II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 287

ihnen nichts. Dor der Borge um Un Aisid
das eigene Selbst. Aber an die Kraft der Wahrheit glauben
Wahrheit, rückhaltloses einander Anvertrauen soll
sie.
zwischen ihnen bestehen, auf Wahrheit soll ihre Ehe ge¬
gründet sein. Sie haben auch immer alles miteinander geteilt.
Nun die Liebe gestorhen, tritt an sie beide die Versuchung ver¬
botener Lust heran.
Es ist eine Szene, in der Schnitzler seine pfrchologische
Meisterschaft, sein überlegenes auf die Menschlein Hinabschauen,
sein Erfassen flüchtiger seelischer Regungen ganz dartut,
diese Szene, in der die beiden nunk einander „Wahrheit“
geben. Was geht da vor sich? Sie beschließen ihre Ehe in
eine Kameradschaft zu wandeln, sie werden ihre künstlerischen
Interessen auch fürder miteinander teilen, sie werden ihr schönes,
friedliches Heim sich erhalten, sie werden fortfahren, gemeinsam
ihrem Kind Dater und Mutter zu sein, aber sie werden sich
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Ganz anders der Mann. Nachdem er bei seiner Frau
wieder Liebesglück gefunden; er weiß nicht, wie weit sie sich in
der Trennungszeit mit ihrem Freunde vergangen hat — beseelt ihn
nur der eine Gedanke, seinen Nebenbuhler aus der Welt zu
räumen. Er, der zuvor seiner Gattin jede Freiheit zugestanden
hatte, ist jetzt nur noch von Mordgelüsten erfüllt. Ein Duell
soll ihm dazu die Möglichkeit bieten. Erfährt er, daß seine
Frau ihm die leibliche Treue nicht gebrochen, so wähnt er, daß
nun alles in guter Ordnung sei. Aber auch er hat einzusehen,
hat zu begreifen. Die Tore schließen sich vor seinem ver¬
stehenden Blick.
Es gab nur eine dramatische Lösung für das „Zwischen¬
spiel" und Arthur Schnitzler hat sie gefunden. Sein Drama
gewinnt damit symbolischen Gehalt. Die Institution der Ehe
rechtfertigt sich aus sich selbst heraus. Zwei Menschen, denen
die konventionelle Norm der Begriffe nichts galt, die das Recht
freier Selbstbestimmung und persönlichen Sichauslebens für sich
forderten, werden eben durch den ungezügelten Trieb dahin
geführt, die Reinheit ehelicher Gemeinschaft anerkennen zu
müssen. Das entheiligte und gebrochene Gesetz erweist seine
zwingende Kraft an seinen Derächtern. Die einmal zerrissene
Kette fügt sich nicht wieder zusammen. Modern aufgeklärte
Anschauungen, oder nicht: die Bedingungen, unter denen Menschen
miteinander leben können, bleiben die gleichen.
Was Schnitzler also vorschwebte und was er gedanklich
zu rechtem Ende durchzuführen wußte, hat er dennoch künstle¬
risch nicht voll zu bewältigen vermocht. Es ist eine Stelle in
seinem Drama, wo der Dichter zu schweigen beginnt, und der
räsonnierende Gesellschaftspfrchologe das Wort ergreift.
Schnitzlers feine und geistreiche Kunst besteht eben darin, das
nichtgesprochene Wort laut werden zu lassen, das, was die
Menschen verschweigen, zu Seelendeutung zu erheben, die
pfrchologischen Dorgänge in Stimmungskräfte umzusetzen. Im
dritten Akt seines neuen Dramas aber nimmt er zu direkter
Auseinandersetzung seine Zuflucht. Nun weiß mit einemmal
ein jeder genau, was in -seinem Innern vorgeht, und spricht
es aus. Die Leidenschaften haben zu ruhen. Sah man
vorher das rätselhafte und doch bedingte Dorrücken des Zeigers,
so ist der Kasten nun aufgeklappt und man erblickt das Inein¬
andergreifen der Räder. An die Stelle der Menschen treten
pfrchologische Begriffe. Sie behalten das letzte Wort. Das
trifft zu, aber es durfte nicht so, vielleicht überhaupt nicht ge¬
sprochen werden.
Schnitzler besitzt viel künstlerischen Geist. Der wird bei
ihm schöpferisch, aber er verflüchtigt oftmals seine wesenhaften
Kreaturen auch wieder zu Begriffen, aus denen sie ent¬
standen sind.
Der Kapellmeister, der das „Zwischenspiel"*) erlebt,
komponiert gleichzeitig ein Zwischenspiel, das er als „Capriccio
doloroso“ bezeichnet. Ein Gleiches schwebte Schnitzler für
sein neues Drama vor, dies Drama mit dem tiefschmerzlichen
Ausgang, das er „Komödie“ nannte. Und ist es nicht Komödie,
wenn zwei Alenschen gezwungen werden, vor dem Altar zu
opfern, von dem sie meinten, ein beliebiger Gesellschaftsgötze
throne darauf? Nicht Komödie, wenn auch der ernste Dorsatz
zur Wahrheit nur eben zu Selbsttrug führt? Diese Ironie
des Geschehens aber war es just, die Schnitzler anzog.
Auch fand er den Weg, auf dem die Verwirklichung seines
Gedankens lag.
Seinem Belden hat der Wiener Doet einen Freund bei¬
gesellt, der mit jenem gemeinsam an einer Oper arbeitet, und
dieser Freund ist seinem Metier nach dramatischer Dichter.
Alles, was der Held erlebt, innerlich durchkämpft, erleidet, sieht
er unter dem Gesichtspunkt des „dramatischen Stoffes“ an.
Immer ist er bereit, dem Freunde zu erklären, wie alles folge¬
richtigerweise kommen muß, welcher. Ausgang seiner Ehe be¬
schieden. Damit ersteht eine Spiegelung des Bühnenbildes,
die Bühnenwirklichkeit wird Schein, und dieser Schein verdichtet
sich wieder zu Bühnenwirklichkeit, die Kunst besinnt sich auf ihr
altes Recht des Spieltriebs. Ein Erbe der Romantiker, hat
Schnitzler mit kecker und doch sicherer Hand dies Doppelspiel
geführt, Komödie und Tragödie zittern durcheinander:
apriccio doloroso.
Nur in dem armen dritten Akt entgleitet Schnitzler auch
dieser Spiegel, die Berechnung tötet die Laune. Immerhin:
man findet in dem Verfasser des „Zwischenspiels“ den Dichter
des „Grünen Kakadu“ wieder.
Ernst Heilborn.
*) Das Buch erschien im Verlage von S. Fischer, Berlin /1906.