II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 393

20
box 25/4
Zuischensniel
sind, worauf die Menge Beifall klatscht. Die Zahl der Voraus¬
3
setzungen in der Wirklichkeit aber ist für das Lehen des Menschen
Sheate und Inneik.
unendlich groß. Treiben wir also nicht niedere dramatische Mathe¬
Deutsches Schauspielhaus.
matik mit etlichen plumpen Zahlen, treiben wir dramatische
Zwischenspiel, Komödie in drei Akten von Arthur Schnitzler.
Differenzialrechnung, um der Wirklichkeit näher zu kommen. —
Nach Sudermann Schnitzler. Nach dem Mann der groben Bühnen¬
Wiederum eine große Sache, deren sich der Dichter unterfängt.
si
effekte der sensivle Künstler des feinen, seelischen Geschehens. Nach
Es fragt sich nur, ob die große Wandtafel der Bühne, auf
al
einem polternden Theaterdonner soll man das Gras wachsen kören.
der man anscheinend nur mit groben, dicken Kreidestrichen den
Fast zu rasch kam Schnitzter im Deutschen Schauspielhause auf Sudermann
Zuschauerschülern etwas klar machen kann, der gegebene Raum
45
Die Empfänglichkeit war noch auf laute und derbe Einwirkungen
für so feine Seelenmathematik ist. Sollte sie nicht besser auf
kr
gestimm; das Verständnis war auf Muteilungen gefaßt, die in ihrer
den weißen Blättern des Romans oder der Novelle zu fixieren

vulgären Zudringlichkeit beiahe beleidigend und abstoßend wirkten.
sein? Sollte dem Publikum gegenüber der mit einem gewaltigen
vi
Stück Kreide bewehrte Sudermann recht behalten gegenüber dem
Empfindliche Geister rollen sich einem Sudermann gesenüber zusammen
m
mit einem feingespitzten Silberstift seine mysteriösen Zahlenreihen
wie ein Ige', wollen lieber gar nicht berührt sein, als daß sie
hi
mit unzarten Händen an sich herumtasten, herumkneten lassen.
aufschreibenden Schnitzler?
ein
Lassen wir ihn rechnen, und sehen wir uns das Resultat
Dagegen verlangt Schnitzler in seinem „Zwischenspiel“
weites Oeffnen von Auge und Ohr. Grelle Lichter und schrille Klänge
an. Aus den langen Kolonnen feiner Zeichen entwickeln sich
sind nicht zu fürchten. Zarte Nuancen wollen liebevoll gesehen, leise,
einige stärker geschriebene Hauptzahlen, die wichtigen Stationen
n
ganz leise, kaum hörbare Oberiöne wollen vernommen sein. Man
auf dem Wege zur Auflösung kennzeichnend.
be
darf und muß die Tore weit aufmachen, durch die das Kunst¬
Der Kapellmeister Amadeus, als solcher eine komplizierte Künstler=te¬
werk in die Seele einzieht; kein Pförtner braucht an der Tür zu
natur, ist auf dem Wege von seinem Heim und seiner Frau zu einersn
stehen, um groben, ungebetenen Gästen den Eingang zu wehren.
Andern, der Gräfin Friederike. Sein Frau Cäcilie empfindet die
Es ist eine zarte, stille, ätherische Gesellschaft von Empfindungen und
allmähliche Trennung des Mannes, das Divergieren der beiden Lebens¬B.
Gedanken, die Einlaß heischend draußen steht: silberne, kristallhelle, von
prozesse stärker als der Gatte. Wahrheit soll in der Ehe herrschen. d'
traumhafter Dämmerung umwobene, von seidenen Falten weich um¬
Seit Ibsen ganz besonders. Ist das eheliche Zusammenleben keinelk
flossene Gestalten. Alle in dem hochzeitlichen Kleide, das ein feiner und
vollkommene Einheit, so dürfen den zwei besonderen Leben keinein
liebenswürdiger Geist in Stunden gesegneter Muße und Zurückgezogenhen
Freiheitsbeschränkungen auferlegt werden. Jeder von den Ehegatten
für sie gewoben hat. Im Gewande des weichen, graziösen Schnitztei'schen
6
kann tun und lassen was er will, obgleich ein fünf Jahre altes Kind
Dialogs, der dahinfließt wie ein ruhiges Gewässer, mit leichtem
da ist. Wenn man näher zusieht, so muß dieser Freiheit ein schranken¬
zitterndem Wellenspiel unter dem Hanche des Abendwindes. Den
loser Individualismus zugrunde gelegt werden, den es in der Wirk¬
großen Stürmen der Leidenschaft ist in den Landen der Schnitzter'schen
lichkeit gar nicht gibt. Und hier stößt uns das vollkommen Erkünstelte,
Dichtung das Brausen und Zerstören untersagt.
das fundamental Falsche in den Schnitzlerschen Suppositionen ab. Es
Zwischen zwei Menschen spielt die Komödie Schnitzlers: Ein Duett
ist Niemand allein auf der Welt, und es handelt keiner für sich allein,
seelischen Erlebens. Zwischen Mann und Frau. Es heben sich im
ohne daß andere tangiert werden. Der Pflichtbegriff ist ein Unsinn,
Lauje der Zwiegespräche, aus denen diese Komödie wesentlich zusammen¬
wenn er nur als Pflicht gegen sich selbst aufgefaßt wird, wie es ein
gesetzt ist, die Schleier von verhüllten Seelenzuständen. Es findet eine
absoluter Individualismus tut. Und Schnitzler bleibt auch nicht bei
chemische Anaiyse statt, die die Elemente zweier scheinbar fest ver¬
der absoluten Freiheit des Einzelnen stehen. Ganz leise und unver¬
bundenen Naturen von einander scheidet.
merkt schleicht sich der übliche Pflichtbegriff ein, und er ermöglicht
Die Trennung ist möglich, weil die Naturen nicht im tiefsten Kern zu
erst das Drama. Amadeus und Cäcilie treffen das Abkommen, daß
einer unlöslichen Einheit verbunden sind. Oder gibt es keie unlösliche
jeder für sich ganz frei handeln darf. Amadeus handelt frei, das
I
Einheit in dem Verhältnis zweier Menschen zu einander?
heißt er bricht seine Ehe mit der Gräfin Friederike, um mit dürren
diese Einheit, von der die Dichter singen, und von der Liebende
Worten das zu sagen, was in der Komödie mit weichen Schleiern
auf dem Gipsel ihres Glückes überzeugt sind, nur eine innige
verhüllt ist. Cäcilie fühlt sich nur versucht, frei zu handeln, sie em¬
Berührung zweier wesensverschiedener Körper? Eine Berührung.
pfindet die Verlockungen dazu. Die Erde scheint ihr voll von Aben¬
die die Zeit und die äußeren Einwirkungen wieder aufheben?
teuern, der Himmel wie von Flammen strahlend, sie steht mit aus¬
Steht in Wahrheit nicht vielmehr jeder allem? Eine schmergliche,
gebreiteten Armen und wartet. Und Amadeus, der de sacto Untreue,
benutzt dieses Warten, und er wird in einer Nacht der Geliebte seiner
milde Skepsis spricht aus der Schnitzter'schen Dichtung. Sind
wir nicht ein Spiel von jedem Druck der Luft? Leben und
Frau. Er vermeint dadurch wieder der Ehegatte Cäciliens geworden
wachsen wir nicht? Hat nicht jeder sein eigenes Leben und sein eigenes
zu sein. Ein Wahn! Denn Cäcilie stößt ihn von sich, dekretiert ewige
Wachstum? Und ist es möglich, daß sich Leben und Wachstum zweier
Trennung. Warum in Wahrheit? Weil ihr Amadeus durch ein
wirklich erlebtes Abenteuer mit der Gräfin untreu geworden war. Der
Meuschen in vollkommener Einheit vollzieht? Daß Hassen und Lieben
ganz ordinäre Pflichtbegriff von Liebe undTreue reitet in die Schranken
immer auf die gleichen Ziele gerichtet ist?
und wirft alle superfeine Individualitätskünstelei leblos in den Sand.
Wo beginnt die Untreue bei seelischen Divergenzen? Wo sind
Sieht man sich die Schnitzlersche Komödie unter dem Mikroskop an, so
die Punkte, von denen aus das voneinandergerichtete Seelenleben
erblickt man Launen und Augenblicksgelüste als Grundmotive alles
zweier nicht zusammengehöriger Menschen sich nicht wieder zu
menschlichen Handelns. Und auf solchen Motiven läßt sich wohl ein
sammenfinden kann?
dramatisches Hin und Her, aber kein Drama aufbauen. So kommt es,
Es gibt kein wahres Leben ohne Aufrichtigkeit, sagen sich der
daß bei aller wunderfeinen Detailarbeit die Komödie als Ganzes voll¬
Kapellmeister Amadeus und seine Frau Cäcilie. Und sie wollen
kommen kühl und gleichgültig läßt.
aufrichtig gegen einander sein. Sie sind es auch, so weit sie
Allen zarten Nuancen der Schnitzlerschen Detailmalerei wurde Frl.
sich über sich selbst klar sind. Wer aber ist sich über sich selbst
Hönigsvald in bewundernswertem Maße gerecht. Die Künstlerin
vollkommen klar? Es ist eine große Kunst, sich selbst zu erkennen,
sagt ein alter Denker. Vielleicht ist es eine unmögliche Sache.
gehört zu den bedeutendsten Darstellerinnen moderner Frauencharaktere.
Schon um dieses Spiel zu sehen, das für jede kleinste seelische Regung
Mit einer Situation, in der sich Mann und Frau über sich
leicht und mühelos den wirksamten Ausdruck findet, lohnt ein Besuch
selbst nicht klar sind, fängt das Drama an. Wer wollte leugnen,
des „Zwischenspiels“. Herr Wagner war der Künstlerin ein wür¬
daß es solche Situationen gibt? Vielleicht besteht das ganze
diger Partner. Ein ganz vollkommener konnte er nicht sein, da seine
Leben aus einer Folge von solchen Situationen. Und Schnitzler
Natur für die feinnervigen Gestalten Schnitzlers zu wuchtig und schwer¬
schildert die traumhafte Unsicherheit einer solchen Lage mit feinster
blütig ist. In den Nebenrollen, die die Hauptfiguren nur stützen und
Künstlerschaft. Aber sind unsichere seelische Verhältnisse geeignet,
Versuchen
erläutern, leisteten die Herren Gebhardt und Keller=Nebri,
die sichere Grundlage für ein Drama abzugeben?
sowie Frl. Westhoven Löbliches. Frl. Kühnert gab die Gräfin
wir es — sagt Schnitzler. Wir hätten dann ein Drama, das
der Realität näher käme, als eure ordinären Dramen mit den] Friederike etwas zu geziert. Die Inszenierung, für die Freiherr
siebenunddreißig oder neununddreißig ganz bestimmten Voraus-svon Berger verantwortlich zeichnete, zeugte von vollkommener Ein¬
H. O.
setzungen, aus denen ganz bestimmte Schlüsse leicht zu ziehen fühlung in die Schnitzlersche Eigenart.
SEnd.
Ja#kuse
#re Jawat der
70 80