II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 164

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19. Der Ruf des Lebens
Entwicklung der Schonspielkunst zurücklassen und zeigt uns, und der wildesten Unlturkrisen doch auch eine Fülle von Talent.
daß in dem unglücklichen Lande der trostlosesten Gegensätze, geistigem Bedürfnis und Naturkraft steckt.
Sternen.
Unter
Von Adolf Diesterwes.
Des Menschen Antlitz ist nicht zur Erde, sondern aufwärts
der Kenntnis der Sterne resultiert zugleich ein hoher sittlicher
Ernst.“
gerichtet. Sein Blick fällt schon in früher Jugend auf den
Himmel, und die ältesten Naturvölker kannten die allgemeinen
Die Astronomie verführt den Lehrer nie zu der Unmethode,
den Schülern Sätze vorzusprechen, die sie nicht verstehen; nie
Erscheinungen desselben. Sie zeigten ewigen Wechsel in
ewigem Bestand unter unabänderlichen allgemeinen Gesetzen.
zu der Trrannei, diese Sätze auswendig lernen zu lassen und
Alles ist dort Regel und Gesetz. Sie zu erkennen fordert die
dadurch die schwache Flugkraft des Geistes der Schüler zu
Würde des Menschen. Die Wissenschaft, die sich mit dem Him¬
lähmen, sie flößt dem Lehrer nicht die Besorgnis ein, daß der
mel beschäftigt, ist die „erhabenste im Raume“. Echtes Natur¬
herangereifte, zum Selbsturteilen angeleitete, zu Lebenserfah¬
wissen oder mit einem Worte Natur=Erkenntnis ist Kenntnis
rungen und zur Kenntnis der Ansichten gebildeter Menschen
der Erscheinu gen, ihrer Ursachen und ihres gesetzmäßigen Ver¬
vorgedrungene Schüler sich reigern werde, die vorgetragenen
laufs.
Sätze anzuerkennen; sie erlaubt nicht einmal den Gedanken,
dem Schüler irgend eine andere, als etwa eine historische Tat¬
Wie alles gewisse objektive Wissen, an dem kein subjek¬
sache oder Wahrheit vorzusagen und auf die gläubige, An¬
tives Aleinen oder Vermuten haftet, den Geist fest und sicher
nahme derselben zu dringen; sie gestattet die Durchführung des
macht und denselben mit bleibendem Inhalt erfüllt: so auch das
großen Entwickelungsprinzips, welches verlangt, daß dem
Wissen der allgemeinen Erscheinungen und ihrer Gesetze. Es
Schüler nicht eine einzige Dorstellung dargeboten erde —
erhebt den Menschen über die irdischen Wechselfälle des Lebens,
ohne Verständnis. In der Tat, wenn es sich so vercält. und
über das Vergöngliche und Eitle, das vorüberrauscht wie die
es verhält sich so. so muß die Astronomie eine herrliche Wissen¬
Wellen des Meeres, und dessen Gesetze wir zum größten Teile
schaft, ein treffliches, unübertreffliches Bildungsmittel sein!
nicht kennen.
„Es war,“ sagt Tegner in seinen Reden, „ein ordnender
Zu allen Zeiten haben daher ruhige und stille Gemüter
Geist, welcher die Welt aus dem Chaos emporhob; ohne Ord¬
eine besondere Anziehung zur Kenntnis des gestirnten Himmels
nung würde sie in dasselbe zurückgesunken sein. Diese Ord¬
verspür. Tiefer angelegten Kindern ist sie in besonderem
nung ist ein= für allemal bestimmt. Die Naturgesetze sind die
Grade eigen. Ganz allgemein ist das Interesse für dieses
Paragraphen in dieser großen Ordnungsbestimmung, und kein
Wissen. Wo es nicht gefunden wird, da ist es nicht mehr vor¬
Reichstag hat noch das Grundgesetz der Welt verändert. Wie
handen, war also da, entspricht der Natur, ist folglich leicht zu
nach dem Glockenschlage fährt die Sonne mit ihrem Wagen
#erwecken. Nur der von den Sorgen des Lebens ganz erfüllte,
dahin, und ihr #u## wohl nie gehört, daß der Mond sich ver¬
unter den irdischen Lasten erliegende, oder auch der von den Lei¬
schlafen hätte.“
denschaften ganz unterjochte Mensch ist für ein so reines, an und
Nachdem Copernikus und Newton die Astronomie den
für sich schon veredeindes Wissen unempfänglich. Aber, wie
Kinderschuhen enthoben haben, ist sie ein universales, allgemein
die Erfahrung lehrt, selbst die Unglücklichsten der Wesen, ab¬
menschliches Bildungsmittel; unter den Bildungsmitteln, die
gearbeitete Fabrikkinder, freuen sich, wenn dem müden Leib
man „Humaniora“ nennt, nimmt sie eine der ersten Stellen ein.
nur einige Ruhe und Stärke geworden, noch in späten Abend¬
Darum ist es so schwer begreiflich, daß man ihre Kenntnis
stunden etwas von Sonne, Mond und Sternen zu hören.
nicht von denjenigen, welche man beruft, den Menschen die
Uein Lehrer sollte dieses Wissens unkundig sein. „Die
Gottheit zu offenbaren, als ein unerläßliches Wissen verlangt.
gründliche Uenntnis der mathematischen Geographie ist nicht
Jedes Wissen wird doch hauptsächlich aus seinem Wirken
sowohl ein Lob, als die Unbekanntschaft mit ihr ein Tadel ist.“
erkannt.
(O. Schulz.) „Wie viel Wilde gibt es, und nicht bloß in den
Die Vorstellung des gesetzmäßigen Verlaufs der Ereignisse
Wäldern von Amerika und Neu=Holland, sondern auch in den
und Vergänge in der Natur dringt mit unwiderstehlicher Macht
Hauptstädten Europas, welche die Sonne und den Mond und
auf jeden ein, Her die Naturerscheinungen und physischen Tat¬
das zahllose Heer der Sterne täglich vor sich auf= und nieder¬
sachen beobachtet und denkend kennen lernt. Diese Wahrheit,
gehen sehen, ohne sich nur ein einziges Alal zu fragen, woher
daß in der Natur alles, was wir bereits kennen, nach ganz be¬
sie kommen und wohin sie gehen, und warum sie ewig in den¬
stimmten Gesetzen erfolgt, aus welchen dann die feste Ueber¬
selben Kreisen um die Erde ziehen.“ (Littrow.) Kein Schü¬
zeugung resultiert, daß auch alles, was wir noch nicht genau
ler sollte aus der Schule entlassen werden, ohne Anschauung
kennen, ebenfalls gesetzmäßig geschieht, und daß alle Willkür,
und Keüntnis des Himmels und seiner Wunder gewonnen
alle Zufälligkeit davon ausgeschlossen ist — diese aus allen
zu haben. „Die mathematische Geographie ist der Torweg der
Einzelheiten, wie aus der ganzen Betrachtung, ohne Worte —
Geographie: sie steht zunächst im Dienste der Geographie; die
dem Lernenden sich aufdrängende Wahrheit halte ich für eine
Astronomie aber im Dienste der Humanität.*) Ein allgemeines
äußerst wichtige. Sie verleiht dem Betrachter nicht nur er¬
Bedürfnis des Aenschen verlan#t sie, sie sollte Gemeingut aller
kennend einen hohen Genuß, sondern sie impft ihm auch die
Gebildeten sein. Die Sterne sind uns näher gestellt als die
Freude an selbsteigner, gesetzmäßiger Gestaltung seines Lebens
Natur und Statistik des Otaheitischen Landes.“ (Dr. Kühner.)
ein, und sie veranlaßt ihn zur Auffassung der richtigen Stel¬
Ihren formalen Wert bezeichnet derselbe so: „Die Kenntnis
lung des Alenschen zur Natur und ihrem erhabenen Urheber;
der Sterne dient zunächst zur Befriedigung eines der ersten,
sie macht den Menschen fest. Ilun wird durch diese Wahr¬
natürlichsten und reinsten Bedürfnisse des Gefühls. Dieses
nehmung alle Planlosigkeit, alle Unordnung und Willkür ver¬
wird bald zur Anregung für den Verstand, zur Quelle
leidet, und er fühlt sich von der Ueberzeugung durchdrungen,
reiferen Nachdenkens. An die Stelle des träumerischen und
daß es ein Verbrechen sei, die Naturgesetze zu übertreten. Ich
abergläubischen Betrachtens tritt die Selbständigkeit der Sinne
denke: dieser Gewinn, der nebenbei abfällt (was eben das
und des Geistes. Dies bewahrt vor dem Grundfeinde aller
Schönste dabei ist — auch hier ist die Zufälligkeit und Will¬
Geistestätigkeit, der Gewöhnung das Nächstliegende nicht zu
kür ausgeschlossen), ist von hoher Bedeutung und kann den,
sehen — das Erhabenste zu sehen, ohne es zu empfinden — das
der das noch nicht weiß, von der ebenfalls großen und wich¬
Unerklärte zu betrachten, ohne es erklären zu wollen. Aus
tigen pädagogischen Wahrheit überzeugen, daß der wahre
Unterricht an und für sich, ohne alles andere, den Charakter
*) „Zwei Dinge sind es, die das Gemüt immer mit neuer
bildet.
und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen, je öfter
Die Astronomie erweitert des Menschen Blick und erhebt
und anhaltender sich der Geist mit ihnen beschäftigt: der gestirnte
ihn über engherzige, lokale Auffassungen und Ansichten. Daß
Himmel über mir und das ethische Gesetz in mir.“ (Kant.)