20. Zwischenspiel box 25/2
dennoch an ihm fesselt, ist ein gewisser schwermungen¬
Kunst und Wissenschaft.
=Leichtsinn, der über dem Ganzen wie halbe Herbstbeleuchtung liegt,
G
Berlin, 27. November. eine mit tändelnder Satire und überlegener Itonie durchsetzte Weh¬
Zwischenspiel. Komödie in drei Akten von Arthur
mut um verschollene Seligkeiten ist die seine Kunst, mit der Schnitzler
Schleier auf Schleier von den Seelen hebt und wieder senkt, ist die sauber
Schnitzler. Erstaufführung im Lessingtheater am
geschliffene Art, mit der selbst retardierende Momente, die bei
25. November.
anderen Dichtern ermüden würden, zu kleinen Zierraten psycholo¬
Ich kunn mich in der Besprechung dieser neuesten Schnitzelei
gischer Schmiedekunst berausgearbeitet werden. Vor allem aber
kurz fassen. Sie ist wieder nichts als eine dreiaktige Witzelei
fesselt uns das sichere Gefühl, hier von der Hand eines vornehmen
über die Ehe, die — nach Schnitzler — in ihren Konsequenzen
Künstlers auf so absonderliche Nebenpfade der Dramatik geleitet
zum Ekel führt, während die Ehebrecherei, das Sündigen
zu werden, eines Künstlers, der jedes Mittel alter Routine, jeden
mit anderen als Ideal der Sittlichkeit empfohlen wird. Dies
getretenen Pfad, jeden abgenutzten Steg. jeden Ueberrumpelungs¬
wird verdeutlicht in einem drei Akte langen Dialog zwischen
versuch unserer Empfindung nach plumper Sudermannsart — stolz!
verschmäht. Wir waren in guter Gesellschaft ..
zwei Eheleuten. In der Tat treten die anderen Gestalten des
Und Philipp Stein schreibt im Lokal=Anzeiger u. a.:
Stückes dermaßen sporadisch auf, daß wir uns fast den ganzen
Schnitzler gibt eine Dichtung, die auch über den Teaterabend
Abend über mit den sauberen Ehegatten allein sehen und
hinaus wirken wird. Die psychologischen Uebergänge, die er aus
deren unsäglich seichtes Geschwätz über ihren „Seelenzustand“
den Temperamenten seiner Menschen entwickelt, sind geradezu be¬
mit anhören müssen. Das wird dann „Psychologie“ genannt
wundernswürdig. Der Dialog, der nur im Schlußakt mil¬
und von gleichgestimmten Seelen angestaunt.
unter ein wenig an Unmittelbarkeit verliert, ist lebendig,
Und was ist's mit dieser „tiefsinnigen“ Seelenanalyse? geistvoll und stets
individualisiert durchgeführt.
Ein
Ein Mann und eine Frau, die in siebenjähriger Ehes leiser: feiner
mitunter ironischer Humor liegt über
glücklich mit einander gelebt haben, entdecken, daß ihre gegen= dem Ganzen, prächtig sind die Charaktete durchgeführt, und über¬
zeugend klar wird, wie die beiden Gatten nach ihrer verschiedenen
seitige Neigung erlischt. Naturlich steht hinter ihr ein junger Veranlagung die Zwischenspiele ihrer Ehe so völlig verschieden auf¬
Fürst als Liebhaber, hinter ihm eine verheiratete Gräfin als nehmen und durchführen.
Die feine, onregende Dichtung
Verführerin. Was tun? Man trennt sich eben. Jeder läuft
beitzt eine solche Füll= von Schönheiten und tiefen Gedanken,
seinem „Verhältnis“ nach. Aber darum keine Feindschaft!
daß andere, handfeste Dramatiker damit ein Dutzend Stücke be¬
Als gute Freunde und Kameraden können die beiden
streiten könnten.“
ruhig weiter verkehren. Wozu sollen sie ihre schöne,
Wie sagt doch der Vater der Maria Magdalena am Schluß
behagliche Wohnung aufgeben? Wozu ihre musikali¬
des Hebbelschen Trauerspiels
schen Unterhaltungen abbrechen? Uebrigens ist auch ein
„Ich verstehe die Welt nicht mehr!“
Bubi da. Und das arme Kind braucht doch nichts zu merken
wegen der „Erziehung“. Ergo: es entstehen zwei Kon¬
Paul Lerch
kubinate unter einem Dach. Zwar „passiert nichts“. Aber,
*
wie die Frau ganz richtig bemerkt: die Ehebrecherei in Ge¬
Ferdinand Bonns Berliner Theater. Zum ersten
danken, die jeden Augenblick zur Tat bereit steht, ist von der
Male: „Annemarie“. Lustspiel in drei Aktien nach Israsl
Tat selbst nicht unterschieden. Und diese Frau ruft ihrem
Zangwill von Kurt Berns.
Manne fast frohlockend zu: „Ja, ich stehe mit offenen
Herr Direktor Bonn tut nicht gut darau, hartnäckig gegen#
Armen voll Erwartung da.“ In diesem Zustand aber
den alten Spruch zu handeln: qui trop embrasse mal étreint.
weckt sie wieder die Leidenschaft ihres früheren Gatten
Er mutet sich und auf die Dauer auch den wohlwollenden
und jetzigen Zuhälters. Grade so will er seine Frau
Zuhörern zu viel zu. Schon Monate vor Eröffnung seines
haben. Noch einmal sinken sich die beiden um den Hals und
Theates war eine gewisse Clique in der Kritik fleißig an der
es entsteht — ein drittes Konkubinat. (Ende des zweiten
Arheit gegen die neue Leitung des Berliner Theaters. Wir
Aktes). Von langer Dauer ist es freilich nicht. Denn am
haben das mißbilligt, bedauern es aber um so mehr, wenn
Schluß des dritten Aktes reist das Ehepaar a. D. nach ent¬
überwollende Kritik geradezu herausgefordert wird. Dinge,
gegengesetzter Richtung ab. Er, der Zuhälter, nach dem
bei denen man sonst vielleicht ein Juge zudrücken würde,
Süden — sie, die Dirne, nach Norden. Und was wird aus
gewinnen dadurch eine schlimme Bedeutung. Um hochgesteckte
dem Kinde? Dumme Frage
künstlerische Ziele zu erreichen, muß man in erster Linie existenz¬
Die „Psychologie“ besteht nun darin, daß beide Parleien
fähig bleiben.
ihren Standpunkt anderthalb Stunden lang „begründen“.
Der virtuose „Kean“, der geistvolle „Hamlet“ wurde am
Was denn auch durch den Autor mit einer Kette ausgesucht
Sonnabend abgelöst von einem klotzig zugehauenen Musikus
raffiaierter Frivolitäten „gründlich“ besorgt wird. Und solcher
in einer platten Posse. Es geht dem armen Kerl recht schlecht.!
elender Schmarren, der in Wien mit Pauken und Trompeten
Aber ein reicher Engländer spielt den Onkel aus Amerika.
durchgefallen ist, wird von dort nach Berlin abgeschoben, um Er hinterläßt der Annemarie, dem „Mädchenfür alles“ in dem
hier sein begeistertes Publikum zu finden. Jawohl! Das Hause, wo besagter Musikus Zimmerherr war, ein nettes
Beifallgeklatsch des Publikums klingt mir noch heute in den Vermögen, worauf sie ihren Musikanten heiraten kann. Aller¬
Ohren. Und sogar Männer, wie Gerhart Hauptmann und
hand Leiden meublierter Herren bilden die Folie zusse
Georg Reicke, der zweite Bürgermeister Berlins, klatschten in diesem Menschenschicksal, das Herr und Frau Bonn
er
ihren Logen verehrungsvoll in die Hände. Und Frau darzustellen versuchten. Bei ihm blitzt die Vur¬ B
Hauptmann und Frau Reicke klatschten aus Respekt vor tuosität immer noch durch. Aber die Annemarie ist beisseh
ihren einsichtsvollen Gatten mit. Und dann lese man, was ihren drastischen Possenwirkungen doch eigentlich mehr eines Z
beispielsweise Karl Strecker in der Täglichen Rundschau Figur für das Sommertheater in Kyritz an der Knatter. Der
schreibt. Nachdem er mit dem „interessantesten und begabtesten Erfolg war lärmend. Lorbeerkränze in Wagenladungenss6
Dichter des heutigen Wien“ begonnen, schließt er:
eischienen; es wird bald ein Anbau zur Aufbewahrung nötig! tör
dennoch an ihm fesselt, ist ein gewisser schwermungen¬
Kunst und Wissenschaft.
=Leichtsinn, der über dem Ganzen wie halbe Herbstbeleuchtung liegt,
G
Berlin, 27. November. eine mit tändelnder Satire und überlegener Itonie durchsetzte Weh¬
Zwischenspiel. Komödie in drei Akten von Arthur
mut um verschollene Seligkeiten ist die seine Kunst, mit der Schnitzler
Schleier auf Schleier von den Seelen hebt und wieder senkt, ist die sauber
Schnitzler. Erstaufführung im Lessingtheater am
geschliffene Art, mit der selbst retardierende Momente, die bei
25. November.
anderen Dichtern ermüden würden, zu kleinen Zierraten psycholo¬
Ich kunn mich in der Besprechung dieser neuesten Schnitzelei
gischer Schmiedekunst berausgearbeitet werden. Vor allem aber
kurz fassen. Sie ist wieder nichts als eine dreiaktige Witzelei
fesselt uns das sichere Gefühl, hier von der Hand eines vornehmen
über die Ehe, die — nach Schnitzler — in ihren Konsequenzen
Künstlers auf so absonderliche Nebenpfade der Dramatik geleitet
zum Ekel führt, während die Ehebrecherei, das Sündigen
zu werden, eines Künstlers, der jedes Mittel alter Routine, jeden
mit anderen als Ideal der Sittlichkeit empfohlen wird. Dies
getretenen Pfad, jeden abgenutzten Steg. jeden Ueberrumpelungs¬
wird verdeutlicht in einem drei Akte langen Dialog zwischen
versuch unserer Empfindung nach plumper Sudermannsart — stolz!
verschmäht. Wir waren in guter Gesellschaft ..
zwei Eheleuten. In der Tat treten die anderen Gestalten des
Und Philipp Stein schreibt im Lokal=Anzeiger u. a.:
Stückes dermaßen sporadisch auf, daß wir uns fast den ganzen
Schnitzler gibt eine Dichtung, die auch über den Teaterabend
Abend über mit den sauberen Ehegatten allein sehen und
hinaus wirken wird. Die psychologischen Uebergänge, die er aus
deren unsäglich seichtes Geschwätz über ihren „Seelenzustand“
den Temperamenten seiner Menschen entwickelt, sind geradezu be¬
mit anhören müssen. Das wird dann „Psychologie“ genannt
wundernswürdig. Der Dialog, der nur im Schlußakt mil¬
und von gleichgestimmten Seelen angestaunt.
unter ein wenig an Unmittelbarkeit verliert, ist lebendig,
Und was ist's mit dieser „tiefsinnigen“ Seelenanalyse? geistvoll und stets
individualisiert durchgeführt.
Ein
Ein Mann und eine Frau, die in siebenjähriger Ehes leiser: feiner
mitunter ironischer Humor liegt über
glücklich mit einander gelebt haben, entdecken, daß ihre gegen= dem Ganzen, prächtig sind die Charaktete durchgeführt, und über¬
zeugend klar wird, wie die beiden Gatten nach ihrer verschiedenen
seitige Neigung erlischt. Naturlich steht hinter ihr ein junger Veranlagung die Zwischenspiele ihrer Ehe so völlig verschieden auf¬
Fürst als Liebhaber, hinter ihm eine verheiratete Gräfin als nehmen und durchführen.
Die feine, onregende Dichtung
Verführerin. Was tun? Man trennt sich eben. Jeder läuft
beitzt eine solche Füll= von Schönheiten und tiefen Gedanken,
seinem „Verhältnis“ nach. Aber darum keine Feindschaft!
daß andere, handfeste Dramatiker damit ein Dutzend Stücke be¬
Als gute Freunde und Kameraden können die beiden
streiten könnten.“
ruhig weiter verkehren. Wozu sollen sie ihre schöne,
Wie sagt doch der Vater der Maria Magdalena am Schluß
behagliche Wohnung aufgeben? Wozu ihre musikali¬
des Hebbelschen Trauerspiels
schen Unterhaltungen abbrechen? Uebrigens ist auch ein
„Ich verstehe die Welt nicht mehr!“
Bubi da. Und das arme Kind braucht doch nichts zu merken
wegen der „Erziehung“. Ergo: es entstehen zwei Kon¬
Paul Lerch
kubinate unter einem Dach. Zwar „passiert nichts“. Aber,
*
wie die Frau ganz richtig bemerkt: die Ehebrecherei in Ge¬
Ferdinand Bonns Berliner Theater. Zum ersten
danken, die jeden Augenblick zur Tat bereit steht, ist von der
Male: „Annemarie“. Lustspiel in drei Aktien nach Israsl
Tat selbst nicht unterschieden. Und diese Frau ruft ihrem
Zangwill von Kurt Berns.
Manne fast frohlockend zu: „Ja, ich stehe mit offenen
Herr Direktor Bonn tut nicht gut darau, hartnäckig gegen#
Armen voll Erwartung da.“ In diesem Zustand aber
den alten Spruch zu handeln: qui trop embrasse mal étreint.
weckt sie wieder die Leidenschaft ihres früheren Gatten
Er mutet sich und auf die Dauer auch den wohlwollenden
und jetzigen Zuhälters. Grade so will er seine Frau
Zuhörern zu viel zu. Schon Monate vor Eröffnung seines
haben. Noch einmal sinken sich die beiden um den Hals und
Theates war eine gewisse Clique in der Kritik fleißig an der
es entsteht — ein drittes Konkubinat. (Ende des zweiten
Arheit gegen die neue Leitung des Berliner Theaters. Wir
Aktes). Von langer Dauer ist es freilich nicht. Denn am
haben das mißbilligt, bedauern es aber um so mehr, wenn
Schluß des dritten Aktes reist das Ehepaar a. D. nach ent¬
überwollende Kritik geradezu herausgefordert wird. Dinge,
gegengesetzter Richtung ab. Er, der Zuhälter, nach dem
bei denen man sonst vielleicht ein Juge zudrücken würde,
Süden — sie, die Dirne, nach Norden. Und was wird aus
gewinnen dadurch eine schlimme Bedeutung. Um hochgesteckte
dem Kinde? Dumme Frage
künstlerische Ziele zu erreichen, muß man in erster Linie existenz¬
Die „Psychologie“ besteht nun darin, daß beide Parleien
fähig bleiben.
ihren Standpunkt anderthalb Stunden lang „begründen“.
Der virtuose „Kean“, der geistvolle „Hamlet“ wurde am
Was denn auch durch den Autor mit einer Kette ausgesucht
Sonnabend abgelöst von einem klotzig zugehauenen Musikus
raffiaierter Frivolitäten „gründlich“ besorgt wird. Und solcher
in einer platten Posse. Es geht dem armen Kerl recht schlecht.!
elender Schmarren, der in Wien mit Pauken und Trompeten
Aber ein reicher Engländer spielt den Onkel aus Amerika.
durchgefallen ist, wird von dort nach Berlin abgeschoben, um Er hinterläßt der Annemarie, dem „Mädchenfür alles“ in dem
hier sein begeistertes Publikum zu finden. Jawohl! Das Hause, wo besagter Musikus Zimmerherr war, ein nettes
Beifallgeklatsch des Publikums klingt mir noch heute in den Vermögen, worauf sie ihren Musikanten heiraten kann. Aller¬
Ohren. Und sogar Männer, wie Gerhart Hauptmann und
hand Leiden meublierter Herren bilden die Folie zusse
Georg Reicke, der zweite Bürgermeister Berlins, klatschten in diesem Menschenschicksal, das Herr und Frau Bonn
er
ihren Logen verehrungsvoll in die Hände. Und Frau darzustellen versuchten. Bei ihm blitzt die Vur¬ B
Hauptmann und Frau Reicke klatschten aus Respekt vor tuosität immer noch durch. Aber die Annemarie ist beisseh
ihren einsichtsvollen Gatten mit. Und dann lese man, was ihren drastischen Possenwirkungen doch eigentlich mehr eines Z
beispielsweise Karl Strecker in der Täglichen Rundschau Figur für das Sommertheater in Kyritz an der Knatter. Der
schreibt. Nachdem er mit dem „interessantesten und begabtesten Erfolg war lärmend. Lorbeerkränze in Wagenladungenss6
Dichter des heutigen Wien“ begonnen, schließt er:
eischienen; es wird bald ein Anbau zur Aufbewahrung nötig! tör