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Jahren, in der Schlacht bei Lindach, haben die blauen
Kürassière nicht stand gehalten. Es heißt, daß durch
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ihre Flucht das Treffen verloren gegangen sei. So
hat nun, da ein neuer Krieg ausgebrochen, der jetzige
Oberst des Regiments die Parole ausgegeben, es gelte die
alte Schmach zu fühnen, das Regiment müsse sich dem Code
weihn. Und so geschieht es. Wie im „Schleier der Beatrice“
stellt Schnitzler die Gestalten seines neuen Schauspiels“) vor
*) Das Buch erschien im Verlag von S. Fischer, Berlin 1906.
den Spiegel des Todes. Angesichts des drohenden Untergangs
wird ihnen das Leben lauter rufen.
Die Tochter eben des Mannes, der damals Schuld ge¬
tragen, daß das Regiment seinen Posten in feiger Flucht ver¬
ließ, liebt einen der todgeweihten Offiziere. Ihr Herz gehört
ihm, ihre Sinne fiebern nach ihm, obwohl sie nur ein einziges¬
mal mit ihm zusammengewesen. Der alte, kranke Dater aber
hält sie in strenger Haft. Keinen Schritt darf sie von seiner
Seite weichen, bei Tage nicht und nicht bei Nacht. Wie ihn die
Krankheit quält, so quält er sie. Mit dem Leben zerfallen und
doch sich an das Dasein klammernd, ist es ihm eine Wollust,
ihre Gefühle zu verletzen, ihre Geheimnisse auszuschreien, sie
sklavisch zu erniedrigen. Er weiß, daß sie ihm den Tod wünscht,
und eben das trägt dazu bei, ihm sein Leben teurer zu machen.
Nun aber ist die letzte Nacht gekommen, die sie mit dem Ge¬
liebten vereinigen könnte. Sie muß frei sein! Ihr Entschluß
ist gefaßt. Sie gibt dem Dater das Schlafmittel so reichlich,
daß für ihn kein Aufwachen mehr ist. Von seiner Leiche stürzt
sie fort, den Geliebten zu suchen.
Indem sie dessen Zimmer betritt, schreitet sie gleichsam in
ein zweites Drama hinüber. Der junge Offizier hat ein Ver¬
hältnis mit der Frau seines Oberst unterhalten. Bei einem
Stelldichein werden beide vom Oberst überrascht, der Ehemann
schießt seine Gattin nieder. Marie hat das alles versteckt mit¬
angesehen, aber auch das vermag ihren Entschluß nicht umzustoßen.
Die Frist, die der Tod gesteckt, ist kürzer geworden, das Leben
will sein Recht, es gilt seine Wonnen ein letztesmal gierig zu
schlürfen, und die Liebenden kosten sie aus. Die Nacht ist vor¬
über, der Offizier erschießt sich selbst, den Mord an der Frau
des Oberst auf sich zu nehmen, Marie geht dem Leben ent¬
gegen.
Es stecken zwei dramatische Kerne in der Schale von
Schnitzlers neuem Drama. All diese=Geschehnsse, innerlich
schwer zu überblicken, sind in zwei Akte hineingepreßt. Taten,
vor denen es wie ein Abgrund klafft, geschehen in drängender Eile.
Aber nicht die Tat ist von Belang für uns, sondern ihr
innerliches Wachsen im Menschenherzen. Wie gewinnt es
Marie über sich, dem Dater das Gift zu reichen? Es fehlt
an Anlässen nicht. Sie haßt den Dater und hat beinahe ein
Recht dazu, ihm den Tod zu wünschen. Die Stunde drängt.
Der Arzt des Hauses hat ihr das Verbrechen nahegelegt.
Eine Freundin, die, den sicheren Tod an der Schwindsucht vor
Augen, sich jedem Genusse hingibt, stärkt den Lebensdrang in
ihr. Der Dater macht sich ihr im entscheidenden Augenblick
verächtlicher. Aber das alles sind doch nur Anlässe, die Tat
näherzubringen. Man muß Mörderin sein, um zu morden, oder
ein schwerer, wechselvoller, innerer Kampf muß vorangehn.
Dem aber ist hier nicht so. Dies Verbrechen wirft keine
Schatten vorauf. Und man fragt weiter: Wie kann der junge
Offizier es über sich gewinnen, sich den Tod der Frau, die
seinetwillen erschossen wurde, so ganz aus dem Sinn zu schlagen,
daß er fähig ist, neue Liebe mit einer anderen auszugenießen?
Mag man es Marie glauben, daß sie, an einer Leiche vorüber¬
gegangen, der des eigenen Daters, durch die zweite nicht fürder
zurückgehalten wird, — aber er, der Mlitschuldige? Hier nun
fehlt jede Motivierung, auch jene äußerliche, die Tharakteristik
gibt keinen Aufschluß. So sinken die dramatischen Vorgänge
in Schnitzlers neuem Drama, so gewaltsam sie äußerlich sind,
auf den Wert von Chronikenfakten hinab.
Marie geht, nachdem die Nacht ihres Schicksals dem
Morgen gewichen, einem neuen Leben entgegen. Waren die
beiden ersten Akte mit äußerer Handlung übersättigt, so schlägt
der dritte die stillen Pfade beruhigender Betrachtung ein.
Sanftes Wellenspiel, abebbend, nach dem Sturm. Es gibt noch
einen andern Ruf des Lebens, der von Mord und Liebe und
wie die hochklingenden Worte heißen mögen, nichts weiß. Er
ist im Rhrthmus der sich ebenmäßig erneuenden Tage, im
Wechsel von Abend zu Morgen. Er singt das leise Lied des
steten Sichverjüngens. Er senkt die Schleier über die Ver¬
gangenheit. Und dieser andere Ruf des Lebens schlägt nun,
sei es von ferne noch und undeutlich, dennoch tröstend an
Mariens Ohr.]
Es ist die Zeit, deren Heilkraft angerufen wird. Im
Drama aber gibt es keine Zeit. Die starke Vergegenständ¬
lichung der Bühne hebt den Begriff entschwundener Wochen,
mählich erblühter Bäume für den Zuschauer auf. Für ihn ist
alles in einen engen Kreislauf eingeschlossen. Schnitzler greift
in diesem dritten Akte — ein Fehler, den er oft begeht — aus
dem Bereich des Dramas in das des Romans hinüber. Er
verliert damit die Möglichkeit, dichterische Kraft zu betätigen,
und rettet nur das Ansehen des belehrenden Referenten. Er
predigt, anstatt zu gestalten. Der Raisonneur übernimmt die
Führung. Hier aber stellt sich noch ein Bedenken ein. Schnitzler
faßt Mariens Verbrechen als eine Tat der Selbstbefreiung auf;
das ist sein gutes, dichterisches Recht. Es wäre auch durch¬
führbar gewesen, im Roman zu zeigen, wie sie die Tat innerlich
überwand. Aber es ist vielleicht kein Zufall, daß sich das
Drama solcher Entwicklungsmöglichkeit entgegenstellt. Das
Drama, scheint es, verlangt aus seinem inneren Wesen heraus
eine andere Moral. Die der Gebundenheit anstelle jener der
freien Selbstbestimmung.
So zerrinnt hier vieles. Es trat mir schon im „Zwischen¬
spiel“ entgegen, ohne daß ich es aussprechen mochte, doch wird
der Eindruck diesmal stärker: Schnitzlers Charakteristik blaßt
ab. Diele der Gestalten des neuen Schauspiels sind zu Be¬
griffen, sei es zu sehr geistreichen, verflüchtigt. In einer
aber lebt seine Schöpferkraft in aller Frische wieder auf.
Diese eine ist der Oberst. Er gehört zu jenen Menschen,
die der Wiener Dichter liebt, den großen Egoisten, die zugleich
große Lebenskünstler sind. Herr von Sala steht ihm nicht fern.
Doch sind dem Typus diesmal ganz neue, individuelle Züge
abgewonnen. Dieser Oberst spielt mit den Menschen. Er
hat das Liebesgehäkel des kleinen Leutnants mit seiner kleinen
Frau lange Zeit ruhig, wissend mit angesehen. Kühl, überlegt
stellt er den jungen Mann, fordert Rechenschaft und läßt sich,
scheint es, das Opfer aus seinen Händen entschlüpfen. Im
rechten Augenblick ist er wie der Tiger mit einem Sprung bei
seiner Beute. Die kleine Frau, sein eigenes Weib, wird mit
einem Epigramm abgetan. Der junge Mann darf weiter¬
atmen, den Mord auf sich zu nehmen. „Es wäre menschlicher
gewesen, es in einem abzutun, sagt der Jüngling. „Mensch¬
licher — ja. Aber das lag nicht in meiner Absicht.“
Diesem großen, kalten und egoistischen Lebenskünstler aber
ist sein Leben dennoch unter den Fingern entglitten. Sein
Beruf hat ihm gelogen. Um Kriegsdienste zu tun, war er bei
der Armee eingetreten, aber es wurde und es blieb Friede. Wie
ein Advokat, der nur mit gemalten Verbrechern zu tun hätte,
kommt er sich vor. Nun ihm endlich die Gelegenheit
wird, sein Handwerk zu üben, am lebenden Material, soll sie
ihm nicht wieder ungenossen fliehn. Denn es kommt vor,
daß Regimenter nicht ein einziges Mal im Feuer stehen.
Davor bewahrt zu sein, einen guten Abgang zu gewinnen und
gleichzeitig dem albernen Betrugsspiel seiner dummen Frau ent¬
hoben zu werden, erfindet er die Fabel, daß es notwendig
sei, die vor dreißig Jahren der Fahne angetane Schmach mit
dem Tode aller zu sühnen.
Hiermit nun, als hätte man einen Gipfel erstiegen, er¬
öffnen sich ganz neue Ausblicke auf Schnitzlers Drama. Eine
Ferne tut sich auf. Reichtümer blinken. Man sieht die Dinge
wie im hellen Licht der Wirklichkeit, das bei oder trotz seiner
Helle nie erkennen läßt, wie sie in Wahrheit gestaltet sind.
Die Luft, die allzeit bewegliche, das Ungewisse alles Menschen¬
seins ist gleichsam mitgemalt.
Hier gibt Schnitzler aus seinem Eigensten. Also, — die
Notwendigkeit des Todesritts ist eine Fabel. Der alte kranke
Mann, Mariens Dater, der wie ein Geizhals am Leben hängt,
hört von dem Fahnenschwur der Offiziere, sieht sein altes Re¬
giment den Marsch antreten, und eine perverse Wollust be¬
schleicht ihn, daß er es im Grund ist, der diese alle in den
Tod schickt, daß er, der Alte, diese Jungen überleben wird.
Dielleicht war er garnicht der erste, der damals vor dreißig
Jahren floh? Nun aber redet er sich's ein und, da er's
seiner Tochter sagt, schürt er den Haß in ihr und — bringt
sich selbst damit ums Leben.
Der Oberst hat die Fabel von der Notwendigkeit der
Fahnenentsühnn, erfunden
sicherlich auch deshalb, um
seinen jungen A##enbuhler aus dem Weg zu räumen, seiner