ von Dietrick Eckart
in Szeue, die nicht sehr günstig gewirkt haben soll. Ein#
Manolesen=Stoff gibt die Handlung: Erfolge, Abenteuer eines
„großzügigen“ Ueberspitzbuben, der schließlich bekehrt wird und
auf seine Veute, das Kommerzienrats=Töchterlein, verzichtet.
Kein übles Thema, doch sollen Rührseligkeit und Langeweiletz
den an sich originellen Keim erstickt haben.
Berlin, 26. November.
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20 Zuischensniel
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Jeuilleton.
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Berliner Theater.
Arthur Schnitzlers „Zwischenspiel“*)
Ein neues dramatisches Werk Arthur Schnitzlers fesselte
am Samstag im Lessingtheater außerordentlich. Die ersten
beiden Akte bedeuteten einen vollen Erfolg, der letzte freilich
weckte mit seiner mathematisch=gehirnmäßigen Austragung des
Gefühls=Widerstreites auch die Zeichen des Mißfallens.
Schnitzler arbeitet in diesem Drama wieder, wie so oft,
als ein experimentierender Chemiker seelischer Zustände. Eine
Komödie der Gefühlsirrungen ist sein Stück, in dem die
Menschen sich selbst betrügen und in dem schmerzlich ironische
Erkenntnis das letzte Wort spricht: niemand kennt den andern
und niemand kennt sich selbst. Man gleitet an einander vor¬
über, sucht sich zu halten und verliert, wenn man glaubt,
daß man gefunden.
Ein Ehefall ist der Stoff, und das Menschliche dabei
empfängt eine stärkere Verwickelung dadurch, daß der Mann
und die Frau, Amadeus und Cäcilie, er Komponist, sie
Sängerin, eine künstlerische Gemeinschaft voll ganz einzigen
Verständnisses haben.
In der Kunst sind sie eins, aber ihre Lebenseinheit ist
nicht mehr fest, fremde Leidenschaften haben sich zersetzend
eingemischt. Den Mann zieht es nach einer anderen Frau,
und Cäcilie hört, vernachlässigt und gekränkt, auf die Wer¬
bungen des jungen Fürsten Siegismund. Amadeus, immer
im Bann seiner Augenblicks=Phantasien und Vorstellungen,
will sich seine Frau, die künstlerische Gefährtin, die ihm
durch niemanden ersetzt werden kann, als Kameradin, als
Freundin erhalten. Und Cäcilie sagt mit schmerzlich=zucken¬
dem Mund dazu Ja und er merkt nicht, wie diese Lebens¬
form, auf deren Wahrheit und Echtheit er so stolz ist, ein
Selbstbetrug und eine Gefühlsvergewaltigung dieser Frau ist.
Das wird nun die innere Handlung des Stückes.
Der zweite Akt spielt nach längerem Zwischenraum und
bringt das Wiedersehen dieser Freundes=Gatten unter
er
neuen Bedingungen.
Amadeus ist von der Augenblicksleidenschaft geheist: Ge¬
banken und Erinnern, die Trennung von Cäcilie, die auf einem
Castspiel Triumphe feiert, eine uneingestandene Eifersucht auf
alles, was sie erleben könnte, geben ihrem Bilde frische reizende
Züge.
Als sie nun gar kommt, mit einem Glanz in den Augen
and einem Klang in der Stimme, der ihm fremd, berauscht
sie ihn. Die Rollen sind nun getauscht. Er liebt wieder
und sie, die sich mühsam überwunden, erschrickt und erinnert
— ——
*) Die Buchausgabe ist bei S. Fischer, Verlag erschienen.!
ihn an ihr Freundschaftsbündnis. Doch er in der Verwirrung!
der begehrenden Sinne umstrickt sie und nimmt sie wie eine
Geliebte. Es begiebt sich hier etwas ähnliches wie in jener
verhängnisvollen Liebesnacht des Goethischen Ehepaares der
„Wahlverwandtschaften“.
Cäcilie ist nun so gezeichnet, daß dies Erlebnis voll Trug
und Phantom für sie eine unheilbare Gefühlsverletzung be¬
deutet. Amadeus, der sie wiedergewonnen glaubt, hat sie
jetzt wirklich verloren. Sie geht von ihm, aus Angst vor
einem noch schlimmeren Ende.
Schnitzler ist hier ganz der Wissende, der mit scharfem
Licht in alle Schleichwege der Seele, in alle verborgenen Win¬
kel, wo Selbstbetrug und die umnebelnden Spuckgeister der
Triebe lauern, hineinleuchtet. Aber siel seiner und viel¬
fältiger hätte er diese Psychologie mit ihren dopvelten Böden,
Verwechslungen und Verwandlungen in der Novelle und im
Roman spielen lassen können.
Die dramatische Technik wirkt hier allzu beschränkend
Um diese so versponnenen, widerspruchsvollen, immer auf
Messerschneide schwebenden Situationen und Zustände klar zu¬
legen, müssen die Personen auf Kosten ihrer Unbewußtheit
allzu sondierend und haarscharf sich über sich aussprechen.
So anregend und geistreich diese Gefühlsdialektik in den ersten¬
Akten ist, so schädlich wird sie dem Werk im letzten Akt.
Denn hier wird Cäcilie, ohne Rücksicht auf ihre Menschlich¬
keit zu der Rolle einer die Dinge auseinandersetzenden Wort¬
führerin für den Dichter.
Hier kommt das Begriffliche, das überwiegend Gedank¬
liche von Schnitzlers Persönlichkeit etwas erkältend heraus.
Man merkl die Gleichung und das Erperiment, und die frostiges
Luft in einer Sitnation. in der das Gefühl hochgespannt sein
müßte, ward der anteilsvollen Aufnahme im letzten Augen¬
blicke hinderlich.
Für die Gestaltung sind diese Figuren sehr spröde. Bas¬
sermann, gleich Schnitzler ein Künstler des Wissens voms
Leben, traf alle Stimmungen der Selbsttäuschung, der bereitens
Gr
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Selbstüberredung, der hoffend=zweifelnden Erwa#tungen; Irenes
Triesch war die Cäcilia, und ihr gelang am besten das
Schmerzhaft=Schwebende des ersten Aktes, in dem ihr Mund¬
ihrem Herzen widersprechen muß und sie den Abgrund fühl¬
bar macht, der zwei Menschen trennt.
Im Schauspielhaus ging am gleichen Abend eine roman¬
tische Komödie“ „Der Froschkönig“ von Dietrick Eckart
in Szeue, die nicht sehr günstig gewirkt haben soll. Ein#
Manolesen=Stoff gibt die Handlung: Erfolge, Abenteuer eines
„großzügigen“ Ueberspitzbuben, der schließlich bekehrt wird und
auf seine Veute, das Kommerzienrats=Töchterlein, verzichtet.
Kein übles Thema, doch sollen Rührseligkeit und Langeweiletz
den an sich originellen Keim erstickt haben.
Berlin, 26. November.
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