20. Zuischenspie-
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·3FER1917 Hamburger Nachrichten
Hamburg.
Theater und musik.
Deutsches Schauspielhaus. In der Komödie
„Zwilschenspiel“ von Arthur Schnitzler, die sich gestern
Erich Ziegel und seine GattisM
orwitz zum
ersten svereinten Auftreten an ihrer neuen Wirkungsstätte er¬
wählten, legt der Dichter einem anderen Dichter die inhaltsschweren
Worte fin den Mund: „Wenn jemand Phantasie hat, bringt ihm I.
seine Gattin, ohne daß sie es ahnt, lauter uneheliche Kinder zux“?
Welt. Wir wollen heute dem tieferen Sinn dieser Außerung
nicht auf den Grund gehen; aber fast scheint es, als gelte diese
geheime Umwandlung auch für die literarische Zeugung und für
die geistige Kindschaft. Manch Poetlein, das am Schreibtisch doch
einfach nur seine Pflicht und Schuldigkeit tut, hängt am Ende
seinem literarischen Aufsprung ein illegitimes Zöpfchen an, drückt
ihm heimlich den Bastardstempel auf die Stirne, nur um selber
von einer interessanten Gloriole umflossen zu werden. Ganz kann
man selbst einem so verehrungswürdigen und echten Künstler wie
Schnitzler den Vorwurf nicht ersparen, daß auch er seine litera¬
#rischen Erdbeeren mit Vorliebe jenseits des Gartengitters sucht und
den Augenblick, da er die Schwelle zwischen Gut und Böse über¬
schreitet, mit einem vernehmlichen Räuspern unterstreicht. Das
„Zwischenspiel“ gehört unstreitig zu seinen interessantesten Werken,
und willig folgt man dem rhythmischen Wellenschlage seines geist¬
reichen Zwiegespräches. Aber über das Geplander hinaus kommt
er auch selten, und der Ehefall des musikalischen Künstlerpaares
Amadeus und Cäcilie will sich gar nicht recht zum Schicksal ver¬
dichten. So lange noch das Fassen und Lassen, das Entwinden
und Sichfinden uns in Spannung hält, bleiben wir auch im Banne
der Dichtung, die das Komische und Tragische graziös durchein¬
ander wirbelt, wie eine Seiltänzerin ihre bunten Bälle. Erst
wenn es zum bitteren Ende geht, wenn das Nora=Problem auf
das Gebiet des Sexuellen hinübergespielt wird und der Dichter die
große Erkenntnis allein vom nächtlichen Liebesvorgang abhängig
macht, trennen sich unsere Wege. Vielleicht, daß die Novelle mit
ihrer feineren Psychologie und mit der größeren epischen Freiheit,
nicht nur in die dunklen Winkel der Seele, sondern auch in die
des Alkovens hineinzuleuchten, das Problem tiefer und reiner zu¬
gleich gestaltet hätte, die Komödie entläßt uns mit einer großen
Frage: Warum?
—
Daher ist es eigentlich auffallend, daß ein
so waschechter Theatermann wie Erich Ziegel gerade dieses Stück
zu seinem ersten Auftreten ausersehen hat; denn wenn etwas bei
dieser Komödie zu kurz kommt, so ist es das Theater. Eigentlich
erhebt sich der Dialog niemals zu der Schwingungszahl, die ganz
von selbst in geheimer Harmonie auch unser Inneres vibrieren
läßt. Dieser Eheausgang ist wohl ein interessantes Problem, das
wir mit einer gewissen Neugier verfolgen, auch das Innere der
beiden Menschen fesselt unsere Aufmerksamkeit, aber das ganze
bleibt dennoch so sehr Sonderfall, daß wir nicht mit unserem ganzen
eigenen Erleben in das Gewebe des Kunstwerkes hineingezogen
werden und am Ende selber in den Maschen des Problems zappeln.
Diesen Ausfall vermag unter günstigen Umständen die Persönlich¬
keit des Darstellers wenigstens etwas auszugleichen. Die Rolle des
Amadeus hat in Wien Kainz, in Berlin Bassermann, in München
Lützenkirchen; die Rolle der Cäcilie, die Triesch, die Witt und die
Swoboda gespielt. Den überlegenen schauspielerischen Leistungen
war fast überall der Theatererfolg des Stückes zu danken. Seine
Gestalten sind, wie gesagt, Künstler, Musiker. In ihrer seineren
Geistigkeit, der reizbareren Sinnlichkeit ihrer leichter erregbaren
Natur sollen sie als typische Vertreter einer gewissen Übergangs¬
generation gelten, die damals, als das Stück geschrieben wurde,
noch nicht ahnte, welchen Prüfungen sie entgegenging. Erich
Ziegel, dessen darstellerische Leistungen an anderer Stelle wir
wiederholt gewürdigt haben, sucht auch diese Gestalt rein mit Hilfe
des künstlerischen Intellekts zu bewältigen. Er fühlt vielleicht
instinktiv, daß es ihm von vornherein an der nötigen Vitalität ge¬
bricht, um durch sein bloßes Dasein, durch den geheimen Reiz
der Persönlichkeit zu wirken. Aber dadurch wächst der Amadeus
überhaupt nicht in seine eigentliche künstlerische Lebenssphäre hin¬
ein. Es fehlt ihm als Mensch und Künstler sowohl an Seele wie
an Sinnlichkeit. Ziegel spielt den Musiker, wenn ich mich so aus¬
drücken darf, ohne innere Musik. Was er gibt und was er zu
geben vermag, nimmt man ohne Widerspruch hin. Alles ist sicher
und geschmackvoll gestaltet. Einige Einzelheiten, manche nervösen¬
Übergänge, die abgebrochenen Sätze, überraschende Pausen tragens
das „Kainz=Zeichen“ an der Stirne. Aber die Rolle lebt nicht in
eigentlicher Blutwärme. Wir kommen über den Eindruck nicht
hinaus, daß sie gespielt wird, gut gespielt, aber ach! auch nur
gespielt! Seine Gattin, Mirjam Horwitz, ist eine viel un¬
mittelbarere Künstlerin. Sie hat wirklich Seele! Der ganz un¬
lyrischen Natur ihres Mannes setzt sie sogar gelegentlich einen allzu¬
weichen Lyrismus entgegen. Dafür aber fehlt ihr das Mittel, wo¬
durch ihr Lebens= und Kunstpartner manche Ausfälle zu ersetzen¬
weiß, eine gewisse resolute äußerliche Kraft. Zu der Prima¬
be
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·3FER1917 Hamburger Nachrichten
Hamburg.
Theater und musik.
Deutsches Schauspielhaus. In der Komödie
„Zwilschenspiel“ von Arthur Schnitzler, die sich gestern
Erich Ziegel und seine GattisM
orwitz zum
ersten svereinten Auftreten an ihrer neuen Wirkungsstätte er¬
wählten, legt der Dichter einem anderen Dichter die inhaltsschweren
Worte fin den Mund: „Wenn jemand Phantasie hat, bringt ihm I.
seine Gattin, ohne daß sie es ahnt, lauter uneheliche Kinder zux“?
Welt. Wir wollen heute dem tieferen Sinn dieser Außerung
nicht auf den Grund gehen; aber fast scheint es, als gelte diese
geheime Umwandlung auch für die literarische Zeugung und für
die geistige Kindschaft. Manch Poetlein, das am Schreibtisch doch
einfach nur seine Pflicht und Schuldigkeit tut, hängt am Ende
seinem literarischen Aufsprung ein illegitimes Zöpfchen an, drückt
ihm heimlich den Bastardstempel auf die Stirne, nur um selber
von einer interessanten Gloriole umflossen zu werden. Ganz kann
man selbst einem so verehrungswürdigen und echten Künstler wie
Schnitzler den Vorwurf nicht ersparen, daß auch er seine litera¬
#rischen Erdbeeren mit Vorliebe jenseits des Gartengitters sucht und
den Augenblick, da er die Schwelle zwischen Gut und Böse über¬
schreitet, mit einem vernehmlichen Räuspern unterstreicht. Das
„Zwischenspiel“ gehört unstreitig zu seinen interessantesten Werken,
und willig folgt man dem rhythmischen Wellenschlage seines geist¬
reichen Zwiegespräches. Aber über das Geplander hinaus kommt
er auch selten, und der Ehefall des musikalischen Künstlerpaares
Amadeus und Cäcilie will sich gar nicht recht zum Schicksal ver¬
dichten. So lange noch das Fassen und Lassen, das Entwinden
und Sichfinden uns in Spannung hält, bleiben wir auch im Banne
der Dichtung, die das Komische und Tragische graziös durchein¬
ander wirbelt, wie eine Seiltänzerin ihre bunten Bälle. Erst
wenn es zum bitteren Ende geht, wenn das Nora=Problem auf
das Gebiet des Sexuellen hinübergespielt wird und der Dichter die
große Erkenntnis allein vom nächtlichen Liebesvorgang abhängig
macht, trennen sich unsere Wege. Vielleicht, daß die Novelle mit
ihrer feineren Psychologie und mit der größeren epischen Freiheit,
nicht nur in die dunklen Winkel der Seele, sondern auch in die
des Alkovens hineinzuleuchten, das Problem tiefer und reiner zu¬
gleich gestaltet hätte, die Komödie entläßt uns mit einer großen
Frage: Warum?
—
Daher ist es eigentlich auffallend, daß ein
so waschechter Theatermann wie Erich Ziegel gerade dieses Stück
zu seinem ersten Auftreten ausersehen hat; denn wenn etwas bei
dieser Komödie zu kurz kommt, so ist es das Theater. Eigentlich
erhebt sich der Dialog niemals zu der Schwingungszahl, die ganz
von selbst in geheimer Harmonie auch unser Inneres vibrieren
läßt. Dieser Eheausgang ist wohl ein interessantes Problem, das
wir mit einer gewissen Neugier verfolgen, auch das Innere der
beiden Menschen fesselt unsere Aufmerksamkeit, aber das ganze
bleibt dennoch so sehr Sonderfall, daß wir nicht mit unserem ganzen
eigenen Erleben in das Gewebe des Kunstwerkes hineingezogen
werden und am Ende selber in den Maschen des Problems zappeln.
Diesen Ausfall vermag unter günstigen Umständen die Persönlich¬
keit des Darstellers wenigstens etwas auszugleichen. Die Rolle des
Amadeus hat in Wien Kainz, in Berlin Bassermann, in München
Lützenkirchen; die Rolle der Cäcilie, die Triesch, die Witt und die
Swoboda gespielt. Den überlegenen schauspielerischen Leistungen
war fast überall der Theatererfolg des Stückes zu danken. Seine
Gestalten sind, wie gesagt, Künstler, Musiker. In ihrer seineren
Geistigkeit, der reizbareren Sinnlichkeit ihrer leichter erregbaren
Natur sollen sie als typische Vertreter einer gewissen Übergangs¬
generation gelten, die damals, als das Stück geschrieben wurde,
noch nicht ahnte, welchen Prüfungen sie entgegenging. Erich
Ziegel, dessen darstellerische Leistungen an anderer Stelle wir
wiederholt gewürdigt haben, sucht auch diese Gestalt rein mit Hilfe
des künstlerischen Intellekts zu bewältigen. Er fühlt vielleicht
instinktiv, daß es ihm von vornherein an der nötigen Vitalität ge¬
bricht, um durch sein bloßes Dasein, durch den geheimen Reiz
der Persönlichkeit zu wirken. Aber dadurch wächst der Amadeus
überhaupt nicht in seine eigentliche künstlerische Lebenssphäre hin¬
ein. Es fehlt ihm als Mensch und Künstler sowohl an Seele wie
an Sinnlichkeit. Ziegel spielt den Musiker, wenn ich mich so aus¬
drücken darf, ohne innere Musik. Was er gibt und was er zu
geben vermag, nimmt man ohne Widerspruch hin. Alles ist sicher
und geschmackvoll gestaltet. Einige Einzelheiten, manche nervösen¬
Übergänge, die abgebrochenen Sätze, überraschende Pausen tragens
das „Kainz=Zeichen“ an der Stirne. Aber die Rolle lebt nicht in
eigentlicher Blutwärme. Wir kommen über den Eindruck nicht
hinaus, daß sie gespielt wird, gut gespielt, aber ach! auch nur
gespielt! Seine Gattin, Mirjam Horwitz, ist eine viel un¬
mittelbarere Künstlerin. Sie hat wirklich Seele! Der ganz un¬
lyrischen Natur ihres Mannes setzt sie sogar gelegentlich einen allzu¬
weichen Lyrismus entgegen. Dafür aber fehlt ihr das Mittel, wo¬
durch ihr Lebens= und Kunstpartner manche Ausfälle zu ersetzen¬
weiß, eine gewisse resolute äußerliche Kraft. Zu der Prima¬
be