II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 286

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20. Zuischensnier

Theater.
Kessingtheater: „Zwischenspiel“. Komödie in 5 Akten von Artbur Schnitzler.
Wine Dilla liegt am Meer, leuchtend und weiß, Marmor¬
stufen führen geradeaus in den blauen See.“ In
dieser Dilla wohnt die verbotene Lust.
Zwei Menschen, beide Künstler, sind eine Ehe mit¬
einander eingegangen. Jahrelang fanden sie in ihrer
=Gemeinschaft ihr Glück, dann wurde das Glück zur Gewöhnung,
und die Gewöhnung brachte den Tod der Liebe. Sie kennen
beide keinerlei äußere Rücksichtnahme auf das billige Urteil der
Leute, die konventionelle Heiligkeit der ehelichen Institution gilt
ihnen nichts. Dor der Sorge um ihr Kind steht ihnen die für
das eigene Selbst. Aber an die Kraft der Wahrheit glauben
sie. Wahrheit, rückhaltloses einander Anvertrauen soll
zwischen ihnen bestehen, auf Wahrheit soll ihre Ehe ge¬
gründet sein. Sie haben auch immer alles miteinander geteilt.
Nun die Liebe gestorben, tritt an sie beide die Versuchung ver¬
botener Lust heran.
Es ist eine Szene, in der Schnitzler seine pfrchologische
Meisterschaft, sein überlegenes auf die Menschlein Hinabschauen,
diese Szene, in der die beiden, nunk einander „Wahrheit“
geben. Was geht da vor sich? Sie beschließen ihre Ehe in
eine Kameradschaft zu wandeln, sie werden ihre künstlerischen
Interessen auch fürder miteinander teilen, sie werden ihr schönes,
friedliches Heim sich erhalten, sie werden fortfahren, gemeinsam
ihrem Kind Dater und Mutter zu sein, aber sie werden sich
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jede Freiheit nehmen, nach der es sie gelüstet. Ein leiser Wind
streicht kühlend über die Wasser, sie kräuseln sich zu neckischem
Wellengetriebe, aber in den Tiefen, — anders sieht es in den
Tiefen aus. Die Dilla am See mit den Marmorstufen liegt
dem Mkann im Sinn, der verbotene Wunsch in seinem Herzen
macht ihn taub und blind, heißt selbst die Eifersucht in seinem
Innern schweigen. Er will frei sein, seine Freiheit genießen.
Er will zugleich sich wahren, was ihm an seelischer und
zugleich häuslicher „Bequemlichkeit“ wünschenswert scheint. So
zerschneidet er ruchlos das Band, das ihn an seine Frau fesselt,
und treibt auch sie auf den bösen Weg. Und kommt sich dabei
sehr groß, sehr erhaben, sehr modern vor, in seiner Ehrlichkeit.
So sieht es um die Wahrheit aus, auf welche die beiden ihre
Ehe gründeten.
Es gibt keine Wahrheit. Aber die Leidenschaften sind
wirkliche Kräfte, und eine sehr reale Macht ist auch die Liebe.
Zu längerer Trennung, die der Beruf des Kapellmeisters
und der Sängerin mit sich bringt, gehen die beiden auseinander.
Der Mann findet in der weißen Dilla sein derb vergnügliches,
wenn auch gar vergängliches Liebesglück, die gewahrte Natur
der Frau schützt sie vor dem Aeußersten, doch spielt auch
sie mit dem Gedanken an lockende Freuden. Ein kurzes Zu¬
sammensein ist ihnen bald darauf in ihrem Heim beschieden,
ganz fremd mutet den Mann seine eigene Frau an, verführerisch
in ihrer Fremdheit, biendend im abenteuerlichen Glanz irgend
welcher Erlebnisse, — ein Leidenschaftsaufglühen, ein heißer,
sinnlicher Taumel wirft sie einander in die Arme. Miteinander
genießen sie die verbrecherische Lust gedanklichen Ehebruchs.
Damit ist das Thema der Goetheschen Wahlverwandt¬
schaften gegeben. Es findet seine Lösung ganz im Goetheschen
Sime., Es gibt hier nur einen Ausgang: er heißt Trennung,
Verzicht, Entsagung.
In seiner ironischen Weise hat Schnitzler das Grund¬
thema seines Dramas, dessen Durchführung der Schlußakt bringt,
bexeits im ersten Aufzug parodistisch angeschlagen. Dort sagt
der Dichter, der Freund des Gatten:
„Abentener ...! Müssen sie denn gerade erlebt sein? Einem
aler, der über Stümperei erhaben und über Jugendtorheit hinaus ist,
genügt ein Modell für alle Gestalten, die er träumt und schafft, — und
den, der zu leben weiß, erwarten alle Abenteuer, nach denen ihn gelüstet,
im Frieden seines Heims. Er erlebt sie gerade so wie ein anderer, aber
ohne Zeitverschwendung, ohne Unannehmlichkeiten, ohne Gefahr, und
wenn er Phantasie hat, bringt ihm seine Gattin, ohne daß sie es ahnt,
lanter uneheliche Kinder zur Welt.“
Nun das Abenteuer Wirklichkeit geworden, tritt die Frau,
klagend und Abrechnung heischend, vor ihren Gatten:
„Was ist es denn, was mich mit einem Malé für dich so be¬
gehrenswert machte? Nicht, daß ich Cäcilie war, — nein: daß ich als
eine andere wiederzukommen schien. Und war ich denn wirklich dein?
Ich war es nicht. Oder bist du so bescheiden geworden mit einemmal,
daß dir ein Glück genügte, das zur selben Stunde sich vielleicht auch ein
anderer hätte holen können, wenn er nur dagewesen wäre?“
Die Frau ist es, die so spricht, sie, die nur eben mit dem
Gedanken des Treubruchs gespielt hatte. Nun hat sie den Ehe¬
bruch begangen, mit ihrem Mann. Sie fühlt ihre eheliche Ge¬
meinschaft erniedrigt, an den Pranger ihres eigenen Empfindens
gestellt, es ist zu Ende.
Ganz anders der Mann. Nachdem er bei seiner Frau
wieder Liebesglück gefunden — er weiß nicht, wie weit sie sich in
der Trennungszeit mit ihrem Freunde vergangen hat — beseelt ihn
ir der eine Gedanke, seinen Nebenbuhler aus der Welt zu
räumen. Er, der zuvor seiner Gattin jede Freiheit zugestanden
hatte, ist jetzt nur noch von Mordgelüsten erfüllt. Ein Duell
soll ihm dazu die Möglichkeit bieten. Erfährt er, daß seine
Frau ihm die leibliche Treue nicht gebrochen, so wähnt er, daß
nun alles in guter Ordnung sei. Aber auch er hat einzusehen,
hat zu begreifen. Die Tore schließen sich vor seinem ver¬
stehenden Blick.
Es gab nur eine dramatische Lösung für das „Zwischen¬
spiel" und Arthur Schnitzler hat sie gefunden. Sein Drama
gewinnt damit frmbolischen Gehalt. Die Institution der Ehe
rechtfertigt sich aus sich selbst heraus. Zwei Menschen, denen
die konventionelle Norm der Begriffe nichts galt, die das Recht
freier Selbstbestimmung und persönlichen Sichauslebens für sich
forderten, werden eben durch den ungezügelten Trieb dahin
geführt, die Reinheit ehelicher Gemeinschaft anerkennen zu
müssen. Das entheiligte und gebrochene Gesetz erweist seine
zwingende Kraft an seinen Verächtern. Die einmal zerrissene