II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 443

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unheilbarer Riß springen wird. Und liegt nicht am Ende auch der
20. Zuischenspiel
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ganze seelische Reiz im erotischen oder überhaupt intimeren Verhältnis
zweier Menschen darin, Geheimnisse voreinander zu haben, das Letzte
und Tiesste der Seele nicht herzugeben, die besten Erlebnisse nicht zu
beichten, dies überhaupt nicht zu vermögen? Fesselt es nicht innig an¬
einander, Geheimnisse zu hegen und in dem andern nur die Ahnungen
davon nachzittern zu lassen?
Wertvolle Individualitäten, setzen wir
hier den Künstler, sind im Innersten überhaupt scheu und unmitteilsam!
III.
Im ersten Akt schon schiebt sich das Moment der Abkühlung wie eine
kalte Eisenwand zwischen Amadens und Cäcilie, in der das Feuer der ##
großen Liebe, wenn auch jetzt zu einer kleinen Stichflamme herab¬
geschroben weiter brennen wird. Sie haben keine Geheimnisse vor¬
einander in ihrer Ehe. Amadeus, der Kapellmeister, gesteht seiner
eine
Gattin, daß er sein Herz an
die Gräfin Friderike
rötlich=blonde
Cäcilie
die
Philine
Mignon singt
Po¬
Tempo di
verloren habe,
mit der er ehen das
lacca „Titania ist herabgestiegen ...“
für die „Mignon"=Vorstellung
am Klavier einstudiert hat. Cäcilie verkehrt ihrerseits sehr lebhaft mit
dem Fürsten Sigismund, einem eleganten, belanglosen Herrn,
der sehr viel Takt hat. Vielleicht bedient sie sich seiner aber nur als
Mittel, um nachher Amadens durch ihn zurückzugewinnen. Das Ge¬
ständnis der beiden Gatten, daß ihre Liebe tot sei, geschieht ruhig, verklärt
von ein wenig schmerzlicher Heiterkeit. Es sind großherzige, weise Men¬
schen. Beide beschließen, sich nicht scheiden zu lassen, nicht auseinander¬
zugehen, da sie sich menschlich und künstlerisch zu sehr ergänzen, als daß
sie einander je missen könnten. Sie wollen Freunde bleiben. Nur,
daß sie von nun ab vollkommen frei sind. Wenigstens sagt Amadeus,
aufatmend in seinem Wahn, nach der großen Erklärung: „Mir ist bei¬
nah', als finge es schon jetzt an besser zu werden. Seltsam ... Man
atmet freier.“
Er ahnt nicht, daß Cäcilie, der er im Grunde
seelisch Gewalt antut, ihn halten wollte. Als der Vorhang fällt, sitzt
Amadeus am Klavier und Cäcilie singt mit wehen Lippen Brahms
„Nicht mehr zu dir zu gehn, beschloß ich ...“
Im zweiten Akt kehrt Cäcilie von einer großen Konzertreise zurück.
Sie ist eine andere geworden. Wie einer Entfliehenden ruft Amadeus
ihr nach, die plötzlich mit glänzenden Augen vor ihm steht und bekennt:
„Die Erde scheint mir voll Abenteuern, der Himmel wie von Flammen
strahlend, und mir ist, als säh' ich selbst, wie ich mit ausgebreiteten
Armen dastehe und warte.“ Die stille, gütige Cäcilie, die wie der Friede
selbst war, lindernd wie ein kühler, waldumschatteter Brunnen, ist ver¬
schwunden. Die neue brennt vor Lust und Wünschen. Sie leuchtet in fast
grausamer Schönheit. In Amadeus geschieht jetzt wieder ein psycho¬
logischer Weichenwechsel: die Freundschaftsgefühle entschwinden aus
seiner Brust, seine Seele wird von Cäciliens Anblick versengt, seine
Sinne entzünden sich. Er haßt sie, er liebt sie wieder heiß. Und, trotz¬
dem sie sich wehrt, wird sie, die Gattin und Kameradin, heute
noch einmal seine Geliebte für eine Nacht.
Dritter Akt: Amadeus will die Frau, die ihm so jäh eine neue
große Liebe einflößte, nicht wieder von sich lassen. Aber es ist zu spät,
Cäcilie kann nicht mehr zurück. Auch die Freundschaft ist nun zer¬
brochen. Ihr ist ein erschreckendes Licht aufgegangen: „Wir waren
Telephon 12.801.
weder geschaffen, uns ewig in Treue zu lieben, noch stark genug, um
unsere Freundschaft rein zu erhalten. Andere fänden sich ab.
ich
kann es nicht. — Und du darfst es nicht können, Amadeus. Unser Ver¬
PPt.
such ist mißglückt, nehmen wir die Enttäuschung hin. Das ist zu er¬
—„OSSLIVER
tragen. Aber ich bin nicht neugierig, zu wissen wie es schmeckt, wenn
Ekel das Ende ist.“ Sie geht über die Terrasse und verschwindet im
#österr. behörd! kenz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitta
Garten. Als sie zurückkommt, hat Amadeus das Haus verlassen. Für
immer. Leise weinend sinkt Cäcilie zusammen. ..
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Eine wundervolle Figur im „Zwischenspiel“ ist auch der Schrift¬
Vertretungen
steller Albertus. Ein Mensch mit abgeklärter Seele, ein tieferer
Deuter jener tiefen Vorgänge der Seelen. Er erklärt einmal Amadeus,
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
dem Freund, daß Freundschaft zwischen zwei Menschen verschiedenen
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Geschlechts immer eine gefährliche Sache ist, sogar zwischen Eheleuten.
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
„Wenn die Seelen sich allzu gut verstehen, so reißen sie allmählich auch
(Quellenangabe ohne Gewähr).
das mit, was man gern bewahren möchte; und wenn die Sinne zu¬
einander fließen, so gleitet mehr von der Seele nach als wir ihnen
Ausschnitt aus:Leipziger Tagblatt
gerade nachsenden wollten. Ein weises Gesetz, mein Lieber, das die tiefe
Unsicherheit aller irdischen Beziehungen zwischen Mann und Weib ver¬
2-H0 1909
vom
schuldet, und nur, wer es nicht kennt, vertraut den andern und sich

selbst.“
Wiegeg rfien
IV.
Schnitzlers „Zwischenspiel“.
So könnte man vielleicht diese literarisch hochkarätige Komödie
Erstaufführung im Leipziger Schauspielhaus
zweier Seelen in kurzer Skizze darstellen. Man könnte es auch auf andere
Art tun, sie von noch ganz anderen Seiten anfassen; denn in dem dra¬
am 30. Oktober. Kainz als Amadeus.
matischen Vorgang schwanken die Lichter zahlloser Ideen. Zwischen
seinen Zeilen, seinen Worten, liegen soviel unausgesprochene Ge¬
Der Schauplatz der Handlung von Arthur Schnitzlers „Zwischen¬
fühlsinhalte, die als
solche nur
für unser eigenstes, innerstes
spiel“ ist Wien. Im Mittelpunkt dieses feinen Stückes steht ein Ehe¬
Empfinden zu sanst tragenden
Brücken zwischen den spar¬
paar, das der Autor in den Strudel eines am Schlusse tragisch auf¬
samen äußerlichen Ereignissen
Nur
Szene werden.
der

begehrenden Seelenkonfliktes stößt. Mann und Weib sind hier äußerst
für unsere Seele löst sich das Stück in heller Logik auf, die schon der
feinnervige Geschöpfe, Künstler. Amadeus ist ein bedeutender Musiker,
äußerlich=musikalische Grundton des zärtlichen, träumenden Dialogs
Cäcilie eine bedeutende Sängerin. Beide sind — sit venia verbo —
bezaubert. Wir gleiten hinein in das goldene Labyrinth einer weisheits¬
Ausnahmemenschen. Ihre Seelen schweben hoch droben in Höhenluft,
vollen Pfochologie, verlassen es an einem scheinbaren Ausgang uner¬
in der bedenklich verdünnten Atmosphäre sehr hochgeschrobener Idea¬
wartet mit einer großen Frage auf den Lippen und doch auch wieder tief
lität. Ein selbstverständliches Prinzip resultiert aus der Addition dieser
befriedigt. Das ist eben Schnitzlers große Kunst: er stellt uns vor
beiden wahlverwandten Wesen heraus: sie haben bis in ihr Innerstes
kostbar geschmückte interieurs d’ämes. Unser inneres Schauen glaubt
hinein keine Geheimnisse voreinander, ihr gegenseitiges Verhältnis ist
sie ganz zu durchspähen, wir sehen aber nur einen Lichtglanz, der sich an
auf restloser Wahrheit begründet. Sie gestehen sich alles, ihre geringsten
den reichen Schwellen tausendfach bricht und unsern Blick über die Orna¬
und schwerwiegendsten Erlebnisse, unumwunden, und zeigen sich rückhalt¬
mentik der Einzelheiten hinwegtäuscht. Die Seelen sind zu tief. Ver¬
los, aus der Notwendigkeit ihrer Naturen heraus, die letzten Winkel ihrer
wirrt ahnen wir sie nur und empfinden doch eine wundersame Klar¬
Seelenorganismen in klarer Helle. Amadeus und Cäcilie atmen in I heit. Wir sehen die Melancholie feelischer Landschaften, in der sich die 1
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