19. Der Ruf des Lebens
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selber satt geworden sei, er wollte es einmal mit
einer Gewaltkur versuchen, wollte Stein unter
Steinen sein und wo er sonst ein silbernes Geschmeide
mit Anmut bot, ein Felsblockstück vor uns nieder¬
fallen lassen. Es ist gefallen ...
Unheildräuend in ästhetischem Sinn ist schon das
erste Auftreten der Personen. Keine, die nicht als¬
bald ihres Wesens Art, ihr Schicksal und ihre Pläne
erzählte. Sogleich tritt der unvermeidliche Schnitzler¬
sche Arzt hinzu, der so dickfarbig mit Lebensweisheit
gestrichen ist, daß er fortwährend abfärbt und
keine Person abtreten läßt, ohne am Armel oder
Rücken ein frisches Andenken öligen Tiefsinns von
ihm heimzutragen. Wir sehen im ersten Akt einen
bald achtzigjährigen Rittmeister a. D., so ziemlich
das greulichste Scheusal an Brutalität und Egoismus,
das bühnenmöglich ist — leider war Herr Marr
unkünstlerisch genug, den faustdicken Strichen noch
mit dem Besenstil nachzuhelfen. Was macht
den Alten so zum Teufel? Das böse Ge¬
wissen. Vor einem halben Lebensalter näm¬
lich hat er als Rittmeister der blauen Kürassiere
einen Sieg dadurch vereitelt, daß er aus Todes¬
furcht und Lebenslust rechtzeitig das Hasenpanier
ergriffen und seine Truppe mitgerissen hat. (Sollte
Schnitzler hier den Prinzen von Homburg im Auge
haben, so möge er bedenken, daß der niemals in
Wieder
einer Schlacht ausgekniffen wäre.)
blasen jetzt die Trompeten zur Schlacht und die
blauen Kürassiere, eingedenk der Schmach ihrer Vor¬
gänger, geloben sich, auf ihres Obersten Anregung
hin, den gemeinsamen Opfertor Keiner, weder
Offizier noch Reiter, will lebend aus dem Kriege
zurückkehren (Schnitzler, Schnitzser!!). Freilich stellt
sich später heraus, daß der Herr Oberst
keineswegs aus Heroismus o Großes vollbracht
hat, sondern aus Lebensübrrdruß, denn er hat ge¬
merkt, daß sein blühend junges Weib es mit Max, einem
seiner Leutnants (Herr Stieler) hält. Wir werden
davon sogleich im zweiten Akt hören. Der erste schließt
höchst lieblich damit, daß des alten Quälgeistes junge
Tochter Marie, die einem Forstadjunkten Hoffnung
gemacht hat, es aber heimlich mit eben jenem Max
hält, ihrem Vater einen Schlaftrunk gibt, der
ihn für immer vor Zahnschmerzen bewahrt. Na.
Im zweiten Akt, der ganz aus „Zapfenstreich“ und
„Rosenmontag“ gewebt ist, sehen wir in die Kasernen¬
stube des Leutnants Max. Marie, die Vatermörderin
will zu ihm, verbirgt sich aber hinter einem Vorhang
als gleich nach ihr ein anderes Weib mit Max das
Zimmer betritt —es ist die junge Frau Oberst. Soll ich
noch erzählen, daß der Oberst seine Frau bei diesem
Er springt durch's
letzten Stelldichein ertappt?
Fenster, daß die Scheiben splittern, schießt seine Frau
nieder und geht hinaus. Max will sich an der
Leiche selbst töten, da
stürzt Marie hinter
dem Vorhang hervor und ihm in die Arme.
Er nimmt sie unter seinen Mantel und verläßt liebe¬
durstig mit ihr die Stätte des Todes. Echt Schnitzler.
So schon machte es die Beatriee an der Leiche ihres
Filippo, so verschiedene Dam# in seinen Novellen.
Was sagen Sie dazu, Leser? Bisher zwei Akte
und zwei Leichen, nicht doch, drei, denn wie wir
später erfahren, erschießt sich Max nach dem Liebes¬
rausch doch noch. Der dritte Akt ist lediglich Reflexion,
Der neunmalweise Arzt hält uns Vorträge über
des Lebens Leid und Lust, wir sohen Marie in
Trauerkleidern, auch den abgeblitzten Forstadjunkten,
der Oberförster geworden ist, wir horen, daß das
ganze blaue Regiment wirklich den Opfertod ge¬
storben ist — doch damit auch dem letzten Akt die
Leiche nicht fehle, kommt ein halbirres Müdchen,
eine Verwandte der Marie, wie Ophelia mit Bumen
geschmückt, in weißem Kleide auf die Bühne, um
dort tot niederzufallen und dem klugen Arzt Gelegen¬
heit zu geben, einige Sentenzen über den Tod los¬
zuwerden.
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selber satt geworden sei, er wollte es einmal mit
einer Gewaltkur versuchen, wollte Stein unter
Steinen sein und wo er sonst ein silbernes Geschmeide
mit Anmut bot, ein Felsblockstück vor uns nieder¬
fallen lassen. Es ist gefallen ...
Unheildräuend in ästhetischem Sinn ist schon das
erste Auftreten der Personen. Keine, die nicht als¬
bald ihres Wesens Art, ihr Schicksal und ihre Pläne
erzählte. Sogleich tritt der unvermeidliche Schnitzler¬
sche Arzt hinzu, der so dickfarbig mit Lebensweisheit
gestrichen ist, daß er fortwährend abfärbt und
keine Person abtreten läßt, ohne am Armel oder
Rücken ein frisches Andenken öligen Tiefsinns von
ihm heimzutragen. Wir sehen im ersten Akt einen
bald achtzigjährigen Rittmeister a. D., so ziemlich
das greulichste Scheusal an Brutalität und Egoismus,
das bühnenmöglich ist — leider war Herr Marr
unkünstlerisch genug, den faustdicken Strichen noch
mit dem Besenstil nachzuhelfen. Was macht
den Alten so zum Teufel? Das böse Ge¬
wissen. Vor einem halben Lebensalter näm¬
lich hat er als Rittmeister der blauen Kürassiere
einen Sieg dadurch vereitelt, daß er aus Todes¬
furcht und Lebenslust rechtzeitig das Hasenpanier
ergriffen und seine Truppe mitgerissen hat. (Sollte
Schnitzler hier den Prinzen von Homburg im Auge
haben, so möge er bedenken, daß der niemals in
Wieder
einer Schlacht ausgekniffen wäre.)
blasen jetzt die Trompeten zur Schlacht und die
blauen Kürassiere, eingedenk der Schmach ihrer Vor¬
gänger, geloben sich, auf ihres Obersten Anregung
hin, den gemeinsamen Opfertor Keiner, weder
Offizier noch Reiter, will lebend aus dem Kriege
zurückkehren (Schnitzler, Schnitzser!!). Freilich stellt
sich später heraus, daß der Herr Oberst
keineswegs aus Heroismus o Großes vollbracht
hat, sondern aus Lebensübrrdruß, denn er hat ge¬
merkt, daß sein blühend junges Weib es mit Max, einem
seiner Leutnants (Herr Stieler) hält. Wir werden
davon sogleich im zweiten Akt hören. Der erste schließt
höchst lieblich damit, daß des alten Quälgeistes junge
Tochter Marie, die einem Forstadjunkten Hoffnung
gemacht hat, es aber heimlich mit eben jenem Max
hält, ihrem Vater einen Schlaftrunk gibt, der
ihn für immer vor Zahnschmerzen bewahrt. Na.
Im zweiten Akt, der ganz aus „Zapfenstreich“ und
„Rosenmontag“ gewebt ist, sehen wir in die Kasernen¬
stube des Leutnants Max. Marie, die Vatermörderin
will zu ihm, verbirgt sich aber hinter einem Vorhang
als gleich nach ihr ein anderes Weib mit Max das
Zimmer betritt —es ist die junge Frau Oberst. Soll ich
noch erzählen, daß der Oberst seine Frau bei diesem
Er springt durch's
letzten Stelldichein ertappt?
Fenster, daß die Scheiben splittern, schießt seine Frau
nieder und geht hinaus. Max will sich an der
Leiche selbst töten, da
stürzt Marie hinter
dem Vorhang hervor und ihm in die Arme.
Er nimmt sie unter seinen Mantel und verläßt liebe¬
durstig mit ihr die Stätte des Todes. Echt Schnitzler.
So schon machte es die Beatriee an der Leiche ihres
Filippo, so verschiedene Dam# in seinen Novellen.
Was sagen Sie dazu, Leser? Bisher zwei Akte
und zwei Leichen, nicht doch, drei, denn wie wir
später erfahren, erschießt sich Max nach dem Liebes¬
rausch doch noch. Der dritte Akt ist lediglich Reflexion,
Der neunmalweise Arzt hält uns Vorträge über
des Lebens Leid und Lust, wir sohen Marie in
Trauerkleidern, auch den abgeblitzten Forstadjunkten,
der Oberförster geworden ist, wir horen, daß das
ganze blaue Regiment wirklich den Opfertod ge¬
storben ist — doch damit auch dem letzten Akt die
Leiche nicht fehle, kommt ein halbirres Müdchen,
eine Verwandte der Marie, wie Ophelia mit Bumen
geschmückt, in weißem Kleide auf die Bühne, um
dort tot niederzufallen und dem klugen Arzt Gelegen¬
heit zu geben, einige Sentenzen über den Tod los¬
zuwerden.