II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 20

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leider war Herr Marr
das bühnenmöglich ist —
unkünstlerisch genug, den fanstdicken Strichen noch
mit dem Besenstil nachzuhelfen. Was macht
d
den Alten so zum Teufel? Das böse Ge¬
19. Der Rufs Lebens box 24/1
wissen. Vor einem halben Lebensalter näm¬
lich hat er als Rittmeister der blauen Kürassiere
einen Sieg dadurch vereitelt, daß er aus Todes¬
furcht und Lebenslust rechtzeitig das Hasenpanier
ergriffen und seine Truppe mitgerissen hat. (Sollte
Schnitzler hier den Prin##n von Homburg im Auge
haben, so möge er bedenken, daß der niemals in
Wieder
ausgekniffen wäre.)
einer Schlacht
blasen jetzt die Trompeten zur Schlacht und die
blauen Kürassiere, eingedenk der Schmach ihrer Vor¬
gänger, geloben sich, auf ihres Obersten Anregung
hin, den gemeinsamen Opfertod. Keiner, weder
Offizier noch Reiter, will lebend aus dem Kriege
zurückkehren (Schnitzler, Schnitzler!!). Freilich stellt
sich später heraus, daß der Herr Oberst
keineswegs aus Heroismus so Großes vollbracht
hat, sondern aus Lebensübrrdruß, denn er hat ge¬
merkt, daß sein blühend junges Weib es mit Max, einem
seiner Leutnants (Herr Stieler) hält. Wir werden
davon sogleich im zweiten Akt hören. Der erste schließt
höchst lieblich damit, daß des alten Quälgeistes junge
Tochter Marie, die einem Forstadjunkten Hoffnung
gemacht hat, es aber heimlich mit eben jenem Max
hält, ihrem Vater einen Schlaftrunk gibt, der
ihn für immer vor Zahnschmerzen bewahrt. Na.
Im zweiten Akt, der ganz aus „Zapfenstreich" und
„Rosenmontag“ gewebt ist, sehen wir in die Kasernen¬
stube des Leutnants Max. Marie, die Vatermörderin
will zu ihm, verbirgt sich aber hinter einem Vorhang
als gleich nach ihr ein anderes Weib mit Max das
Zimmer betritt —es ist die junge Frau Oberst. Soll ich
noch erzählen, daß der Oberst seine Frau bei diesem
Er springt durch's
letzten Stelldichein ertappt?
Fenster, daß die Scheiben splittern, schießt seine Frau
nieder und geht hinaus. Max will sich an der
stürzt Marie hinter
Leiche selbst töten, da
dem Vorhang hervor und ihm in die Arme.
Er nimmt sie unter seinen Mantel und verläßt liebe¬
durstig mit ihr die Stätte des Todes. Echt Schnitzler.
So schon machte es die Beatrice an der Leiche ihres
Filippo, so verschiedene Damen in seinen Novellen.
Was sagen Sie dazu, Leser? Bisher zwei Akte
und zwei Leichen, nicht doch, drei, denn wie wir
später erfahren, erschießt sich Max nach dem Liebes¬
rausch doch noch. Der dritte Akt ist lediglich Reflexion,
Der neunmalweise Arzt hält uns Vorträge über
des Lebens Leid und Lust, wir sehen Marie in
Trauerkleidern, auch den abgeblitzten Forstadjunkten,
der Oberförster geworden ist, wir horen, daß das
ganze blaue Regiment wirklich den Opfertod ge¬
ist — doch damit auch dem letzten Akt die
storben
Leiche nicht fehle, kommt ein halbirres Mädchen,
eine Verwandte der Marie, wie Ophelia mit Bumen
geschmückt, in weißem Kleide auf die Bühne, um
dort tot niederzufallen und dem klugen Arzt Gelegen¬
heit zu geben, einige Sentenzen über den Tod los¬
zuwerden.
Wer sucht bei dieser bunten Vielfalt noch dichterische
Einfalt? Alles ist wie aus verschiedenen Schub¬
RCRERR
fächern zusammengekramt. Hier und da ein feines
Schnitzlersches Wort, eine sinnige Betrachtung, eine
Hus dem Kunetleben.
geistreich durchgeführte Szene, so die zwischen
# Leseing-Theater.
dem Oberst und dem Leutnant vor dem
aber im ganzen eine kalt¬
Konflikt
Arthur Schnitzler: Der Ruf des Lebene.
herzige Spielerei mit Liebelei und Röchelei,
Nie noch hat mich ein Schnitzler (den ich immer
nichts weiter. Wir hören von Krieg, aber eigentlich
zu den Besten unseres Kulturalters gezählt habe und
der mit Pferdegetrappel,
ist es nur der Regisseur,
vermutlich immer zählen werde) so unbefriedigt
Trommeln und Hurrah hinter der Szene diese
von seinem Werke gehen lassen wie heute. Viel¬
Illusion heraufbeschwört. Die Personen selbst sind,
leicht gerade deshalh, weil ich von dem meisterlichen
etwa bis auf den Obersten und Marie Drahtpuppen,
Schöpfer des „Grünen Kakadu“ bei so lebendigem
keine Menschen. Beide wurden auch am besten
Stoff und bei der Energie, mit der er ihn im ersten
dargestellt durch Herrn Bassermann und
Akt anpackt, zu Großes erwartete, meine Hoffnungen
Frau Triesch, denen Schnitzler besonders liegt,
zu hoch spannte. Aber wenn dieser erste Akt trotz
ich betonte das bei Bassermann schon früher einmal,
eines geradezu Sudermannschen Paukenschlags am
sie haben die gebrochene Linie, das gefügige Mosaik
Schluß, noch mit einigem Recht rauschenden Beifall
mit einander gemein. Herrn Rittner, der im
fand, der den Dichter auf die Bühne rief, so war
Gegensatz dazu ganz und gar kein Schnitzlerspieler
die große Zahl der Mißvergnügten, die nach dem
ist, hatte man die unsäglich farblose geradezu
zweiten und dritten Akt lebhaft Widerspruch erhoben,
des Forstadjunkten gegeben.
alberne Figur
nicht minder in ihrem Recht. Es scheint, als ob der
Es mutet wie eine Beleidigung des Künstlers
Wiener Arzt der homöopathischen Dosen dramatischer
Handlung, die er uns sonst zu verabreichen pflegte, an und ich glaube fast, daß eine heutige