II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 68

Berichte über Uraufführungen:
Arthur Schnitzler: der Ruf des Lebens. schausptel in drei Akten.
Zum ersten male aufgeführt am 24. Februar 1906 im Lessing=Theater zu Berlin.
— Nürnberg, Stadttheater.
Angenommen: Leipzig, Schauspielhaus — hannover, deutsches Theater
Arthur Schnitzlers dreiaktiges Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ hatte bei seiner Premiere im Lessing=Theater einen nach
den beiden ersten Akten starken, nach dem letzten Akte nicht unbestrittenen Beifall. Alle Kritiken, ob lobend oder tadelnd,
stimmen darin überein, daß dieses Werk des Autors theatralischste, kräftigste Bühnenarbeit sei.
Dieses Stück ist erfüllt vom besten, was Schnitzler zu bieten vermag. eine kontrapunktische fugenartige Abwandlung jener beiden vielfach
Alle Motive, die Schnitzler je beschäftigten, die er als sein Eigentum individualisierten „Rufe“, eine große geistreiche dichterische Konstrukton;
ansprechen darf, haben hier einen tieferen, volleren Klang. Hier ist das wie ein feingewobener Teppich, dessen vielverschlungene Arabesken, aufs
Aufrauschen des Lebens vor der großen Stille des Todes. Hier ist ein
geschickteste die Motive verbindend, ein riesiges großes Gleichnis darstellen.
Schicksal nur lose im anderen verschränkt, und jeglicher bleibt am Schlusse
Freie Deutsche Presse, Berlin.
doch einsam. Die Gleichwertigkeit alles Geschehens ist hier wieder aus¬
Gewiß. — „Der Ruf des Lebens“, Schauspiel in drei Akten von
gesprochen, nur mit reineren, von einer seltsamen Schönheit vibrierenden
Arthur Schnitzler und zum ersten Male am Sonnabend im „Lessing¬
Akzenten. Und ein Duft von Wien, ein Hauch von österreichischer Land¬
Theater“ gegeben, hat seine mancherlei Mängel.... Wir indessen, die wir
schaft ruht über diesem Werk, wie er niemals vorher an einer Schnitzler¬
zu den alten Philistern gehören, welche im Drama immer noch Tat und
schen Arbeit haftete. So klar und scharf ist die wienerisch=österreichische
und Geschehen wollen, fühlten es wie eine Erfrischung, diese antiquierten
Atmosphäre dieses Stückes, daß man wie an schönen Herbsttagen alle
Forderungen wieder einmal reichlich erfüllt zu sehen. (Folgt Inhalt.) Also, es
Höhen, alle Täler, alle Gipfel des Landss zu erkennen glaubt.
passiert etwas in diesem Schauspiel von Arthur Schnitzler. Es flammen starke
Berliner Zeitung am Mittag.
Leidenschaften. Es mordet eine Tochter ihren Vater, eine Rächerin und
Im „Lessing=Theater“ ist gestern Artur Schnitzlers neueste Bühnen¬
Sklavin ihres heißen Blutes zugleich. Es tötet ein Soldat seine treulose
dichtung, das Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ nach seinem ersten Akte
Gattin, um die Tat alsbald vor dem Feinde an der Spitze seiner Reiter
mit enthusiastischem Beifall begrüßt worden. Gegen die sehr freundliche
zu fühnen. Es opfert sich ein junger Leutnant nach des Satzes noblesse
Aufnahme, die der zweite Akt fand, erhob sich eine schüchterne Opposition. oblige dringendem Gebot. Eine düstere Tragik waltet, welche in der
Verkettung der Umstände, die die Tochter zur Mörderin des Vaters
Hatte man nach dem eine volle Stunde währenden ersten Akt den Ein¬
druck gehabt, am Beginn eines ungewöhnlich großen Erfolges zu stehen, werden lassen, fast einen antiken Hauch verspüren läßt. Wenn Sie das
so glich dagegen die Aufnahme, die dem dritten Akt mit seinem leise auch „konstruiert“ nennen, meine Herren! Muß doch der Dramatiker
verklingenden Finale zuteil ward, im ersten Augenblick einer entschiedenen ein sorglicher Konstrukteur sein. Hat etwa Friedrich v. Schiller nicht
„konstruiert“?
Ablehnung — dann aber erhob sich wieder lauter Beifall, und der
Nordd. Allgem. Zeitung.
Dichter konnte, wie nach den früheren Aufzügen, auch zum Schluß
Und doch ist es vielleicht das feinste, sicher aber das reifste, reichste
wieberholt erscheinen. Dieser Schlußakt bietet wieder eine Fülle feinster
und vollwertigste Werk des Dichters. Ein Werk der Selbstbefreiung, in dem er
Schnitzler=Schönheiten, ist reich an klugen und tiefgründig=phychologischen
sich, wie mir scheint, für immer mit einem Thema abgefunden hat, das
Gedanken, an weichen, stillen Stimmungen. Berliner Lokalanzeiger.
ihn seit seiner ersten größeren Novelle nicht mehr verließ: das Leben an
der Schwelle des Todes. In diesem letzten Akt, der dem Publikum
Der neue Schnitzler, von dessen Première im Lessing=Theater“ ich
gestern so sonderbar vorkam, hat er es hoffentlich abgetan, nachdem es
eben komme, hat der kleinen Gemeinde, die ein wirkliches Verständnis
im „Schleier der Beatrice“ eine so wundervoll purpurn leuchtende
für die zarte Problemkunst seiner Dramen hat, eine große Ueberraschung
Renaissance aus Sterben, Liebelei und Vermächtnis gefeiert hatte. Nun
bereitet. Er, dessen Stücke, um ein Nietzschewort zu gebrauchen, wie
hat er den Weg frei, wenn ihn das Leben mit anderer Stimme ruft. —
auf Taubenflügeln daherkommen, dem man im gegnerischen Lager die
Marie wird von ihrem Vater, einem sterbenden, harten, verbitterten
Fähigkeit absprach, starke Bühnenwirkung zu geben, hat diesmal ein Stück Mann quälerisch und roh eingeschlossen gehalten. In einer Nacht, in
geschrieben, in dem er alles bisher bei ihm Vermißte nachholt.
der sie dem Gefängnis entfliehen durfte, hat sie auf einem Ball einen
Die Post, Berlin. Offizier kennen und lieben gelernt; sie hat ihn seitdem nicht gesehen,
Im „Lessing=Theater“ rief am Sonnabend der warme, ob auch aber alles um sie her ist versunken, sie haßt den Vater und weist einem
zum Schluß abflauende und nicht widerspruchslose Beifall eines aus= früheren Verlobten die Türe. Da hört sie, daß mit dem Morgengrauen
verkauften Hauses Arthur Schnitzler nach allen drei Akten seines neuen des nächsten Tages das Regiment jenes Offiziers ins Feld zieht, um
Schauspiels „Der Ruf des Lebens“ mehrmals vor den Vorhang. In nicht wiederzukehren. Sie haben sich dem Tode geweiht, um eine Schmach
feiner dichterischer Kraft, psychologisch analysierend, steigt der erste Akt des Regiments im vorigen Feldzug abzuwaschen. Der Arzt des Vaters,
an in dem Ruf des Lebens, der mit elementarer Macht laut wird in der der sie liebt und mit ihrer Jugend Mitleid empfindet, bläst ihr ahnungs¬
Brust eines jungen geknechteten Weibes, in dem Verlangen nach der los den Gedanken ein, nun den Vater zu verlassen und dem Ruf des
Seligkeit selbstvergessenen Sichhingebens. Andere Töne des gleichen Lebens zu folgen. Wieder sperrt sie der Vater ein, und sein Verhängnis
Themas mischen sich in die Melodie. Und leise schon klingt hinein, was treibt ihn, ihr zu erzählen, daß es seine Feigheit war, um die die jungen
in den starken theatralischen Effekten des zweiten Aktes die Grundnote Helden jetzt sterben müssen, er hat die Schwadron geführt, die damals
gibt, der Ruf des Todes. In poetischer Kontrapunktik, fugenartig in die Flucht ergriff. Da gibt sie ihm einen Schlaftrunk für hundert Nächte
einander verwoben, durchdringen sich dann die Themata in einem Höhe= und flieht zu „ihm“. Der aber freut sich auf den Tod, denn er will in
punkt. Aber der Ruf des Lebens führt selbst in die Nähe des Todes. ihm fühnen, daß er die Ehre seines Obersten, den er liebt, der ihn liebt,
In einem von den ersten zwei Aufzügen esentlich verschiedenen weichen beschmutzt hat. Schon hat er von der schönen Frau Oberst Abschied
Schlußakt gibt der Dichter dann des Aus= und Abklanges Lebensweisheit, genommen, aber sie kommt wieder, um ihn zu schimpflicher Flucht ins
zwischen melancholischer Resignation und Lebensbejahung die Mitte Leben zu bereden. Vorher aber ist Marie in sein Zimmer geschlüpft
haltend: schwankend und willkürlich ist der Wert aller Lebensgüter und und hat sich verborgen. Der Oberst überrascht das Paar und schießt
großen Worte, und nur das Leben selber ist gewiß. Das Ganze wie seine Frau nieder. Den Herrn Leutnant begnadigt er dazu, die Schuld