II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 15

Birzt, die Franen rece Hasse den en den
weilen fein zugespitzte Bemerkungen, heistvolle, in seinerem
Sinne witzige Wendungen enthält. So wenn der Oberst
über den Soldatenberuf nach drei Friedensjahrzehnten
klagend sagt: „Wo gibt es einen Arzt, dem man
immer nur ausgestopfte Puppen in die Krankenbetten
legt? Wo Richter und Anwälte, die ihr Leben lang
Inur gemalte Verbrecher sehen? Nur der Soldat.
Im ganzen: Schnitzler ist auch hier der Schriftsteller
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von Geist, er hat uns nur keine neue Dichtung von
Wert gegeben.
— Wenn das „Lessing=Theater“, oder sagen wir

Das „Lessing=Theater“ hat dem Werk die liebe¬
die Direktion Brahm, ein Werk von Schnißler
vollste Inszenierung angedeihen lassen. Das Zimmer
ankündigt, dann ist der Aufführung die lebhafte An¬
des alten Moser, — dieser Lebensgeizhals, der an der
teilnahme der literarischen Welt, dann ist ihr das
Schwelle der Achtzig sich zäh ans Dasein klammert
kgesteigerte Interesse unserer Gesellschaft sicher. Auch
und die Jahre zählt wie ein Harpagon die Taler, ist
gestern Abend war die engere Literatur=Gemeinde ver¬
vielleicht die lebensechteste Figur des Stückes
hsammelt, und die neue Darbietung des stärksten
das Zimmer dieses keifenden Alten, die Kostüme
[Theater=Talents unter den Wiener Autoren
geben ein gutes Bild vom Wien der
alle
fwurde mit einer gewissen Spannung erwartet. Auf
am Waldes¬
Biedermeierzeit. Das Landhaus
Spannung blieb nun aber auch der ganze Abend
rand inmitten üppiger Wiesenwar vollends ein Regie¬
gestellt. Mehr als uns für den feinnervigen und
Virtuosenstückchen, das mit seinen üppiggrünen Hügeln,
geistvollen Autor, mehr als uns für sein Werk
auf denen sich Kinder tummeln, die Waldszenerie des
lieb war.
„Sommernachtstraum" übertrumpfen zu wollen schien.
Unter einem langwährenden Zankduett zwischen
Der Vorbeimarsch des Reiterregiments im ersten Akt
Klatschen und Zischen ging das Stück zu Ende. Die
war nicht minder ein fein durchgeführtes Regiekonzert
Ausdauer der Applaudierenden, der Freunde, die sich
von Emil Lessing. Die Darstellung nahm sich des
Arthur Schnitzler mit einer langen Reihe von einem
Werkes in gleicher Weise an. Der grämliche und
vornehmen poetischen Parfüm durchzogener Dichtungen
polternde Kranke war ein prächtiges Gesellenstückchen von
erworben hat, hielten wacker aus, und so wurde denn
[Hans Marrs Charakterisierungskunst — er wird
der Verfasser wohl auch nach dem dritten
leb¬
es zum Meister bringen. Irene Triesch verstand
und letzten Akt gerufen, nur nicht
haft wie nach den ersten beiden. Was anses wieder, ihrer „Rolle" Seele, eine sturmbewegte, von
diesem Beifall und diesen Hervorrufen Erfolg ist, verhaltener Leidenschaft aufgewühlte Seele einzu¬
hauchen. Wie keine andere vermag es die Triesch, in
bleibt Schnitzler immerhin zu gönnen, denn sein
einem diskreten Ton, in einem Blick, das Leid eines
überlegener tiefdringender Verstand, der kritische Blick,
gepeinigten, vornehmeren Wesens auszudrücken und mit¬
der die Welt so unbefangen ansieht, durch Schminken
zuteilen. Den betrogenen Obersten, eine feingedachte
und Hüllen gehend, verrät sich auch in dem gestern
Figur, einen Philosophen und witzigen Spotter im
vorgeführten Roman. Ja, ein Roman, ein auf
Waffenrock, wußte Herr Bassermann sehr an¬
Spannung gestellter, handlungsreicher Fortsetzungs¬
ziehend zu gestalten und ihm den Ton des er¬
Roman ist dieser „Ruf des Lebens“ Viel äußere
leuchteten, auf den Exerzier= oder Turnierplätzen des
und wenig innere Vorgänge, viel Worte, oft sehr klug
Geistes heimischen Offiziers zu geben. Else Leh¬
und geistvolle Worte, aber selten sind sie Ausdruck
mann wandte ihre Wärme des Empfindens, ihre
eines starken Empfindens, an dem wir Anteil nehmen
schöne Herzlichkeit der Tante Toni, einer wenig er¬
können. Probleme, die einer gründlicheren Erörterung
giebigen Aufgabe, zu. Die Tochter dieser Tante, die
wert sind, werden gestreift, aber schnell wieder ver¬
Schwindsüchtige, die ihren Lebensrest wild vertollt,
lassen. Gegensätze in Charakteren und Anschauungen
spielt Frau Grete Hofmann. Die Gattin unseres
scheinen sich emporzurecken, aber sie werden nur als
trefflichen Heldenteners Kraus hat echtes Schauspieler¬
Requisiten für eine Effektszene verwendet. Ungewöhn¬
blut in den Adern, hat Temperament und Bühnensicherheit.
liche Vorgänge, nur bei vulkanisch erregten, revolu¬
Mit dieser an die Genußtollheit der florentinischen
tionierten Menschen erklärbar, ziehen an uns
Pestzeit erinnernden Gestalt, die wieder auch etwas
vorüber, wir sehen nur die gewaltsamen Ereignisse,
wenig oder nichts von den inneren Triebfedern . .. .phantastisch ist, mag an sich wenig anzufangen sein,
und das innerlich wie äußerlich urgesunde Wesen der
Wir sind in Wien, aber nicht im sonnigen der
Frau Hofmann wollte für die sterbende Schwindsüchtige
„Liebelei“ und der Anatol=Szenen. In eine ziemlich
nicht passen. Immerhin verriet sich das ererbte
abstoßende Gesellschaft und beklemmende Stimmung
Talent der Baison wie der Hofmann auch hier in
führt uns das Stück zunächst. Der alte Moser ist ein
so manchem Moment. Den philosophischen Arzt gab
schwerkranker, widerwärtiger Egoist, der seine Tochter
Herr Reicher mit feiner, milder Ueberlegenheit, und
quält und martert. Diese stille Tochter fühlt in sich
mit gesunder Naturfrische stattete Herr Rittner
den mächtigen „Ruf des Lebens“. Eine Ballnacht
den Förster aus. Dem jungen Offizier lieh Heer
brachte sie einmal mit einem jungen Offizier
von den blauen Kürassieren“ zusammen. Nun sie[ Stieler edle Haltung, und Frl. Else Schiff fand
erfährt, daß dieses Regiment eben in den Krieg zieht, sich mit der undankbarsten Aufabe, mit der Obersten¬
frau, geschickt ab. So hat denn das „Lessing=Theater“
und Offiziere wie Soldaten sich geschworen haben,
seinem Dichter diesmal mehr gegeben als der Dichter
es gilt eine
keiner dürfe lebend aus dem Kampf
dem Theater. Immerhin kann es ganz wohl möglich
frühere Schmach, die das Regiment durch eine Flucht auf
sein, daß die spannende Geschichte im Publikum ihre
sich lud, zu fühnen — zurückkehren, nun treibt ein wildes
J. L.
Liebhaber findet.
Verlangen sie zu jenem Offizier. Hier sind wir nun
bei einem Problem, das der Arzt Dr. med.
Mesgenne
Schnitzler dem Dramatiker Schnitzter vermittelt hat.
Darf die Tochter den schwerkranken Vater verlassen?
Darf sie ihm, da er sie keinen Augenblick von seiner
Seite läßt, einen Schlastrunk geben? Der Arzt, der
Marie selbst liebt, rät ihr dazu und gibt ihr das
verhängnisvolle Faust=Fläschchen. Gretchen=Marie gibt
dem Alten den Trunk, der ihm Schlaf, ewigen Schlaf
bringt; sie läßt den sterbenden Vater liegen und eilt
zu ihrem Leutnant.
Ins Zimmer des Offiziers schlüpfend, hört sie eine
Frau kommen und versteckt sich. Marie wird un¬
gesehene Zeugin einer Liebesszene zwischen dem
Leutnant und der Gattin seines Obersten, die den Ge¬
liebten vom Todeszug des Regiments zurückhalten
will. Der Oberst, dem der junge Offizier eben erst
die feierliche Versicherung gab, daß er zu seiner Frau
keinerlei Beziehungen habe, springt zum Fenster
herein. Er erschießt die Frau und entfernt sich, dem
Leutnant die begehrte zweite Kugel versagend. Der
Offizier will sich selbst entleiben. Da tritt Marie
hervor. Sie, die eben ihren Vater getötet hat und
die Geliebte des Ofsiziers erschießen, diesen zur Selbst¬
merdwasse greisen sah, kann jetzt den jungen, tor¬
geweihten Menschen noch in ihrem heißen Begehren
(an sich ziehen.
Was ist nicht alles dem Dramatiker gestattet!
Was läßt uns Shakespeare an Richard III., am
Edgar im „Lear“ erleben. Aber da kommen die
Greuel aus einem Charakter! Im „Ruf des Lebens“
haben wir es nur mit Erzählungen, mit äußeren
Vorgängen zu tun, mit geschobenen Figuren. Auch!