II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 46

19. Der Ruf des Lebens
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„ODSEAVEN
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Wien, I., Concordiaplatz 4.
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San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gswahr.)
Ausschnitt aus: Mselt kne
vom:

7# %5 Theater und Musik.
„. Berlin. Das Lessingtheater zeigte am Samstag abend mit
der Uraufführung von Schnitzlers neuem Schauspiel Der Ruf
des Lebens, wie wandelbnt# Eünst eines Abends sein kann; der
ferste Akt erntete starken und verdienten Beifall, der zweite erfuhr eine
Abschwächung und der dritte eine ziemlich demliche Ablehnung. Mehr
als seine andern Stücke beweist Der Ruf des Lebens, wie schwer
Schnitzlers graziöse Hand der eigentliche dramatische Griff wird: die
Kunst, drei oder vier Lebensschicksale in wenige Fäden zusammenzu¬
schlingen und geschickt wieder zu entwirren. Diese Kunst, mit der
Shakespeare, Kleist und Hebbel auf die Welt kamen, die einem Goethe
sein Leben lang versagt blieb, ist die Sehnsucht aller feinnervigen Psy¬
chologen, die wohl über das Leben reflektieren, es aber selten meistern
können. In diesen gehört auch Schnitzler. Er müht sich unablässig, aus
psychol#ch interessanten und geistreich dargestellten Episoden Schicksale
zu machen, aber es gelingt ihm nicht. In seinem neuen Stück ergeht
der Ruf des Lebens an alle, deren Blut und deren Dasein verstockt
ist; die einen macht er schlecht und seige und verdiröt sie, andere läßt
er im vollen Sonnenschein sich ihres Glückes freuen. Wir sind in dem
Wien der 48er Zeit. Im ersten Akt quält ein böser alter Mann, der
pensiouierte Rutmeister Moser, seine junge Tochter Marie, deren
blühende Jugend am Krankenbett verkommt. Sie hassen sich gegen¬
seitig, und als Marie den Ruf des Lebens hört und einen jungen
Offizier liebt, der am andern Morgen in den Krieg zieht, nimmt dieser
Haß furchtbare Gestalt an. Sie gibt dem Vater einen stärkern Schlas¬
trunk als der Arzt vorschrieb, so daß er entseelt zu Boden sinkt. Dann
eilt sie zu ihrem Liebsten. In dessen Zimmer aber hat sich inzwischen
ein anderes Drama abgespielt. Max, der junge Offizier von den
Kürassieren, erörtert mit einem Freunde die seitsame Ueber¬
Bl
lieferung ihres Regiments, wonach dieses, um eine vor 30 Jahren er¬
littene militärische Schmach zu sühnen, jetzt in den sichern Tod reiten
soll; der Freund findet diese Ueberlieferung, die der Oberst auf¬
rechterhält, lächerlich. Als er fort ist, stürzt sich die junge
Frau des Obersten, die mit Max verbotene
und kokette
Beziehungen unterhält, ins Zimmer; sie will von ihm Abschied
nehmen. Während sie noch reden, hört der draußen vorbei¬
gehende Oberst das Gespräch in diesem zu einem Stell¬
dichein recht ungeeigneten Zimmer; er kommt herein und streckt
die schuldige Frau mit einem Pistolenschuß nieder, es dem Liebhaber
überlassend, sich selbst zu richten. Dann entferut er sich. Als Max
schon nach der Waffe greifen will, stürzt Marie, die hinter einem Vor¬
hang das ganze Drama verfolgt hat, hervor und fällt ihm in den
Arm. Zu einer letzten Liebesnacht mit ihr lockt ihn der Ruf des
Lebens, darauf erschießt er sich. Der letzte Akt bringt diesen drama¬
tischen Geschehnissen nur eine Abschwächung. Wir sind in einem nieder¬
österreichischen Dorfe, wohin sich die von ihrem dem. Tode geweihten
Liebsten verlassene Marie mit ihrer Tante, der Frau Richter, begeben
hat. Sie erlebt hier den Untergang ihrer Base und Jugendfreundin
Katharina, die der Ruf des Lebens in Wirrsal und Abentener verstrickt hat,
und die in ihren Armen stirbt, nachdem der Doktor und der Forst¬
adjunkt, ihre langjährigen Freunde und Verehrer, noch tiefsinnige Reden
gehalten haben über Menschenschicksal und Leben, echt wienerisch=resigniert
und im Grunde recht banal. Dieser letzte Akt schadete dem Stück am
meisten; ohne ihn hätte man das Recht, von einem Erfolg zu reden,
den das im ersten Akt spannend und wirkungsvoll einsetzende Drama
auch verdient hätte. Es wäre gut, wenn unsere Dramatiker einmal
aufhörten, über das Leben zu reflektieren, was auch Hauptmann und
Sudermann in ihren neuern Schöpfungen so geschadet hat, und wenn
sie das Leben mehr kräftig=unbewußt mitlebten. Leider hat dieser blasse;
Geist der Reflexion bereits Schnitzters Sprache geschadet; sie, die einst
frisch und kräftig war, ist jetzt blühend und manieriert. Die Dar¬
stellung im Lessingtheater war mit Ausnahme des Herrn Bassermann,
der für die Rolle des Obersten gar nicht paßte, vorzüglich, am besten
mar Frl. Triesch als Marie.
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27 2. 1996.
Mauer morgen Zertung,
vom:
Allerlei Neues.
Aus Berliner Theatern. Man schreibt uns aus Berkin:
ArrturSuinler hat am Sonnabend im Lessingtheater
mit semem nenen causptel „Der Ruf des Lebens“ einen
anfangs ganz ungewohnlich starken, zum Schluß eine Weile sehr be¬
strittenen Erfolg errungen. Der erste Akt, der die Hälfte des ganzen
Stückes umfaßt, hat eine enthusiastische Aufnahme gefunden, der
zweite eine gute, der dritte aber wurde anfangs abgelehnt, bis die
Vorliebe für den Wiener Poeten die Ueberhand gewann und lauter
Beifall die Opposition besiegte. Dieser Schlußakt ist echter Schnitzler,
leise, still, voll lieber, feiner Stimmungen, aber er erscheint zu
handlungslos gegenüber der ungewöhnlichen Fülle dramatisch ge¬
häufter Geschehnisse, die die ersten Akte bringen. Und dann noch ein
Uebelstand: auch am Schlusse des dritten Aktes liegt ein Sterbender
auf der Bühne, wie im ersten und zweiten Akte. In jedem Akte eine
Leiche, das ist zu viel selbst bei einem Dichter, der wie Schnitzler so
meisterlich vom Tode zu erzählen weiß, vom Todesgrausen, von dem
furchtbaren Verzicht auf das Leben, von dem immer wieder lockenden
Rufe des Lebens. Zum Schluß des ersten Aktes hat Marie ihrem
fast achlzigjährigen Vater einen Schlaftrunk gegeben, an dem er sofort
stirbt, so daß sie nun frei ist, herausstürmen kann in das Leben, in
die Liebesnacht, die sie dem heimlich Geliebten, dem Leutnant Max,
vor dessen sicherem Tode gewähren will. Zum Schluß des zweiten
Aktes hat der Oberst seine Gattin bei diesem Leutnant getroffen und
hat sie alsbald erschossen — nun liegt die Leiche am Boden, Max
ist eben dabei, zur Sühne und zur Tilgung seiner Schmach sich selbst
den Tod zu geben —
— da stürzt Marie in seine Arme. Und er nimmt
sie, um die letzte Liebesnacht mit ihr zu feiern. Dieser Schluß versagte
— erstlich bedeutet bei unserem heutigen Publikum ein Schuß auf
offener Szene nur noch einen Knalleffekt und entbehrt der inneren
Wirkung. Während man im ersten Akte es verstand, daß die Tochter,
die an der Seite eines grämlichen, hämischen, tyrannischen Vaters
ihre Jugend vertrauert hat, sich nun um jeden Preis befreit, selbst
durch Vatermord, und aus Sympathie für das Mädchen und ihre auf¬
lodernde Leidenschaft gar nicht erst zur Prüfung des gefährlichen
Problems kommt, vermag man im zweiten Akte, wo die Geschehnisse
einander drängend sich häufen, sich schwer in die Psychologie des jungens
Mannes zu versetzen, der von der Leiche der Frau, die ihm zur Liebelei
gedient hat, sich sofort abwendet zum Liebesgenuß mit dem Mädchen

das zum ersten Male zu ihm
gekommen. Freilich baut
Schnitzler seine Handlung auf dem Hintergrunde einer bewegten, die
Leidenschaften fesselloser walten lassender Zeit auf: es ist um dien
Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien, der Krieg hat begonnen und das
Regiment der Blauen Kürassiere hat sich die Gnade erbeten, auf dem
gefahrlichsten Posten stehen und in den sicheren Tod gehen zu dürf
um von dem Regimente die Schmach zu löschen, die ihm seit dreiß
Jahren anhaftet, seit dieses Regimen damals durch seine Flucht ein
Niederlage der Oesterreicher herbeigeführt hat. Nun ziehen die
Männer des toigeweihten Regimentes in den sicher
in seiner stillen Stube der achtzigjährige Rittmeister
der sich an das bischen Lebenrest klammert, der Tock
es damals gewesen, der durch seine Flucht, durch sei
gen
dem Leben seine Mannschaft verführt und die Niederla
eigefül
hat. Das vertieft noch Maries Haß gegen den Vater, der i#
Jugend
zerbrochen hat, an dessen Krankenlager sie Tag und Nacht gesessen hat,
während alles in ihr sie hinlockte zu Max, dem jungen Offizier, mit
dem sie einmal eine selige Nacht durchtanzt und den ssie dann nie
wieder gesehen hat. Und nun hört sie, er warte ihrer und eine einzige
Nacht ist ihr noch vergönnt, dem Rufe des Lebens zu folgen und sei
zu werden. Die psychologische Motivierung, die Schnitzler für die
furchtbare Tat der Tochter bietet, hat etwas suggestiv Ueberzeugendes,
und dieser erste Akt, der mit dem Tode des Alten schließt, hat eine zu
grandioser Wirkung aufsteigende Kraft. Leider stehi die Dichtung im
ganzen nicht auf der Höhe dieses ersten Aktes, den man einen in sich
geschlossenen Einakter nennen könnte. Ueberaus reich ist das Werk
an tiefen Gedanken und Aufschlüssen, an feinen Stimmungen, in der
Charakteristik der Gestalten steckt überzeugende Kraft, die Variationen
über das Thema vom Ruf des Lebens sind fesselnd, geistvoll und von
tiefgründiger Psychologie. Das Stück klingt aus wie in einer Absage
an das wilde Verlangen zerstörter Jugend nach dunkeln Abenteuern
und der Tröstung, daß auch aus dem milden Frieden eines stillen
Somertages der Ruf des Liebens klingt — es ist kein als Ganzes gutes,
aber sehr interessantes und anregendes Stück. Irene Triesch als
Marie war ergreisend und erschütternd, bedeutend wirkten Marr und
Bassermann, dann Reicher, Else Lehmann und Herr
Stieler. Eine Schwindsüchtige wurde von Grete Hof mann,
der Gattin unseres Heldentenors Kraus, die nach langer Pause
wieder die Bühne betrat, mit rührender Diskretion verkörpert.?