20. Zuischensniel
box 25/6
120171977
Nelen
Weser Zeitung San
ge e
Bremer Schauspielhaus.
Zwischenspiel
von Arthur Schnitzler.
## wefentlich. Denn wenn es von einem
7
anderen wäre, von Otto Ernst etwa oder einem noch
wroblematischeren Theaterschreiber, dann müßte man
es loben, unbedingt loben. Nun aber ist es von
Schnitzler, der zu den ersten Dichtern unserer Zeit
gehört, der ein Anrecht darauf hat, daß man ihn
nach den größten Maßen mißt. Wäre es von Otto;
Ernst dann würden wir erstaunt fragen; woher
kommt diesem braven Manne plötzlich so viel Geist,
und wir würden es verstehen, daß er ihn protzig
ausstellte am Wege, um bewundert zu werden. So
aber ist es von Schnitzler und darum sagen wir, das
Stück hat zu viel Geist, ja er hat sich nicht einmal
davor gehütet, geistreich zu sein und zwar auf die
etwas wehleidige Wiener Art, die Backhendel ißt
und für Schopenhauer schwärmt, oder für Ibsen mit
Schillerlocken. Es ist zu viel geistiges Getue in dem
Stück. Zu viel Verstehen auch, nach dem Sprich¬
wort. Ich liebe Sprichwörter nicht, denn wenn sie
zufällig einmal recht haben, dann sind sie banal.
Aber hier triffts einmal: Alles verstehen, heißt am
Theaterstück vorbeihauen. Die Frau versteht, daß
ihr Mann nach siebenjähriger Ehe lau wird und
nach anderen schielt, aber begreifen tut sie das nicht.
Aber sie versteht es und redet mit ihm wie eine
Ibsen=Nora über die Wahrheit, die sie sich
vor Jahren gelobt haben mit der reservatio men¬
talis, daß es wohl nie zu geschehen brauche. Nun
aber reden sie über die Wahrheit: das heißt sie fan¬
gen an. sich eiwas vorzulügen. Denn sie versteht
ihn wohl, aber sie begreift nicht, daß es in der Liebe
auch Sturm und Ebb und Flut gibt, obwohl sie es
bei Heine gelesen haben müßte. Aber sie wird wie¬
der die Seine, als sie nach langer Trennung von
einem Gastspiel zurückkehrt. Nun wäre alles gut.
Aber nein, sie ärgert sich, daß es so kam wie einst
im Mai und spricht wieder über die Wahrheit.
„Redens nicht so g'schwoll'n daher!“ möcht man ihr
sagen. „Setz dich auf seinen Schoß und sei g'scheit.
Oder sag ihm, er sei ein schlechtes Luder oder so
was!“ Aber sie hat ihn ja auch betrogen, wenn auch
nur in ihrer Phantasie und so erleben wir — anno
1917 so wie anno 1905, da es zuerst geschah — daß
der Mann seine Handtasche packt, den Hut aufsetzt
und abreist, genau wie die Ibsen=Nora.
Also wärs eine Travestie? Beileibe nein; denn
sonst müßte es lustiger sein, müßte der Sinn, der in
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Nelen
Weser Zeitung San
ge e
Bremer Schauspielhaus.
Zwischenspiel
von Arthur Schnitzler.
## wefentlich. Denn wenn es von einem
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anderen wäre, von Otto Ernst etwa oder einem noch
wroblematischeren Theaterschreiber, dann müßte man
es loben, unbedingt loben. Nun aber ist es von
Schnitzler, der zu den ersten Dichtern unserer Zeit
gehört, der ein Anrecht darauf hat, daß man ihn
nach den größten Maßen mißt. Wäre es von Otto;
Ernst dann würden wir erstaunt fragen; woher
kommt diesem braven Manne plötzlich so viel Geist,
und wir würden es verstehen, daß er ihn protzig
ausstellte am Wege, um bewundert zu werden. So
aber ist es von Schnitzler und darum sagen wir, das
Stück hat zu viel Geist, ja er hat sich nicht einmal
davor gehütet, geistreich zu sein und zwar auf die
etwas wehleidige Wiener Art, die Backhendel ißt
und für Schopenhauer schwärmt, oder für Ibsen mit
Schillerlocken. Es ist zu viel geistiges Getue in dem
Stück. Zu viel Verstehen auch, nach dem Sprich¬
wort. Ich liebe Sprichwörter nicht, denn wenn sie
zufällig einmal recht haben, dann sind sie banal.
Aber hier triffts einmal: Alles verstehen, heißt am
Theaterstück vorbeihauen. Die Frau versteht, daß
ihr Mann nach siebenjähriger Ehe lau wird und
nach anderen schielt, aber begreifen tut sie das nicht.
Aber sie versteht es und redet mit ihm wie eine
Ibsen=Nora über die Wahrheit, die sie sich
vor Jahren gelobt haben mit der reservatio men¬
talis, daß es wohl nie zu geschehen brauche. Nun
aber reden sie über die Wahrheit: das heißt sie fan¬
gen an. sich eiwas vorzulügen. Denn sie versteht
ihn wohl, aber sie begreift nicht, daß es in der Liebe
auch Sturm und Ebb und Flut gibt, obwohl sie es
bei Heine gelesen haben müßte. Aber sie wird wie¬
der die Seine, als sie nach langer Trennung von
einem Gastspiel zurückkehrt. Nun wäre alles gut.
Aber nein, sie ärgert sich, daß es so kam wie einst
im Mai und spricht wieder über die Wahrheit.
„Redens nicht so g'schwoll'n daher!“ möcht man ihr
sagen. „Setz dich auf seinen Schoß und sei g'scheit.
Oder sag ihm, er sei ein schlechtes Luder oder so
was!“ Aber sie hat ihn ja auch betrogen, wenn auch
nur in ihrer Phantasie und so erleben wir — anno
1917 so wie anno 1905, da es zuerst geschah — daß
der Mann seine Handtasche packt, den Hut aufsetzt
und abreist, genau wie die Ibsen=Nora.
Also wärs eine Travestie? Beileibe nein; denn
sonst müßte es lustiger sein, müßte der Sinn, der in