II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 16

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19. Der Rufdns
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abgetönten
Theater
haftete,
Massenszen
Lessing=Theater. — Der Ruf des Lebens. Schauspiel
erschien.
in drei Akten von Arthur Schnitzler. Als der Vorhang
des Herrse
über dem neuesten Schnitzlerschen Drama gefallen war, rechnete
vorletzten
man dem feinsinnigen Wiener Zwischenspielpoeten im Zuschauer¬
auf der
raum grausam nach, wie viele Schlachtopfer er auf dem Altar der
aber, dem
tragischen Muse darbringen zu müssen geglaubt hatte, um die letzte
Joannowil
Weihe als ihr erster Hoherpriester zu erhalten. Im ersten Akt ein
Die Geschi
mit Gift von der eignen Tochter vom Leben zum Tode gebrachter
hat ihn ni¬
Vater, inzwischen eine von ihrem Manne unter beträchtlicher Rauch¬
den Kämp
und Knallentwicklung erschossene ungetreue Gattin, im dritten
ihn
hat
eine Tochter aus gutem Hause, die, zur Dirne geworden,
der unmä
Und während diese unglaub¬
der Schande nicht erliegt.
weilen —
lichen Einzelopfer nacheinander auf der Bühne zur Strecke
Bewußtsei.
gebrachl worden sind, wird als Massenhekatombe hinter der
ein Vierge
Szene ein ganzes Kürassierregierregiment niederkartätscht, buch¬
Diesen schi
stäblich bis auf den letzten Mann, denn ein junger Offizier, der
schwierige
allein die Kugel, die er gesucht, nicht finden kennte, erhielt sie in
feinstem 1
einer Scheune. Wenn das noch keine Tragödie ist — dann — dann — ja
Ebenso n
dann ist Arthur Schnitzler — das Wort stockt in der Feder — am Ende —
Godunow
man wagt es kaum auszusprechen — kein tragischer Dichter Der Schlaf¬
bühnenkün
trunk Gretchens, die Erdrosselung Desdemonas, der Bluthusten der
Kameliendame, der Todesritt der Pappenheimer Kürassiere — das
alles könnte ja recht hübsch erschütternd wirken, wenn es zu einem
gewaltigen Panorama der Leidenschaften zusammengefaßt wäre, in
der Vereinzelung, wie es Schnitzler bringt, wirkt es nicht
dramatisch, sondern dioramatisch, d. h. etwa, wie die durch
ein Guckloch gesehenen Schauerszenen eines Panoptikums
„Nichts für Nerven¬
Herei
über dieser Tür stehen sollte:
schwache.“ Wenn man dann gar am Schlusse merkt, daß der ganze
Apparat nur in Szene gesetzt wurde, damit Mariechen Moser, die lungen we
die „das 9
interessante Vatermörderin, die an einem Abend Gift mischt,
z. B. Gras
eine Nebenbuhlerin erschießen sieht, ihre Unschuld zu Markte trägt,
den Geliebten ebenfalls in den Tod eilen läßt, durch einen Da ist je
arbeit in "
medizinischen Schönredner erfährt, daß das Ganze nur ein Mi߬
Reihe deut
verständnis ist, daß sie nur den „Ruf des Lebens“ falsch
in Kisten!
aufgefaßt hat, dann fragt man sich nicht ohne Berechtigung:
Schädel
„Wozu der Leichenpomp?“ Daß Mariechen gerade als die
Hereros w
Kürassiere in den Tod reiten, sich darauf besinnt, sie könne den Ge¬
nach Berli¬
liebten, ohne das heiß ersehnte Schäferstündchen genossen zu haben,
gegen Beze
verlieren, und um sich ihm ungestört an den Hals zu werfen, dem Vater,
teilen usw.
der sie eingeschlossen hat, einen für hundert Nächte ausreichenden
Henn
Schlaftrunk gibt, ist so wenig hübsch von ihr, daß es einer
präsidium
stärkeren Motivierung bedarf, als des Widerwillens gegen die
1868 in Fre
lästige Krankenpflege. Nebenber läuft die Ehebruchstragödie des
Paul M
Obersten, der die Frau Obristin erschießt, weil er sie mit demselben
Zuletzt w#
Offizier, den Mariechen liebt, in einem Abschieds=Téte-ä-téte über¬
Während i
rascht. Daneben läuft ferner die Geschichte einer dekadenten
hausklaps“
Familie, deren Töchter sämtlich jung starben, und als weitere
übergeführ
Mitläufer gibt es dann noch einen Phrasen drechselnden Doctor
hielt sich seit
medicinae und einen herausgeschmissenen Liebhaber in Form
wurde er in
eines Forstadjunkten, der Mariechen Moser, die pikante
Handelsm:
Vatermörderin gern zur Frau Oberförsterin machen möchte, aber
hatte. Am
unter dem Druck oben bemeldeter Verhältnisse wenigstens vor¬
läufig davon Abstand nimmt; später vielleicht — man kann] Villen=Ei
Am Schluß des dritten Aktes spielen! an, wurde
immerhin nicht wissen.
im Hintergrunde auf einer Wiese Blumen suchende Kinder undKopf vern
entfliehen,
Mariechen Moser wartet im Vordergrunde, ob nicht in absehbarer
die Schi
Zeit ein neuer „Ruf des Lebens“ an sie ergeht, den sie diesmal
sich wieden
hoffentlch nicht wieder so arg mißversteht, daß sich die Leichen¬
an den K
haufen um sie herum noch vermehren
kein Deuts
Gespielt wurde einerseits mit einem gewissen Widerwillen,
du Moulo
andrerseits mit anerkennenswerter Liebe zur Sache. Rudolf
versagte, 1
Rittner marlierte den abgefallenen Forstadiunkten, weil er ihm
geschwollen
nicht gefiel, Eise Lehmann fand sich mit einer verwitweten
die Dakty
Biedermeier=Tante mit der ihr angeborenen Liebenswürdig¬
In 1
so trocken und
Emanuel Reicher war
keit ab,
Belastungs
natürlich, wie es sein Temperament und seine stockende Rede¬
Untersuchuß
weise zulassen, eine Debutantin zeigte in einer Opheliarolle
wurden als
bemerkenswertes Talent. Irene Triesch versuchte vergeblich,
kann keine
die vom Dichter vergessene Motivierung ihrer Handlungen durch
2 bis 7 1
ihr Spiel zu ersetzen, und Bassermann und Hans Marr
trotz sein
retteten durch ihre Episoden den Abend, der im übrigen die ge¬
weisen. —
wohnte Physiognomie der letzten Erstaufführung aufwies: Klatschende
in
zu
Freunde, zischende Feinde und ein an der ganzen Sache unbeteiligtes
geliefert i
Publikum, das ruhig nach Hause ging.
halten der
Georg Malkowsky.
mittel gem
Berliner Theater. — Gastspiel des Moskauer Künst¬
vor der
lerischen Theaters. — „Zar Jeodor Joannowitsch“.
Mark habe
Tragödie von Graf Alexej Tolstoj. Auf den Brettern, die bis
des Briete
REN
Telephon 12801.
29

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San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenanzabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
ake Jagilung
vom:

Mulige
Lessing=Theater.
Zum ersten Male: „Der Ruf des Lebens“, Schauspiel in
drei Akten von Arthur Schnitzler. Regie Emil Lessing.
Schnitzler hat etwas beweisen wollen, auch mit diesem Stücke.
Und wie dieses Beweisenwollen schon immer dem Dramatiker hinder¬
lich war, hier wurde es ihm zum Verhängnis. Er hat nämlich
den Tod für das Leben eintreten lassen. Und er hat zweitens
zu zeigen versucht, daß er eine spannende Handlung auch im äußer¬
lichen Sinne aufzubauen vermag. Der Tod ist ein schlechter Für¬
sprecher des Lebens, auch dann noch, wenn vier Personen in drei
Akten sterben und drei davon auf der Bühne. Und um die um¬
gekehrten Absichten des Dichters zu erklären, wird zwischen den
Personen noch gerade so viel hin und herüber erläutert, als es auch
sonst in Schnitzlers Stücken zu geschehen pflegt.
Doch heute interessiert mich vor allem die Aufführung. Das
Stück spielt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die Aus¬
stattung hatte daraus Gelegenheit genommen, den Biedermeierstil,
der ja übrigens heute wieder modern ist, breit und behaglich auf
die Szene zu setzen. Wir sind im ersten Akt im Wohnzimmer
des pensionierten Rittmeisters Moser. Blaugraue Wände in dem
fast niedrigen Raum, Sofa und Sessel mit Matratzenbezug und
dickgepolsterten Rücklehnen. Dann ein Offizierszimmer in Braun
und endlich einen Garten mit weißem Gartentor und einer Wiese
dahinter, großmächtigen Kastanien darin und die Sonne mehr als
aufdringlich. Bei so viel Realismus müßte man eigentlich noch die
Forderung stellen, daß bei Szenen im Freien die hintere Wand
des Theaters herausgenommen wird, damit die Stimmen etwas von
dem Gedämpften eines frei ausklingenden Tones erhalten, damit
man nicht Angst vor der erdrückenden Nähe dieser heaterspielenden
Sprecher hat, die doch auf einer Wiese vor Wäldern und Schnee¬
bergen mit einander reden.
Schnitzler hat sich um die Sprache der Zeit bemüht, in die
er uns versetzen will. Die Schauspieler taten es mit ihren Gesten
und mit dem Rhythmus der Rede ebenso. Bisweilen war diese.
Absicht etwas aufdringlich. Jedenfalls muß sie als ahrlicher Ver¬
such angesehen werden. Es ist die Sprache der Romaniiker, wie
wir sie in Tiecks Sternbald lesen. Und wir wollen einmal glauben,
daß der alte Moser auf seinem Krankenstuhle, wie er seine Tochter
in der Angst vorm Tode wegen ihrer Nachlässigkeit und ihrer
heimlichen Freiheitsgelüste quält, wirklich dieses laute, steife Buch¬
deutsch geredet hat. Hans Marr machte es uns wenigstens
glaublich. Diese Leute kommen ja aus den Revolutionsjahren, sie
sind verbittert und doch phantastisch, klar denkend und leidenschaft¬
lich einseitig, doch nur immer das eine, sich selbst denkend. Hans
Marr wirkte dadurch noch tragischer. In dieses Programm fügten
sich aber auch alle anderen, und gerade mit dieser Einheitlichkeit
hat sich die Brahmssche Bühne wieder einmal groß gezeigt. Es
ist ein Genuß, wie Rudolf Rittner, Emanuel Reicher,
Else Lehmann, Albert Bassermann innerhalb ihrer
eigenen Kunst eine Brücke hin zu den künstlerischen Absichten des
Dichters und des Regisseurs schlugen. So trafen sich schließlich
alle diese verschiedenen Künstlerindividualitäten, ordneten sich dem
einen Stilgedanken unter, indem sie sich von ihm beseeken ließen.
Selbst Leidenschaftlichkeit wurde in einem gleichmäßig gehaltenen
Ton vorgetragen, der den Worten nicht ihren ganzen Inhalt gab.
Was sie sagten, sollte über das Wie hinausragen. Irene
Triesch blieb mehr sie selbst, sie benahm sich als die vom Ruf
des Lebens Verfolgte, als die Einzige, die in diesem Schattenspiel
wirklich etwas erledt. Sie gibt ihrem Vater den Schlaftrunk, der
ihn tötet, eilt in die Arme des jungen Offiziers des todgeweihten
Regimentes, erlebt dort die Tragödie der Oberstenfrau und trifft
schließlich im Garten ihrer Tante die Lebensgefährten des ersten
Aktes, wo Katharina, die schwindsüchtige, stirbt. Alles das ist
nicht das Leben, sagt Schnitzler, viel eher die Ruhe eines stillen
W. M.
Nachmittags, in dem es passiert.