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20 Zuischensniel
Der Roland von Berlin.
1803
aber ist nicht abgestorben. Das zu einem rührseligen Ueberfall mi߬
brauchte Brahmslied kann sie erst nach dreimaligem Ansatz singen. Das
Werben des guten Sigismund (Fürsten von und zu Maradas=Lohsen¬
stein)e hat sie auch im zweiten Akt noch abgewiesen (dieser Jüngling ist
auch zu dumm, als daß man es ihr verdenken könnte). Wenn sie aber
von dem faszinierenden Einfluß eines Berliner Heldentenors spricht,
dann spricht die Eitelkeit des Weibes, die an der Eifersucht des werben¬
dem Mannes wollüstig sich weidet. Oder, wenn man das lieber hört,
die Sehnsucht der Frau, den geliebten Mann siegend wiederzuerobern.
Was sie spricht von der Sehnsucht nach dem „Großen, Berauschenden“,
glaubt ihr kein Mensch. Sicher nicht in dem Sinne einer unbestimmten
Sehnsucht. Das macht, weil Schnitzler den Umschwung nicht vor uns
entstehen läßt; es soll uns genügen, wenn sie sagt: so ist es, Daß dies
im Stofflichen begründet liegt, macht den Riß begreifbar; doch es über¬
brückt ihn nicht. So gewinnt das phyfiologische Moment keine Ueber¬
zeugungskraft. Die Sache bleibt die: alles von ihr weist zur Wieder¬
hingabe an den geliebten Mann. Die Reaktion im dritten Akt bleibt
unerklärlich. Es sei denn eine Lanne. Es sei denn das beschämende
Beipußtsein einer Ueberrumpelung. Sie wollte siegen; aber das Sieger¬
bewußtsein auch auskosten. Der Sprung vom Sieg zur Wiederhingabe
scheint ihr zu jäh . . . am nächsten Morgen. Weiberlogik spricht: er
soll noch mal erobern. Sie konstruiert eine Scheidewand ... nur auf
daß er die Mühe habe, sie niederzureißen. Sie weist ihn ab. Und er
hat nicht die Kraft, die kunstvoll verwebten Maschen ihres bewußten oder
unbewußten Selbstbetruges gewaltsam zu zerreißen. Er resigniert. Ein
Abgang kommt, auf den Sudermann stolz wäre. Er packt sein Kofferl
und zieht dahin. Vorher aber entledigt er sich seines capriccio
dolorosos oder vielleicht auch des Solos; er legt es parat für sie. Und
wie er fort ist, kommt sie wieder (sie war schnell mal rausgegangen) und
tritt die Erbschaft an. Die ersten Akkorde seiner Tondichtung zittern
durch das verlassene Heim. Dann bricht sie mit einem Aufschrei über
den Tasten zusammen. Sudermann würde sagen: das Glück pfeift. Un¬
willkürlich blickt man zur Tür, ob er nicht wiederkehrt. Er könnte ja
etwas vergessen haben. Fast möchte man sagen: dieses dritten Aktes
Stil verlangt, daß er etwas vergessen habe. Die Wiederkehr wäre das
Wiederfinden. Aber dann wäre der ganze Akt Komödie; geschmacklose
Komödie. Davor wenigstens zurück schreckte Schnitzlers besseres Ich.
Wer Anatol liebt und Sterben bewundert und den Einsamen Weg ver¬
ehrt und den Schleier der Beatrice liebt, verehrt und bewundert, dem
ist dieser dritte Akt ein Wehe. Trotz all der Für, die sich finden lassen
für die Psychologie im einzelnen
20 Zuischensniel
Der Roland von Berlin.
1803
aber ist nicht abgestorben. Das zu einem rührseligen Ueberfall mi߬
brauchte Brahmslied kann sie erst nach dreimaligem Ansatz singen. Das
Werben des guten Sigismund (Fürsten von und zu Maradas=Lohsen¬
stein)e hat sie auch im zweiten Akt noch abgewiesen (dieser Jüngling ist
auch zu dumm, als daß man es ihr verdenken könnte). Wenn sie aber
von dem faszinierenden Einfluß eines Berliner Heldentenors spricht,
dann spricht die Eitelkeit des Weibes, die an der Eifersucht des werben¬
dem Mannes wollüstig sich weidet. Oder, wenn man das lieber hört,
die Sehnsucht der Frau, den geliebten Mann siegend wiederzuerobern.
Was sie spricht von der Sehnsucht nach dem „Großen, Berauschenden“,
glaubt ihr kein Mensch. Sicher nicht in dem Sinne einer unbestimmten
Sehnsucht. Das macht, weil Schnitzler den Umschwung nicht vor uns
entstehen läßt; es soll uns genügen, wenn sie sagt: so ist es, Daß dies
im Stofflichen begründet liegt, macht den Riß begreifbar; doch es über¬
brückt ihn nicht. So gewinnt das phyfiologische Moment keine Ueber¬
zeugungskraft. Die Sache bleibt die: alles von ihr weist zur Wieder¬
hingabe an den geliebten Mann. Die Reaktion im dritten Akt bleibt
unerklärlich. Es sei denn eine Lanne. Es sei denn das beschämende
Beipußtsein einer Ueberrumpelung. Sie wollte siegen; aber das Sieger¬
bewußtsein auch auskosten. Der Sprung vom Sieg zur Wiederhingabe
scheint ihr zu jäh . . . am nächsten Morgen. Weiberlogik spricht: er
soll noch mal erobern. Sie konstruiert eine Scheidewand ... nur auf
daß er die Mühe habe, sie niederzureißen. Sie weist ihn ab. Und er
hat nicht die Kraft, die kunstvoll verwebten Maschen ihres bewußten oder
unbewußten Selbstbetruges gewaltsam zu zerreißen. Er resigniert. Ein
Abgang kommt, auf den Sudermann stolz wäre. Er packt sein Kofferl
und zieht dahin. Vorher aber entledigt er sich seines capriccio
dolorosos oder vielleicht auch des Solos; er legt es parat für sie. Und
wie er fort ist, kommt sie wieder (sie war schnell mal rausgegangen) und
tritt die Erbschaft an. Die ersten Akkorde seiner Tondichtung zittern
durch das verlassene Heim. Dann bricht sie mit einem Aufschrei über
den Tasten zusammen. Sudermann würde sagen: das Glück pfeift. Un¬
willkürlich blickt man zur Tür, ob er nicht wiederkehrt. Er könnte ja
etwas vergessen haben. Fast möchte man sagen: dieses dritten Aktes
Stil verlangt, daß er etwas vergessen habe. Die Wiederkehr wäre das
Wiederfinden. Aber dann wäre der ganze Akt Komödie; geschmacklose
Komödie. Davor wenigstens zurück schreckte Schnitzlers besseres Ich.
Wer Anatol liebt und Sterben bewundert und den Einsamen Weg ver¬
ehrt und den Schleier der Beatrice liebt, verehrt und bewundert, dem
ist dieser dritte Akt ein Wehe. Trotz all der Für, die sich finden lassen
für die Psychologie im einzelnen