II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 392

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20. Zuischensbiel
weint. Und zwei Menschen verscherzen sich an der nämlichen
mnder. Und eine „Privatabmachung“ setzt fest, daß die
Sinn, der sich nüchternen Menschen
Stelle zum dritten Male das Glück, weil sie von ihren In¬
bssherige Gattenliebe fortan einer gleichfalls aufrichtigen
nachen läßt, will der Dichter auch
stinkten betrogen werden — weil sie wahr zu sein glauben,
„Kameradschaft“ zu weichen habe. Mit leidenschaftlichem
„Ich habe mich stets für einen
wo sie posieren, unbewußt posieren — und weil sie letzten
Efer sieht und hört man den Mann für die prinzipielle
des Hanswursts gehalten“ läßt er
Endes ja doch nur mit einander und mit sich selber und mit
Vortrefflichkeit solch eines geschlechtskalten Verhältnisses
Figur seines „Zwischenspiels“
dem Leben spielen und darum verspielt werden.
plaidieren. Er nimmt die Mitte der Bühne ein. Mit
Viel intuitive Tiefe liegt in diesem
Diese Komödie ist wie der Schatten eines Vogels im
Hinden, Füßen und Lippen spricht er. Und den aufmerk¬
ten und doch sehr ernst gemeinten
Fluge. Wie das Runenspiel auf alten, verwaschenen
samen Betrachtern entgeht es nicht, daß dieser betrogene
nämlich Augenblicke, da der Künstler
Mauern. Wie die Konturen flatternder Wolken. Im
Betrüger mit dem Dünkel einer absoluten Wahrhaftigkeit,
aukler, zum weltweisen Clown, zum
Grunde geht der Kern ihrer Weisheit auf die heute noch
daß dieser Poseur wider Absicht und Willen, daß dieser
muß. Das sind die Augenblicke,
moderne Menschen= und Lebenskenntnis der Konfutse=Chi¬
Hjalmar en miniature allmählich die unfreiwillig lächer¬
her Imaginationen mit forschendem
nesen zurück. Und an chinesische Schattenspiele
lichen Formen eines Puppenspielers annimmt.
kenzenlose Reich seelischer Möglich¬
erinnert das ganze „Zwischenspiel“ Man könnte es das
Er geht also zu seiner dirnenhaften Gräfin. Und zu seiner
Augenblicke, da er mit tändelnder
modernste und feelisch verfeinertste Schattenspiel der
Frau kommt der Fürst. Er und sie sind also in Freiheit. In
Messerschneide feinster Unbegreiflich¬
Weltliteratur nennen. Das gedankliche Fundament der
der Freiheit aber erstarken die Instinkte. In der Freiheit be¬
schlüpfrigsten Rätsel des Seelen¬
chinesischen Schattenspiele lag in der prinzipiellen Er¬
sinen sich die Instinkte auf sich selbst. Freiheit bringt
ledern auf der Stirn balanziert.
kenntnis, daß wir vom Menschen nichts wissen können.
Klarheit. Bringt intellektuelle und intuitive Klarheit.
uns foppen, weil er von seinen
„Was weiß ein Mensch vom andern!“ ruft auch Goethe
fühlt
pppt wird. So ist er selber ein
Was dann geschehen muß, geschieht. Er
in einem seiner tiefsten Sätze aus. So vergeistigten sie also
ab¬
was er sagen oder beweisen will
sich bald von seiner dirnenhaften Gräfin
den Menschen zu schattenhaften Linienspielen. Wo ein
Er
feucht¬
ihrem

haupt etwas beweisen wollen).
gestoßen. Sie fühlt sich von
Wort nichts auszudrücken vermag, spricht eine Linie deut¬
Leben gefoppt werden, weil wir
ohrigen Fürsten ennuyiert. Er und sie treffen wieder
licher. Linien schließen sich zu bewegten Gebilden, die auf
s unseren vermeintlich=wahren und
auf einander. Und nun zeigt es sich, wie sehr ihre beider¬
den weißbelichteten Vordergrund vieldeutige Schatten
stinkten heraus) foppen müssen.
seitigen Instinkte gewachsen. Sie ist im Kampf mit ero¬
werfen. Zwischen den Umrissen dieser Schatten kann die
selber zum Spielzeug macht, weil
tischen Gewalten, die von außen her um sie warben, allmäh¬
Phantasie des Betrachters ungehemmt wirtschaften. Und
ich=echten und doch verlogenen
lich selbständiger, klarer, stärker geworden. Auf sich selber
der lebensvolle Eindruck bleibt gewahrt, da doch auch
dem Leben spielen müssen. Und
hat sie sich besonnen. Und jener ätzende Duft hat sich in
das Leben nur die Schatten der menschlichen Dinge und
rden, wo wir zu spielen glaubten
ihr festgesetzt, den man etwa das Aroma des Lebens=, den
Schicksale in unser Auge wirft.
Ende, verspielt und vertan, auf
Geruch der großen Welt, die Pikanterie der überlegenen
Ganz im Schattenspiel=Charakter ist diese Komödie ge¬
wie ein ausrangierter Hanswurst,
Damenhaftigkeit nennen darf. Durch leidenschaftliche Feuer
halten. Absichtlich reißt ihr mathematisch strenger Auf¬
s der wollenen Hirnschale dringt.
ist sie gegangen. Kein Wunder, daß sie ihm nun begehr¬
bau wiederholt aus der Illusion. Von Zeit zu Zeit
licher erscheint. Begehrlicher denn je. Und so bricht er die
hymbolisch gesprochen) auch aus der
greift der Dichter selbst durch den Mund einer stell¬
Fesseln der theoretischen „Privatabmachung“ von ehedem.
s „Zwischenspiel"=Ehepaars, das am
vertretenden Puppe unmittelbar in das Spiel hinein.
Er wirft sich ihr zu Füßen. Er hat sie. Hat sie nach
gs mit verrenkter und ausgefaserter
Und nebenher schiebt er zwischen die Leidenschaften der
langer, langer Entbehrungsfrist eine einzige, selige Nacht
pielzeug auf den Brettern bleibt. Sie
Großen ein kleines, kluges Kind, das mit beiden Händchen
hindurch. Die „Kameradin“ ist wieder zur ehelichen Ge¬
zu sein. Gelobten einander: stets
Kasperlsiguren herbeischleppt und ahnungslos den Er¬
liebten geworden. Und wieder sehen wir zwei puppenhaft
ken Gefühlen, in ihren Aeußerungen.
wachsenen parodistische Winke gibt.
versteifte, zwei bitterlich gefoppte Menschen. Zwei Menschen
imnistuerei kennen. Daß der Ehe¬
Diese Winke konnten wohl auch für die Regie-gelten¬
dier von ihren Instinkten genarrt werden. Zwei
scht alles sagen dürfe, schien diesem
Menschen, die wahr, heroisch wahr zu sein glauben, wo sie
Wenigstens wäre es von Reiz gewesen, wenn die Mise¬
Daß die Ehefrau einen kleinen Rest
en-scène darauf geachtet hätte. Das schattenspielmäßig
doch im Grunde nur unwissentlich verlogen sind. Zwei
vor ihrem Gatten verbergen dürfe,
Menschen, die unbewußt ihr tagikomisches Spiel aufs neue
Geschlossene, Strenge, Heraldische fehlte. In einem spie߬
ine Ungeheuerlichkeit. So ließen sie
an der nämlichen
bürgerlichen Intérieur mit grünen und roten Plüsch¬
mit einander treiben. Und
in die gleichgiltigste Karte blicken.
Stelle, da sie sich im ersten Akt ihrer geschlechts¬
Möbeln zwischen billigen Tapeten glitten die stilisierten
cht. Energisch hielten sie daran fest.
Vorgänge, die schematischen Reden, die sinnreich beschwerten
kalten Kameradschaft versichert, versichern sie sich im zweiten
ch als Ausnahme=Naturen. Beide
Worte dahin. Eine Art Sardou („Divorçons!“) läßt sich
Akt ihrer geschlechtsheißen Leidenschaft. Das Puppenspiel
Gipfel innerer Vorurteilslosigkeit,
in solcher Umgebung begreiflich machen. Eine Art Maeter¬
nimmt einen geistreich geführten Parallelismus an. Die
linck, wie es das „Zwischenspiel“ Arthur Schnitzlers ist,
parallele Anlage verblüfft. Sie ergötzt und überzeugt
Er Komponist, sie Opernsängerin.
fordert den entsprechend geformten und gefärbten Rahmen.
auch umso drastischer.
r mit ihr, ohne es zu wissen. Sie
Aber der nächste Morgen, der mit dem dritten Akt be¬
Umso wirksamer und mit erstaunlicher Stilkunst
ihm, ohne es zu wissen. Das macht:
ginnt, bringt die Ernüchterung. Dem Manne hat die selig
brachten Nelly Hönigswald und Carl Wagner als
t reif. Intellektuell haben sie zwar
genossene Nacht, diese zweite Hochzeitsnacht, eine endgiltige
Frau und Mann trotz all ihrer Temperamentsfreudigkeit
keit der sogenannten „komplizierten“
Erstarkung seiner Instinkte gebracht. Nicht wie ein müder
das puppenspielartig Mechanische, Winkelige, Gemessene
Normalhöhe des sogenannten „mo¬
„moderner“ Mensch liebt er jetzt seine Frau. Wie ein schwär¬
zum Durchbruch. Nur, daß sie manchmal ein allzu hastiges
ber ihren Instinkten fehlt die Ent¬
merischer, eifersüchtig werbender Seladon buhlt er nun un¬
Tempo nahmen. An so kurzen Drähten hängen Schnitzlers
etzte, entscheidende Reife, jene Edel¬
ausgesetzt um ihre Liebe. Ganz nach den Regeln der ältesten
Figurinen nicht. Wer sie zu knapp anbindet, verhaspelt
Selbstbetrug, Unsicherheit und ähn¬
Schule. Die Frau aber hat inzwischen auch all ihre Instinkte
ihre Drähte. Herr Keller=Nebri gab sich in der
Ihre Instinkte schwanken, schweben,
zur Reife gebracht. Sie erkennt die Schmach der vertollten
Gestalt eines raisonnierenden Hausfreunds mit farbloser
danklichen Konstruktionen. Klammern
Nacht. Erkennt die Schmach ihrer Hingebung. „Wir waren
Trockenheit. Eine mißratene Schnitzler=Maske kam ihm
rzeln noch nicht im Innersten.
weder geschaffen, uns ewig in Treue zu lieben, noch stark
übel zustatten. Frl. Westhoven behalf sich als Gattin
nsich also entwickeln. Noch ist sie,
genug, um unsere Freundschaft rein zu erhalten. Aus allen
dieses Hausfreunds ohne ihre sonstige Frische. Farben fand
klerisch übertünchte Gaus. Noch ist er,
möglichen Schicksalen können wir eher zu einander zurück,
auch sie nicht. Frl. Kühnert als dirnenhafte Gräfin
s, was man einen künstlerisch über¬
als aus dem Abenteuer dieser Nacht und aus dieser trüge¬
nahm der Gräfin, was der Gräfin gebührt, und ließ der
nennen könnte. „Sind wir ein
rischen Stunde ... Wir sind einander so viel gewesen, daß
Figur nur den Rest. Herrn Gebhardt endlich sei ge¬
h der Luft?“ heißt es bei Goethe.
wir uns die Erinnerung daran erhalten müssen. Wenn
sagt, daß sein Fürst nicht durch Sentimentalität à la
„Spiel von jedem Hauch der Luft.“
das ein Abenteuer war, so sind wir auch unser ver¬
„Altheidelberg“ und nicht durch unfreiwillige Komik um
hn eine dirnenhafte Gräfin kapert.
gangenes Glück nicht wert. War es ein Abschied, so sind
die psychologische Würde dieses durchaus ernsten und
an einem feuchtohrigen Fürsten Ge¬
viel¬
wir vielleicht doch zu einem kün igen bestimmt ...
derseitige Verlockung wirkt. Mann
originellen Charakters gebracht werden darf.
So spricht sie. Und es ist ein Abschied. Den
—.
leicht
nander. Mann und Frau schwenken
neuen Bund will sie nicht schließen. Der gemeinsame Haus¬
Anton Lindner.
Richtungen an. Mann und Frau
stand löst sich auf. Nach entgegengesetzten Richtungen gehen
ßflichten“ in ihrer Ehe aus. Aber
Der gmeinsame Hausstand nicht] sie auseinander. Auf Nimmerwiedersehen. Er weint. Sie
K er
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