II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 103

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19. Der Ruf des Lebens
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belauscht hinter einem anderen Vorhange die Szene
und erschießt die Untrene; dem Rialen will er
Lessing=Theater.
es überlassen wie er mit Austand aus dem Leben
Der Ruf des Lebens. Schanspiel in 3 Akten von
gehen kann. Max zieht seine Pistole, Marie springt vor, und
Arthur Schnitzter. Erste Aufführung am 24. Februar.
die beiden verbringen die Nacht zusammen, worauf Max sich
Regie: Emn Lessing¬
an der Leiche der erschossenen Frau den Tod gibt. Dunn
Schnitzlers Skeptizismus hielt sich bisher streng in den
ebbt das Leben wieder in die Alltagsufer zurück. Das ist
Grezen der Salonfähigkeit und hat daher im Tiergarten¬
die Haupthandlung. Aber auch andere Personen werden
vom Leben genarrt. Katharina, eine Verwandte Mariens,
viertel zahlreiche Verehrer. Nun will er uns einmal kraß
ist von einem Forstadjunkten verführt und verlassen worden.
kommen. Shaw hat ja das Theaterpublikum an starke
Sie fühlt sich krank, ihr Leben wird nur noch zwei
Negationen gewöhnt, warum sollte Schnitzter also zahm bleiben?
Jahre dauern; um diese Zeit auszukosten, ergibt sie
In der ersten Aufführung seiner Shaw=Imitation ver¬
sich allen Männern, die sie haben wollen; im Liebeslaumel
sagten aber die Berliner Theaterhabitnés dem Wiener Dichter,
was sie dem Briten als einem Ausländer so bereitwillig ge¬
wird sie wahnsinnig. Genarrt sind auch die blauen Kü¬
währt hatten: sie gingen auf seinen Nihilismus nicht ein.
rassiere alle, die dem Schemen einer Ehreupflicht ihr junges
Leben opfern. Und so weiter.
Allerdings besteht auch ein großer Unterschied zwischen dem
Originale und der Nachbildung. Shaw ist als Dialektiker
Wie einfuch lösen sich doch alle moralischen Kouflikte,
durch die politische und jomnalistische Schule gegangen und
wenn man von der Höhe des konsequenten Materialismus
hat in täglicher Uebung sein Handwerk zur Kunst aus¬
das Recht des Individuums über alle Pflichten setzt, die
gebildet. Er verfügt auch über so viel dramatische
dauernde Identität der Persönlichkeit leugnet und sogar den
Gestaltungskraft, daß er seine Thesen lebendig werden
letzten idealistischen Notanker des Materialisums, das Glücks¬
lassen kann; wo er Kommentare braucht, da ergeben sie
verlangen, fahren läßt!
sich im Dialog auf natürliche Weise und hängen den Personen
Die Aufführung suchte durch Ausstattung zu ersetzen,
nicht wie Spruchbänder aus dem Munde. Schnitzler dagegen
was dem Stücke an Geist und Gemüt fehlte. Ein ent¬
orakelt naiv darauf los, ohne an kluge Einwände zu denken.
zückendes Landschaftsbild im letzten Akte entschädigte denn
Seine Dialektik ist nicht einmal schulgerecht, geschweige denn
auch in der Tat durch seine leuchtende Schönheit für die
künstlerisch. Seine Figuren sind nicht freie Persönlichkeiten
dürre Weisheit der Reden. Die Schauspieler hatten mehr
mit individnellem Leben, sondern zu einem Beweiszwecke er¬
zu sprechen als darzustellen. Sie handelten wie im Traume
sonnen; ihre Handlungen geben nur Beispiele ab, an die der
und versanken in Teilnahmlosigkeit, wenn die Reihe zu
Klugredner des Stückes seine Sentenzen knüpft. Im übrigen
sprechen nicht an ihnen war. Sogar Frl. Irene Triesch
stimmt er ja mit Shaw überein: Das Leben narrt mis
(Marie) mußte zu diesem Notbehelfe greifen. Herr
alle. „Der Ruf des Lebens“ ergeht hier an ein ein¬
Rittner (Forstadjunkt) spielte den philiströsen Don Inan
sames Märchen, das seinem alten kranken Vater als Sklavin
mit den philosophischen Anwandlungen; jeder andere Schau¬
Nenen muß. Marie hat einmal in einer Ballnacht einen
spieler hätte die dumme Rolle ebenso git spielen können.
schigen Lentnant von den blanen Kürassieren kennen gelernt
Herr Bassermann (Oberst), Herr Stieler (Max), Herr
und sehnt sich nach ihm mit allen Sinnen. Sie berent, daß
Reicher (Arzt und Räsonnenr) gaben dem Stücke, was
sie Ihn nicht aufgesucht hat. Morgen ziehen die blauen
ihm gebührte. Der Erfolg alles Aufwandes der Regie und
Lürässiere ins Feld und haben geschworen, um eine alte
der Darsteller war aber nicht ausreichend. Unter dem Bei#
legenkenhafte Schande ihres Regiments zu sühnen, daß keiner; falle der Freunde und dem Widerspruche der Mehrheit (wie
von ihnen leind das Schlachtfeld verlassen will. mir schien) fiel der Vorhang. So war das Urteil der
Um in dieser letzten Nucht bei ihrem Max sein Premierenbesucher. Daß ein weniger kritisches Publikum in
zu köngen, gibt Marie einem treuen Bewerber
den Mordszenen mehr Gefallen findet, ist nicht aus¬
den Abschied und vergiftet den Vater. Kaum liegt der Alte
geschlossen.
M F.
am Boden, läuft sie zur Kaserne. In Maxens Zimmer wird
sie binter einem Vorhange Zeuge des Abschiedes, den Maxens
Die Buchausgabe des Schnitzlerschen Schauspieles erschien
Celsebte, die Frau des Obersten, von ihm nimmt; der Oberst soeben bei S. Fischer, Verlag, Berlin.