II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 198

19. Der Ruf des Lebens
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. Arena
nachklingt im Herzen; hier aber ein hartes,
einzigen Gefährten seiner krüben Skunden,
grobes Stück Theater, das vielleicht unseren
hinausfliegen lassen in den Frühling. Da
Großvätern sehr gefallen hätte und das
schlägt er den Kerl nieder. „Am einen Vogel!“
unsere Herzen leer läßt und unser Hirn voll
sagen die Richter. Aber der Vogel war
Staunen, wie ein feinnerviger Poet sich, das
sein Lebensinhalt, war ihm ein Bindeglied
Theaterglück zu zwingen, verirren kann in
mit der Welt, eine Sorge, ein Symbol und
die Requisitenkammer einer abgetanen Vor¬
eine Hoffnung zugleich. Und so tötet er sich
stadtdramatik.
selbst.
Und Theater bleibt auch — an dem
Was einer dem andern nimmk, wenn er
russischen Leben gemessen — der Versuch
ihn beraubt, — wer will's entscheiden? Der
Stefan Großmanns (im Schiller=Theater),
Paragraph entscheidet, sagt das Gesetz. Das
uns gegen das moderne Gefängniswesen zu
Herz entscheidet, sagt der Gütige. Der Zar
empören. „Der Vogel im Käfig“ — aus
entscheidet, sagt der Despotismus. Und dar¬
dem letzten Akt des „Lear“ klingt mir das
um: wenn der Zar ein Gütiger ist — und
schreckliche Wort des entthronten, geschlagenen
hätte er tausendmal die Stärke des geborenen
Königs, der im britischen Lager um Cordeliens
Herrschers — es wird die Stunde kommen,
Schulter den welken Greisenarm legt und den
da er im schmerzlichen Gefühl seiner Ohn¬
Blick ins Weite bohrend ruft:
macht mit Zar Feodor spricht: „O Gott, war¬
Nein, nein, nein, nein! Komm fort! Zum
um hast Du mir die Macht gegeben!“ da er
Kerker fort!
den lockenden Ruf eines freien und glücklichen
Da laß uns singen wie Vögel im Käfig.
Lebens vernimmt, das er niemals leben darf;
Bittst du um meinen Segen, will ich knien
da er sich fühlt wie der Kleinste und Aermste
Und dein Verzeihn erflehn; so woll'n wir leben,
als Vogel im goldenen Käfig.
Beten und singen, Märchen uns erzählen,
Rudolf Presber.
Und über goldne Schmetterlinge lachen...
Der zerbrochenen Größe, der zerschmetter¬
ten Majestät ist das Gefängnis der letzte
Ruhehafen vor dem Grab. Vogel im Käfig
zu sein, schreckt ihn nicht mehr. Bei Gro߬
mann kommt ein alter Gewohnheitsverbrecher
vor, der nicht anders denkt. Was vom Leben
zerrieben ist, sehnt sich, im Winkel zu liegen.
Hinker Gittern oder unter Schollen. Aber
was noch Leben in sich hat, will und darf
nicht von trockenen Paragraphen mitleidlos
hinter die Stäbe gelegt, von herzlosen Juristen
am grünen Tisch lebendig begraben werden.
Das Plaidoyer eines guten Menschen (der
auch Humor hat) für arme Teufel, die vom
Leben und Frühling nichts haben als einen
kurzen Gang im Kreise zwischen hohen
Mauern, als ein Stückchen Schokolade, das
ein mitleidiges Mädel aus dem Fenster auf
den lichtarmen Hof wirft, als ein munteres
Lied, bei offenem Fenster drüben in der
Dienstwohnung des Direktor gespielt. Was
Milien daran ist, ist hübsch. Was Plaidoyer
sein soll, ist anständig ... Was als Drama
übrig bleibt, ist schwach. Ein braver Hitz¬
kopf, der aus Leidenschaft gefehlt hat, wird
im Gefängnis beinahe zum Totschläger.
Szene aus dem IV. Akt (der Zar ruft: „Ins
Ein Tückebold hat ihm einen Staarmatz, den
Gefängnis mit den Schulskis!")
Für die Redaktion verantwortlich: Karlernst Knatz; Verlag Dr. Otto Eysler; Druck von Rudolf Mosse,
sämtlich in Berlin. (Persönl Zuschriften an d. Herausgeber sind an seine Adresse, W., Geisbergstraße 30, zu richten).