II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 222

19. Der Ruf des Lebens box 24/3
###eraikplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicage. Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York. Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelienangabe ehne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
echen
Vel
Zuold
Cheater, Musik und Kunst.
r. Dramatisches Theater. Die Bühne
der Frau Kommissarshewskaja, die vielfach die beste, lite¬
rarisch und künstlerisch höchstbewertele in der Residenz
mit Recht genannt wird, hat in ihrem Suchen nach
wirkungsvollen Dramen der Zeit eben bei der deutschen
Literatur eine Anleibe machen müssen und ein Schninler:
sches Schauspiel, in der Uebersetzung „Kpakb KH3HH“
betitelt — als letzte Premiere am vorigen Montag ihrem
Publikum geschenkt.
Ueber das Stück selbst ist nicht leicht referieren. Erstens
einmal gehört es durchaus nicht zu denen, die irgend als
Unterhaltungswerk allein genommen werden sollen und
zum andern gebt es trotz der Tiefe seiner ursprünglichen
dichterischen Anlage doch ganz und gar in die Jerwege
Telephon 12801.
rein theatraler Miche. Schnitzler hat es nicht verstanden,
seiner schlichtmenschlichen Idee eine gleich schlichte Form
zu geben. Der Dichter der „Liebelei“, der elegante Plau¬
.
derer vom Brettl, der „Ein Abschiedssonver“ mit allen
„UBSERVEN
Finessen amüsanter Charakteristik zu schildern wußte,
I. österr. behördl konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
fand für den großen leidenschaftswilden Ton gewaltiger
Schicksalsstimmungen keine passenden Ausdrücke. Anstatt
Wien, I., Concordiaplatz 4.
zu verinnerlichen, zu vertiefen, mit möglichst zarten
ertretungen
Farben das düstre Bild hoffnungsloser Sehnsuchten zu
in Berlin, Budapest. cago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
kolorieren, malte er Schwarz in Schwarz und setzte in
London, Madrid, Ma „d, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
die schauerliche Finsternis des Milieus ein paar so
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
schreiende Klexe, daß man ihm den Vorwurf ganz ordi¬
(Quellenangabe ohne Gewüähr)
närer Effekthascherei leider nicht ersparen kann. Drei
Akte besetzt das Drama und jeder einzelne endet mit
Ausschnitt aug
einer Leiche; zwei sogar mit ruchlosem Mord Im ersten
eus Freie Presse. Wiel
vergiftet eine lebenshungrige Tochter ihren kranken, alten
ihr wie ein Pfahl im Weje stehenden Vater; im zweiten
vom:

schießt ein Ehemann seine Gattin nieder. Que voulez
vous encore? Zudem wird die Situation in einer Weise
[Lrthur Schnitzlers neues Drama.] Arthür
zugespitzt, die ordentlich an Schreckenskammern in Panop¬
Schnitzlers neues Drama „Der Ruf des Lebens", das
tiken erinnert und eigentlich auch als „nur für Nerven¬
diesen Samstag im Berliner Lessing=Theater zum erstenmal in
starke“ annonciert werden müßte. Wer erträgt denn
Szene geht, wurde vor seiner deutschen Erstaufführung bereits
stundenlang das Anhören von Scheußlichkeiten, ohne
in russischer Sprache gespielt und hatte, wie aus Petersburg
Ekel zu empfinden? Wer vermag ruhig zu bleiben, wenn
berichtet wird, im dortigen Dramatischen Theater einen großen!!
er ununterbrochen bangen muß? Schließlich ist die
Schaubühne doch keine Eiserne Jungfrau, in der man
Erfolg.
gespießt werden soll.
Und Schnitzler tat in seinem „Schrei des Lebens“ alles,
um den Hörer zu foltern.
Ohne Frage lag es in der Absicht des Dichters, die Lust
nach Lebensgenuß, die heute so schreckhaft bei Alt und

Jung grassiert, eingehend zu schildern. Den egoistischen
Trieb, der die Gegenwart beseelt, dem eigenen Verlangen
folgend sich das Dasein zu gestalten, als wäre des Lebens
tiefster Grund nur in der Befriedigung animaler Leidens¬
wollte Schnitzler in die Region
stürme zu suchen —
psychologischer Enträtselungen erheben, ihn durch seelische
Motivierungen adeln. Aber das Schlechte läßt sich nicht
beschönigen und für das Ungesunde finden sich keine
Kostgänger. So bleibt der Charakter der Marie Moser,
die ihren Vater vergiftet, um eine Nacht in den Armen
des Geliebten zuzubringen trotz allen Beiwerks von Er¬
läuterungen und Entschuldigungen, die der Kommentar
der Handlung gibt — ein widerwärtiger Typ eines ver¬
brecherischen Weides. — Frau Kommissarshewskaja muß
doch wahrscheinlich geglaubt haben, daß es ihrer Dar¬
stellungskunst gelingen würde, die undankbare Aufgabe
zu lösen und die vom Dichter geschilderte Gestalt jenes
sonderbaren Ueberweibes uns menschlich näher zu bringen
und verständlich zu machen. Zum Glück aber ist noch ein
Rest von ernsterer Lebensanschauung in den Leuten wie
sie das Leben selbst und nicht das schreiende der Bühne
schuf und darum ging man auf die Verführungskniffe
schauspielerischer Seelenschmuggelei nicht ein. Der lär¬
mende Applaus durfte keineswegs als Sympathie für
den geschilderten Konflikt gelten, nur als Dank an die
Adresse des Talents der Frau Kommissarshewskaja. Zu
bedauern war es, daß Herr Wassilenko als kranker Ritt¬
meister Moser alle Würde durch unwürdiges Keifen
verlor. Wahrscheinlich verlangte dies die Regie, um den
Entschluß, den boshaften Vater zu vergiften, bei Marie¬
Kommissarsbewskaja anschaulicher zu machen. Sehr aut
war Herr Gardin als Oberst. Frau Cholmskaja als dessen
untreue Gattin hätte jugendlicher sein müssen, um so
verführerisch zu scheinen wie sie sein sollte.