II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 202

19. Der Ruf des Lebens
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Die Berliner Theater.
der Dichtung, eine gewisse Oberflächlichkeit und Schablonenhaftigkeit des Vorwurfs
Barnowöli,
und der Figuren, schillernd verdecken. „Der Schwur der Treue“ ist ein gefälliges
k Wedelind:
Seitenstück zu der „Fee Caprice“, in dem malerischen holländischen Kostüm des sieb¬
ind „Marquis
zehnten Jahrhunderts. Antwerpen mit seinem reichen und üppigen Kunst= und Handels¬
zur ersten Auf¬
leben gibt den Hintergrund ab. Eine junge Witwe Claudine van Zuylen verliebt
te bei dieser Ge¬
sich in den Maler Veit van Emden, einen Schüler Rembrandts, der die Wände
iden Stücken die
ihrer Villa mit Gemälden schmückt, und heiratet ihn, trotz der Warnung ihres alten
im zweiten den
welterfahrenen Oheims Jobst, dem der Maler und seine Leichtlebigkeit bekannt sind.
groben roten
In einer lustigen Gesellschaft hat der Maler einmal ausgerusen: „Und sollte selbst
ire
der Hoch¬
die eine mich erhören, auf deren Atem meine Seele lauscht, und die wie keine je
Weiber. Alle
mein Herz berauscht: den Eid der Treue würd' ich ihr nicht schwören." Claudine
nationalen
ist großmütig und selbstbewußt genug, auf Veits Treueschwur zu verzichten, und
eue Welt¬
eine Weile geht auch alles gut, bis eine verführerische abenteuernde Gräfin Lux
hönheit“; der
Zugang in das Haus findet. Veit malt sie als Semiramis, und seine leicht erregte
Dummen,
Sinnlichkeit fängt bald Feuer an dem Glanz ihrer Augen und der Keckheit ihrer
einen Feen¬
Vorurteilslosigkeit. Ein Stelldichein wird verabredet; als aber die kluge Frau
euten ein
Claudine ihm die Erlaubnis dazu gibt und für den Abend ihre Schwester aufsucht,
enntnis
ergreift Veit Reue und Sorge: er schickt statt seiner den Oheim zu der Abenteurerin,
d an der
die den biederen Landjunker mit leerem Beutel und wüstem Kopf heimschickt. Nach
r andre
einer fein gesteigerten Schmoll= und Eifersuchtsszene versöhnen sich die beiden Gatten
Schmutz,
im Anblick eines Bildes, das Rembrandt als verspätetes Hochzeitsgeschenk ihnen schickt:
brigens
er mit dem Champagnerglas in der Hand und Saskia auf seinen Knien, das
Art
allbekannte Gemälde der Dresdener Galerie. Bild und Stück klingen gut zusammen,
Flucht
und so kann die freundliche, durch vier dankbare Rollen verstärkte Wirkung bei der
ihung
Darstellung, die Behaglichkeit bei der Lektüre des Lustspiels nicht ausbleiben.
eld
Gerade den entgegengesetzten Eindruck des Widerlichen und Grausigen empfange
einschneit,
ich von der Tragödie in drei Aufzügen „Odipus und die Sphinx“, von
die Ver¬
Hugo von Hofmannsthal, der Neuigkeit des Deutschen Theaters, die am
Ordnung
Freitag, den 2. Februar 1906, zum ersten Male aufgeführt wurde. Hugo
dekinds
von Hofmannsthal hat eine Vorliebe, die Stoffe andrer Dichter in seiner Weise und
und ent¬
Stimmung umzudichten. So hat er Otways Drama „Das gerettete Venedig“, von
heine ein¬
Sophokles erst die „Elektra“ und jetzt die Odipus=Fabel zu einer Umwandlung in
irl Het¬
die Moderne benutzt. Aus den naiven, unter dem Bann des Schicksals und dem
Moral=
Drang der Leidenschaft handelnden Helden der Antike macht er moderne nervöse
llen, daß
Menschen, in deren Gedanken und Empfindungen, Nerven und Eingeweiden er
hnte es sich
wühlt. Er möchte die erhabene, strenge und keusche Kunst der Griechen in das
ißgeburten
Hinterhaus und das Schlafgemach verlegen. Was für Sophokles die Voraussetzung
ie sch
ansieht.
seiner Odipus=Tragödie bildet: der Totschlag des Vaters, die Befreiung Thebens
ie zwei Stilpe¬
von der Sphinx, die Vermählung mit der Mutter, epische Vorgänge, die sich in der
sel" und „Die
Ferne und der Dämmerung der Vergangenheit zugetragen haben, wird für Hofmanns¬
Kleine Theater am
thal zum Gegenstand des Schauspiels. Er schreckt nicht davor zurück, Odipus auf
eiern fünf Gymna¬
offener Szene den Vater erschlagen und Jokaste mit dem Sohne sinnlich=begehrliche
nen Provinzialstadt
Blicke und Worte wechseln zu lassen. Statt ihnen die Dumpfheit des Unbewußten
ssie bei dem Gelage
zu bewahren, aus der die Sage ihre Handlungen herleitet, erfüllt er sie randvoll
er Gelehrter über¬
mit dem Bewußtsein und der schauerlichen Wollust dieser Handlungen. Sie sind
der Schlangendame
frtwährend mit dem furchtbaren Orakel beschäftigt und leben im beständigen Fieber
Pfarrerstochter ist
der Furcht und des Kitzels, das zu tun, was ihnen das Schicksal beschieden hat.
ht hat. In beiden
Der Odipus Hofmannsthals ist von Korinth nach Delphi gezogen, um von dem
cht das große Wort;
Gotte zu erfahren, wessen Sohn er ist. Er gilt für den Sohn des Königspaars
katur darstellt. Eine
in Korinth, aber einer seiner jungen Genossen hat ihn beim Zechgelage einen
hrung des Dramas
Findling genannt. Jetzt verlangt er von dem Gotte Wahrheit. Er erfährt jedoch
in der Übersetzung
von der Priesterin nicht, wer seine Eltern sind, sondern daß „er des Erschlagens
Januar. Das
Lust an dem Vater, des Umarmens Lust an der Mutter büßen“ werde: „so ist's
n wenigen Kindern
geträumt, und so wird es geschehen". Unter dem Druck dieses Traumes schickt er
Schwierigkeit, die