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20. Zuischensniel
kg. Im Berliner Lessing=Theater ist es Arthur
Schnitzlers dreiaktiger Komödie Zwischenspiel gelungen,
sich beim Publikum durchzusetzen und eine Aufnahme zu er¬
zielen, die dem Stücke in Wien versagt worden war. So be¬
steht also die große Wahrscheinlichkeit, daß es sich in diesem
Falle um ein verhältnismäßig brauchbares Beispiel für die
Erkenntnis des differenten genins loei in Sachen des ästheti¬
schen Urteils handelt. Ob aber nun die Wiener oder die
Berliner sich hier des höheren Standpunktes bemächtigten, ist
nicht leicht zu entscheiden. Wir selbst halten diese Schnitzlersche
Komödie fur das beste, weil inhaltlich reichste Bühnenstück,
das uns bisher aus seinen Leistungen vorgeführt
wurde, aber dabei müssen wir auch gestehen, daß
der Name Schnitzler auf dem Theaterzettel uns nicht
in
ausschweifende Erwartungen zu
verleiten pflegte.
Seit Sonnabend hat sich das immerhin verbessert. Des Autors
Streben, sich aus dem allzu merklichen Epigonentum herauszu¬
arbeiten, darf nunmehr ernster genommen werden. Freilich
wird er noch zeigen müssen, daß er wirklich die Kraft besitzt,
den Sinn seines freigewählten Problems für einen ganzen
Abend klar festzuhalten und statt einer uneinheitlichen Galerie
szenischer Miniaturen das in Aufstieg und Ablauf harmo¬
nierende Wandelpanorama zu schaffen, mit dem ein
rechtes Schauspiel zu vergleichen immer möglich sein
muß. Vielleicht hatten die Wiener Premierenbesucher
aber nicht so sehr an diesen inneren Unfertigkeiten
des Zwischenspiels als an dem allerdings befremdenden
Halbdunkel Anstoß genommen, in das Schnitzlers Absichten
sich bei der Diktionsführung hier noch mehr als sonst ein¬
gehüllt haben. In Berlin liebt man das parabolische Hin¬
durchschwirren des Sarkasmus über alles und weiß ihn mit
einer Hingabe aufzusuchen, oder vielmehr im Fluge zu erhaschen,
die wahrscheinlich nirgends ihresgleichen findet. Deutlich war
während dieser Erstaufführung zu bemerken, wie die Hörer bei
allen den geistig equilibrierenden Dialogen nicht nur mit¬
arbeiteten, sondern sie sich mehrfach zum entschiedenen Vorteil
des Dichters auslegerisch ergänzten. Man nahm tatsächlich
einige Stellen tiefer, als sie gedacht waren, oder wenigstens
dem Habitus des Gefüges nach gedacht sein können,
und bewunderte gerade solche
Würfe, die doch
nur wegen der künstlichen Abschüssigkeit des glatten
Wortgeplänkels ihr Ziel erreichten, genau so simpel, wie die
in der Laufrinne rückbeförderte Kegelkugel den Sammelkasten.
Arthur Schnitzler hat also bei uns den Boden gefunden, den
er zur absolut vorteilhaften Ergänzung des in Wirklichkeit
von ihm Geleisteten brauchte, aber die Wiener haben diesmal,
wenn auch vielleicht minder subtil, so doch unbefangener ge¬
G0
erbeurschen Ruge
den 28. November
benutzen, hätte er das Bühnenkind zwar entbehren
können, aber es soll wohl ein lebendes Zeugnis
für dasjenige bilden, was ein so geistgerüsteter Dichter alles
verschmäht. Mit dem zweiten Akt kommt Cäcilie im Triumph
von einem kolossalen Gastspiel zurück, Amadeus Adams aber
hat in einem stillen Alpental geschwelgt — sein Librettist
Albertus Rhon diente dabei als Chaperon ohne Einspruchs¬
recht —, hat von der Verführerin dann den Abschied erhalten
und das Erlebnis gut verwunden. Man spricht sich nochmals
aus. Fürst Sigismund war Cäcilien stets als ihr stiller
Schäfer gefolgt, was ihr eigenes Verlangen gerade jetzt bis
zum entscheidenden Grade erhitzt hat. In ihrer Sehnsucht ist
sie eine andere geworden, und in diese andere verliebt sich
Herr Adams. Jene neue Aussprachszene, deren Länge man
nicht fühlt weil alles darin bald funkelt, bald nachglüht,
bald irisiert, opalißiert—oder tübradorisiert, entschied
auch den Erfolg, und er war, wenn feine Klein¬
arbeit ihn
rechtfertigen kann, wohlverdient. Ob¬
gleich Frau Cäcilie eine „Gefahr für uns beide“ darin sieht,
ergibt sie sich zuletzt doch dem Liebeswerben des Herrn
Kameraden. Beim Fallen des Vorhanges fragte man sich,
was der Schlußakt in aller Welt noch bringen könne. E
ließ uns dem Versuche zusehen, die schon allzuweit vorge¬
schrittene Entwicklung psychologisch zurückzukrempeln, und das
hat Schnitzler mit einer Geschicklichkeit und Umsicht unter¬
nommen, die auch den Gegner für seine Kunst einnehmen
muß. Adams erhält Cäciliens Absage. Sie hat, wiewohl der
Fürst in einer erheiternden und doch nicht komisch gehaltenen
Szene dem Gatten das Feld räumt, jetzt eingesehen, daß ihre
Ehe ein Trugbild ohne echten Halt war, und daß gerade
die freien Aussprachen Spiegelfechterei gewesen seien, bei der nur
die heuchlerische Furcht das Wort führte. Beide hatten sie sich
der natürlichen Empfindung geschämt und einander etwas vor¬
stolziert; die Eifersucht war als unwürdige Regung im Herzen
eingesperrt worden und hatte dort die Liebe heimlich zu
schanden gebissen. Aber beim Ende, als Adams schon
seufzend verschwunden ist, lebt sie wieder auf, — und nun ist's
eben Unsinn geworden. Schnitzler hätte ruhig der Außenwelt,
die einmal schon mit ihrem nüchternen Urteil in diese nutzlose
Seelenrösterei hineinlugt, die entscheidende Wendung anheim¬
stellen sollen: daß nämlich zwei so vornehm denkende Menschea
nicht unter dem dringenden Verdacht beisammenleben können,
mit einem dritten, hier dem Fürsten, unlauteres Spiel ge¬
trieben zu haben. Zur Hälfte ist
das sogar wahr,
es gedeiht in diesem Zwischenspiel eben alles genau
bis zur Hälfte. Adams wirft seinem Freunde Rhon,
der sacht zur Possenfigur absinkt, einmal vor,
kenne das Leben nicht. Die Aeußerung trifft durch den einen
Dichter hindurch den anderen; Schnitzler schwebt in Gefahr,
vor lauter Seelenleben das Leben neben den Seelen nach¬
gerade zu verpassen. Ein längeres Zaudern vor der Schwelle
plastischer Gestaltungskunst könnte ihm nur zum Nachteil aus¬
schlagen, den Gewinn in Frage stellen. — Die Darsteller der
Ehegatten, Albert Bassermann und Irene Triesch, hatten
den Abend hindurch die Bühne vorwiegend für sich allein.
Frl. Triesch gebührt die Anerkennung, daß sie das Stück
durch ihr Hineinleben in das Wesen der klugen und guten
Cäcilie und durch die feinfühlige, sauber nuancierte Aus¬
gestaltung der Rolle überhaupt möglich gemacht hat. Ihr
Partner hatte schon die Maske verfehlt und ließ auch den Brause¬
kopf lange nicht genug zum Vorschein kommen. Nervosität durch
gelegentliches Fingerspiel markieren reicht nicht hin, und die
Widersprüche im Denken des wortgewandten Tonmeisters
brauchen entsprechende Reflexe. Noch so fleißiges Dozieren
verwischt sie eher; bisweilen schien es, als sei der Künstler
20. Zuischensniel
kg. Im Berliner Lessing=Theater ist es Arthur
Schnitzlers dreiaktiger Komödie Zwischenspiel gelungen,
sich beim Publikum durchzusetzen und eine Aufnahme zu er¬
zielen, die dem Stücke in Wien versagt worden war. So be¬
steht also die große Wahrscheinlichkeit, daß es sich in diesem
Falle um ein verhältnismäßig brauchbares Beispiel für die
Erkenntnis des differenten genins loei in Sachen des ästheti¬
schen Urteils handelt. Ob aber nun die Wiener oder die
Berliner sich hier des höheren Standpunktes bemächtigten, ist
nicht leicht zu entscheiden. Wir selbst halten diese Schnitzlersche
Komödie fur das beste, weil inhaltlich reichste Bühnenstück,
das uns bisher aus seinen Leistungen vorgeführt
wurde, aber dabei müssen wir auch gestehen, daß
der Name Schnitzler auf dem Theaterzettel uns nicht
in
ausschweifende Erwartungen zu
verleiten pflegte.
Seit Sonnabend hat sich das immerhin verbessert. Des Autors
Streben, sich aus dem allzu merklichen Epigonentum herauszu¬
arbeiten, darf nunmehr ernster genommen werden. Freilich
wird er noch zeigen müssen, daß er wirklich die Kraft besitzt,
den Sinn seines freigewählten Problems für einen ganzen
Abend klar festzuhalten und statt einer uneinheitlichen Galerie
szenischer Miniaturen das in Aufstieg und Ablauf harmo¬
nierende Wandelpanorama zu schaffen, mit dem ein
rechtes Schauspiel zu vergleichen immer möglich sein
muß. Vielleicht hatten die Wiener Premierenbesucher
aber nicht so sehr an diesen inneren Unfertigkeiten
des Zwischenspiels als an dem allerdings befremdenden
Halbdunkel Anstoß genommen, in das Schnitzlers Absichten
sich bei der Diktionsführung hier noch mehr als sonst ein¬
gehüllt haben. In Berlin liebt man das parabolische Hin¬
durchschwirren des Sarkasmus über alles und weiß ihn mit
einer Hingabe aufzusuchen, oder vielmehr im Fluge zu erhaschen,
die wahrscheinlich nirgends ihresgleichen findet. Deutlich war
während dieser Erstaufführung zu bemerken, wie die Hörer bei
allen den geistig equilibrierenden Dialogen nicht nur mit¬
arbeiteten, sondern sie sich mehrfach zum entschiedenen Vorteil
des Dichters auslegerisch ergänzten. Man nahm tatsächlich
einige Stellen tiefer, als sie gedacht waren, oder wenigstens
dem Habitus des Gefüges nach gedacht sein können,
und bewunderte gerade solche
Würfe, die doch
nur wegen der künstlichen Abschüssigkeit des glatten
Wortgeplänkels ihr Ziel erreichten, genau so simpel, wie die
in der Laufrinne rückbeförderte Kegelkugel den Sammelkasten.
Arthur Schnitzler hat also bei uns den Boden gefunden, den
er zur absolut vorteilhaften Ergänzung des in Wirklichkeit
von ihm Geleisteten brauchte, aber die Wiener haben diesmal,
wenn auch vielleicht minder subtil, so doch unbefangener ge¬
G0
erbeurschen Ruge
den 28. November
benutzen, hätte er das Bühnenkind zwar entbehren
können, aber es soll wohl ein lebendes Zeugnis
für dasjenige bilden, was ein so geistgerüsteter Dichter alles
verschmäht. Mit dem zweiten Akt kommt Cäcilie im Triumph
von einem kolossalen Gastspiel zurück, Amadeus Adams aber
hat in einem stillen Alpental geschwelgt — sein Librettist
Albertus Rhon diente dabei als Chaperon ohne Einspruchs¬
recht —, hat von der Verführerin dann den Abschied erhalten
und das Erlebnis gut verwunden. Man spricht sich nochmals
aus. Fürst Sigismund war Cäcilien stets als ihr stiller
Schäfer gefolgt, was ihr eigenes Verlangen gerade jetzt bis
zum entscheidenden Grade erhitzt hat. In ihrer Sehnsucht ist
sie eine andere geworden, und in diese andere verliebt sich
Herr Adams. Jene neue Aussprachszene, deren Länge man
nicht fühlt weil alles darin bald funkelt, bald nachglüht,
bald irisiert, opalißiert—oder tübradorisiert, entschied
auch den Erfolg, und er war, wenn feine Klein¬
arbeit ihn
rechtfertigen kann, wohlverdient. Ob¬
gleich Frau Cäcilie eine „Gefahr für uns beide“ darin sieht,
ergibt sie sich zuletzt doch dem Liebeswerben des Herrn
Kameraden. Beim Fallen des Vorhanges fragte man sich,
was der Schlußakt in aller Welt noch bringen könne. E
ließ uns dem Versuche zusehen, die schon allzuweit vorge¬
schrittene Entwicklung psychologisch zurückzukrempeln, und das
hat Schnitzler mit einer Geschicklichkeit und Umsicht unter¬
nommen, die auch den Gegner für seine Kunst einnehmen
muß. Adams erhält Cäciliens Absage. Sie hat, wiewohl der
Fürst in einer erheiternden und doch nicht komisch gehaltenen
Szene dem Gatten das Feld räumt, jetzt eingesehen, daß ihre
Ehe ein Trugbild ohne echten Halt war, und daß gerade
die freien Aussprachen Spiegelfechterei gewesen seien, bei der nur
die heuchlerische Furcht das Wort führte. Beide hatten sie sich
der natürlichen Empfindung geschämt und einander etwas vor¬
stolziert; die Eifersucht war als unwürdige Regung im Herzen
eingesperrt worden und hatte dort die Liebe heimlich zu
schanden gebissen. Aber beim Ende, als Adams schon
seufzend verschwunden ist, lebt sie wieder auf, — und nun ist's
eben Unsinn geworden. Schnitzler hätte ruhig der Außenwelt,
die einmal schon mit ihrem nüchternen Urteil in diese nutzlose
Seelenrösterei hineinlugt, die entscheidende Wendung anheim¬
stellen sollen: daß nämlich zwei so vornehm denkende Menschea
nicht unter dem dringenden Verdacht beisammenleben können,
mit einem dritten, hier dem Fürsten, unlauteres Spiel ge¬
trieben zu haben. Zur Hälfte ist
das sogar wahr,
es gedeiht in diesem Zwischenspiel eben alles genau
bis zur Hälfte. Adams wirft seinem Freunde Rhon,
der sacht zur Possenfigur absinkt, einmal vor,
kenne das Leben nicht. Die Aeußerung trifft durch den einen
Dichter hindurch den anderen; Schnitzler schwebt in Gefahr,
vor lauter Seelenleben das Leben neben den Seelen nach¬
gerade zu verpassen. Ein längeres Zaudern vor der Schwelle
plastischer Gestaltungskunst könnte ihm nur zum Nachteil aus¬
schlagen, den Gewinn in Frage stellen. — Die Darsteller der
Ehegatten, Albert Bassermann und Irene Triesch, hatten
den Abend hindurch die Bühne vorwiegend für sich allein.
Frl. Triesch gebührt die Anerkennung, daß sie das Stück
durch ihr Hineinleben in das Wesen der klugen und guten
Cäcilie und durch die feinfühlige, sauber nuancierte Aus¬
gestaltung der Rolle überhaupt möglich gemacht hat. Ihr
Partner hatte schon die Maske verfehlt und ließ auch den Brause¬
kopf lange nicht genug zum Vorschein kommen. Nervosität durch
gelegentliches Fingerspiel markieren reicht nicht hin, und die
Widersprüche im Denken des wortgewandten Tonmeisters
brauchen entsprechende Reflexe. Noch so fleißiges Dozieren
verwischt sie eher; bisweilen schien es, als sei der Künstler