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20 Zuischensniel
Bühne und Welt.
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Mann und Weib wollen die Wahrheit zur Grundlage ihrer Beziehungen machen, ihr individuelles
Triebbedürfnis gegenseitig nicht beschränken. Solche Pakte werden in der modernen Titeratur
noch häufiger als im modernen Leben geschlossen, vom männlichen Teil in der Regel in der
heimlichen Hoffnung, daß das Weib nicht zu weit, nicht so weit wie der Mann gehen werde,
daß man mit dem Feuer nur spielen, nicht von der lodernden Flamme der Leidenschaft sich ver¬
zehren lassen werde. Solcher Pakt, sagt Schnitzler, ist nicht der Triumph der Wahrheit, sondern
der Unwahrheit, solange zwei Menschen, mag sie auch ein momentaner Reiz nach draußen locken,
sich noch etwas sein können, sich, vom Erotischen ganz abgesehen, noch etwas zu sagen haben.
Der Mann, zeigt Schnitzler ferner, vergißt, daß das Weib eine andere wird, eine neue, sobald
sie sich seinem Einfluß entzieht und neue Lebens= und Liebesmächte zu sich sprechen läßt, zumal
wenn, wie im Falle dieses Napellmeisters und dieser Opernsängerin, eine längere räumtliche
Trennuna der Ehegatten eintritt. Im Moment, we der Mann das Weih #ls eine neue wieder¬
sieht, und fühlt, daß sie ihm halb oder ganz entglitten ist ennachen in ihm die Eifersucht und
der Besitzwille. Sie vermag seinem stürmischem Werben trotz aller Dorsätze nicht zu widerstehen.
Der Weibelen=Jnstinkt regt sich. Der Mann erobert nicht seine Frau wieder, sondern eine niene
Geliebte. Aber am nächsten Morgen erwacht die Scham bei ihr. Klänge aus dem skandinavischen
Duppenheim und aus der Kreuzersonate des russischen Nazareners tönen leise herüber. Trotz
dieser Liebesnacht, ja gerade wegen dieser Liebesnacht, kann zwischen diesen beiden Menschen
nicht mehr so etwas wie eine Ehe bestehen. Das Weib sagt es dem Manne in klaren, aber
von verhaltener, schmerzlichster Leidenschaft durchzitterten Worten. Er begreift und geht und
läßt ihr das königlichste Geschenk zurück das er ihr geben kann, seine letzte, ihr gewidmete
Spmphonie mit dem Capriccio doloroso. Die Möglichkeit, daß diese beiden Menschen, durch das
Feuer des Liebesschmerzes geläutert, sich doch noch einmal wiederfinden, bleibt freilich auch hier
offen. — So in kurzen Worten, gewissermaßen als Schulfall demonstriert, erscheint die Geschichte
klar und plausibel, aber auf der Bühne verlangen wir mehr, und Schnitzter gibt uns diesmal zu
wenig. Wir möchten etwas von Frau Cäciliens Seelenerlebnissen und Umwandlung hören und
sehen, die Männer, die ihr nähertreten, mit dem Kapellmeister vergleichen können. Und am
Morgen vor dem entscheidenden Bruch wird etwas zu unbesorgt mit kleinen Zufälligkeiten
gearbeitet. Schnitzler überläßt auch reichlich viel dem Minen= und Gebärdenspiel der Darstellerin.
Irene Triesch ließ ihn nicht im Stich. In Momenten schmerzerfüllter Innerlichkeit und hilf¬
los flehender Qual wirkt sie so stark wie nur eine, aber sie erscheint wir doch nicht für diese
Rolle als die gegebene Darstellerin, namentlich, wenn sie mit und gegen Bassermann spielt.
Auch seine Indiridualität deckt sich mit der Rolle nicht völlig. Daß er das Wienerische uns
schuldig bleibt und in dem Bestreben, leichtlebiges Künstlertum zu markieren, stellenweise gezwungen
wirkt, mag durch den Fehler seiner Vorzüge erklärt werden. Deplaziert wirkten in ihren Episoden¬
rollen eines jungen Fürsten und einer koketten Gräfin Willy Granwald, der Hartlebens
reinen Toren aus Rudolstadt, nicht einen korrekten Aristokraten von blauestem Blute verkörperte.
und Else Schiff, die ein Wiener süßes Mädel, nicht aber eine abgebrühte Salonschlange hin¬
stellte. Hans Marr und Maria Reisenhofer wären hier am Platze gewesen. Dagegen
dürfte Emannel Reicher in der Rolle des autmütigen, saloppen Literaten, der etwas nach der
üblichen Theaterschablone den Näsonneur über die Dorgänge macht, schwerlich übertroffen werden.
Für die Entwicklung des Dramatikers Schnitzler bedeutet dieses Zwischenspiel wenig oder nichts.
Als er sich in seinen Einaktern: „Die letzten Masken“, „Literatur“, „Der Duppenspieler“ mit
Kleinigkeiten abgab, die im Grunde keine waren, gefiel er uns besser, und am liebsten sähen wirk
ihn wieder auf dem Höhenpfade, zu dem „Der Schleier der Beatrice“ lockte.
Im Königlichen Schauspielhause war eine Uraufführung, die in mancher Hinsicht
von dem in diesem Nahmen üblichen abwich und vielleicht als so etwas wie eine Konzession
an den Zeitgeist gedacht war, von entschiedenem Mißgeschick begleitet. Man ist mit dieser
romantischen Komödie, die Dietrich Eckardt unter dem zunächst rätselhaft anmutenden Titel:
„ Der Froschkönig“ auf die Bretter brachte, über Gebühr streng verfahren, zum großen Teile
wohl aus dem Grunde, weil das Stück an der Stelle, wo es erschien, in beiden Lagern befremdete.
Hätte Eckardt den Mut gehabt, eine rein satirische Komödie im Stile der Mirbeau und Courteline
zu schreiben, deren Geist die viele zart besaitete Seelchen ersichtlich shokierende Schlußpointe des
Stückes entstammte, so dürfte er zwar nicht auf die Bretter am Gendarmenmarkt gelangt sein,
würde aber an anderer Stelle vermutlich einen netten Erfolg erzielt haben. Aber Herrn Eckardt
lockte die Romantik, und zwar eine hausbackene, sentimentale. So entstand trotz der für Cheater¬
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Mann und Weib wollen die Wahrheit zur Grundlage ihrer Beziehungen machen, ihr individuelles
Triebbedürfnis gegenseitig nicht beschränken. Solche Pakte werden in der modernen Titeratur
noch häufiger als im modernen Leben geschlossen, vom männlichen Teil in der Regel in der
heimlichen Hoffnung, daß das Weib nicht zu weit, nicht so weit wie der Mann gehen werde,
daß man mit dem Feuer nur spielen, nicht von der lodernden Flamme der Leidenschaft sich ver¬
zehren lassen werde. Solcher Pakt, sagt Schnitzler, ist nicht der Triumph der Wahrheit, sondern
der Unwahrheit, solange zwei Menschen, mag sie auch ein momentaner Reiz nach draußen locken,
sich noch etwas sein können, sich, vom Erotischen ganz abgesehen, noch etwas zu sagen haben.
Der Mann, zeigt Schnitzler ferner, vergißt, daß das Weib eine andere wird, eine neue, sobald
sie sich seinem Einfluß entzieht und neue Lebens= und Liebesmächte zu sich sprechen läßt, zumal
wenn, wie im Falle dieses Napellmeisters und dieser Opernsängerin, eine längere räumtliche
Trennuna der Ehegatten eintritt. Im Moment, we der Mann das Weih #ls eine neue wieder¬
sieht, und fühlt, daß sie ihm halb oder ganz entglitten ist ennachen in ihm die Eifersucht und
der Besitzwille. Sie vermag seinem stürmischem Werben trotz aller Dorsätze nicht zu widerstehen.
Der Weibelen=Jnstinkt regt sich. Der Mann erobert nicht seine Frau wieder, sondern eine niene
Geliebte. Aber am nächsten Morgen erwacht die Scham bei ihr. Klänge aus dem skandinavischen
Duppenheim und aus der Kreuzersonate des russischen Nazareners tönen leise herüber. Trotz
dieser Liebesnacht, ja gerade wegen dieser Liebesnacht, kann zwischen diesen beiden Menschen
nicht mehr so etwas wie eine Ehe bestehen. Das Weib sagt es dem Manne in klaren, aber
von verhaltener, schmerzlichster Leidenschaft durchzitterten Worten. Er begreift und geht und
läßt ihr das königlichste Geschenk zurück das er ihr geben kann, seine letzte, ihr gewidmete
Spmphonie mit dem Capriccio doloroso. Die Möglichkeit, daß diese beiden Menschen, durch das
Feuer des Liebesschmerzes geläutert, sich doch noch einmal wiederfinden, bleibt freilich auch hier
offen. — So in kurzen Worten, gewissermaßen als Schulfall demonstriert, erscheint die Geschichte
klar und plausibel, aber auf der Bühne verlangen wir mehr, und Schnitzter gibt uns diesmal zu
wenig. Wir möchten etwas von Frau Cäciliens Seelenerlebnissen und Umwandlung hören und
sehen, die Männer, die ihr nähertreten, mit dem Kapellmeister vergleichen können. Und am
Morgen vor dem entscheidenden Bruch wird etwas zu unbesorgt mit kleinen Zufälligkeiten
gearbeitet. Schnitzler überläßt auch reichlich viel dem Minen= und Gebärdenspiel der Darstellerin.
Irene Triesch ließ ihn nicht im Stich. In Momenten schmerzerfüllter Innerlichkeit und hilf¬
los flehender Qual wirkt sie so stark wie nur eine, aber sie erscheint wir doch nicht für diese
Rolle als die gegebene Darstellerin, namentlich, wenn sie mit und gegen Bassermann spielt.
Auch seine Indiridualität deckt sich mit der Rolle nicht völlig. Daß er das Wienerische uns
schuldig bleibt und in dem Bestreben, leichtlebiges Künstlertum zu markieren, stellenweise gezwungen
wirkt, mag durch den Fehler seiner Vorzüge erklärt werden. Deplaziert wirkten in ihren Episoden¬
rollen eines jungen Fürsten und einer koketten Gräfin Willy Granwald, der Hartlebens
reinen Toren aus Rudolstadt, nicht einen korrekten Aristokraten von blauestem Blute verkörperte.
und Else Schiff, die ein Wiener süßes Mädel, nicht aber eine abgebrühte Salonschlange hin¬
stellte. Hans Marr und Maria Reisenhofer wären hier am Platze gewesen. Dagegen
dürfte Emannel Reicher in der Rolle des autmütigen, saloppen Literaten, der etwas nach der
üblichen Theaterschablone den Näsonneur über die Dorgänge macht, schwerlich übertroffen werden.
Für die Entwicklung des Dramatikers Schnitzler bedeutet dieses Zwischenspiel wenig oder nichts.
Als er sich in seinen Einaktern: „Die letzten Masken“, „Literatur“, „Der Duppenspieler“ mit
Kleinigkeiten abgab, die im Grunde keine waren, gefiel er uns besser, und am liebsten sähen wirk
ihn wieder auf dem Höhenpfade, zu dem „Der Schleier der Beatrice“ lockte.
Im Königlichen Schauspielhause war eine Uraufführung, die in mancher Hinsicht
von dem in diesem Nahmen üblichen abwich und vielleicht als so etwas wie eine Konzession
an den Zeitgeist gedacht war, von entschiedenem Mißgeschick begleitet. Man ist mit dieser
romantischen Komödie, die Dietrich Eckardt unter dem zunächst rätselhaft anmutenden Titel:
„ Der Froschkönig“ auf die Bretter brachte, über Gebühr streng verfahren, zum großen Teile
wohl aus dem Grunde, weil das Stück an der Stelle, wo es erschien, in beiden Lagern befremdete.
Hätte Eckardt den Mut gehabt, eine rein satirische Komödie im Stile der Mirbeau und Courteline
zu schreiben, deren Geist die viele zart besaitete Seelchen ersichtlich shokierende Schlußpointe des
Stückes entstammte, so dürfte er zwar nicht auf die Bretter am Gendarmenmarkt gelangt sein,
würde aber an anderer Stelle vermutlich einen netten Erfolg erzielt haben. Aber Herrn Eckardt
lockte die Romantik, und zwar eine hausbackene, sentimentale. So entstand trotz der für Cheater¬