Aussennitt ans
S. Zuege
M####g,
Theater und Musik.
Dramatisches Theater. (Direktion: W. F. Kommissar¬
sshewskoja) Am 6. Februar: „Kpüks knaun“ (Der Ru#¬
des Levens), Drama in 3 Alten von A. Schnitzler, übersetz
von P. Swesditsch und A. Tesi. — Das Lebensdrama, da¬
uns Schnitzter hier in künstlerisch wirksamer Stimmungsmalere
schildert, macht in seiner Gesamtheit genommen einen ungleichen
Eindruck. Der B ginn des ersten und der Schluß des letzten
Akts sind die Gianzpunkte des Dramas: erst das detaillie##te, in
sorgsam naturgetteuen Nüancen gehaltene Bild eines traurigen
Fomilienlebens, die Alltagstragik, wie sie sich in engstem Raum
in der Stille kleiner Verhältnisse abspielt, dann im letzten Akt
die wehmutige, aber abgeklärte Anschauung des Lebens. Das
sind die schonsten Partien des Dramas. Die Mitte jedoch, be¬
sonders der zweite Akt, enthält trotz seiner dramatisch sehr wir
kungsvollen Szenen viel theatralisch Gekunsteltes, absichtlich auf
den äußeren Eisekt Zugespitztes. Das Lebensverlangen, der
„Lebenshunger“, der das eben erst ins wahre Leben blickende
Mädchen und den sterbenden alten Mann mit gleicher Sehnsucht
#festhält, — bildet die Grundidee des Dramas. Mit dem krassen
Egoismus des durch sein Leiden verbitterten Kranken fesselt der
alte Mann, der täglich mit dem Tode ringende Rittmeister a. D.
Mosher seine Tochter an sein Krankenzimmer. Sie verkummert
an der Seite des griesgrämigen Vaters, der sie nicht von seiner
Seite lassen will. Das junge Mädchen verzehrt sich in Lebens¬
sehnsucht. Aber auch in der Seele des krankelnden alten Mannes
ist noch der Lebenshunger mächtig. In diesem Antagonismus
ist der bramatische Konstilt gegeben, und die Erklarung des
Dramentnels — „Der Ruf des Lebens“. Die Lebensseynsucht
wird in der Seele des jungen Mädchens übermächtig, der Schrei
nach dem Leben ertönt so iaut, so gebieterisch in ihrem Innern,
daß sie alle Rücksicht vergißt und nur dem Rufe des Lebens
olge. Bei einem erneuten Ausbruch des egoistischen Lebens¬
hungers des Sterbenden, läß, sie sich zu einem Verbrechen hinreißen:
in ihrer Hand liegt es, aus ein m Flaschchen mit einem Schlaftrunk
eine töblich wirkende Dosis dem Kranken zu reichen... Nach
vollbrachter Tat flieht sie hinaus aus dem Sterbezimmer, der
Lebenshoffftung entgegen. Bittere Entläuschung bietet ihr
der erile, heißverlangende Blick ins Leben. Aber sie ist dem
Rufe des Leyens“ gesolgt und kennt keine Reue ... Die welt¬
liche Justiz hätte die Verbrecherin gerichtet, aber eine höhere
Weltanschauung, die in der Person eines Arztes, eines Mannes
mit reiser, durch Leiden abgeklärter Lebenserfahrung, verkörpert
wird, spricht die Sünderin frei. Das ist die krasse „Moral“
des Lebensdramas, wenn man in einem Kunstwerk überhaupt
mit biegerlichen Moralbegriffen rechner darf und nicht mit der
bloße Schi derung des Lebens, wie es sich dem Künstlerange
bietet und sich im Kunstwerk spiegelt. Ein Kunstwerk ist aber
das Drama Schnitzlers in allen seinen Teilen, auch da noch,
wo es um der Bühnenwirksamkeit, willen in den künstle¬
rischen Mitteln nicht sehr wahlerisch ist: in der Episode, die
die Lebensmomente eines Offiziers schildert, der in Kampf 1.d
sicheren Tod hinausziehen muß. Denn das Regiment, dem er
angehört, hat sich dem Tode geweiht, als Suhne für die
Schmach, die einst — vor dreißig Jahren — dasselbe Regiment
auf sich geladen hat. als es vor dem Feinde die Flucht ergriff.
Diese Episode wird sehr #eschickt mit der Haupthandlung ver¬
voben. Der Rittmeister, der damals an der Spitze seiner
Schwadron in jähem Schrecken das Zeichen zur Flucht gab, in
der sterbende alte Mann, dessen letzte Lebensstunden der erste
Akt schildert. Und der junge Offizier, der in den sicheren Tod
gehen muß, ist es, der die Lebens= und Liebeshoffnung des
jungen Mädchens verkörpert. Aufdringlich störend inmiten der
sein nüancierten Stimmungsmalerei wirken in dieser Episode
die theatralischen Szenen, die sich aus der Eifersucht des Regi¬
mentsobersten ergeben, der seine Ingetreue Gattin erschießt.
Das fällt aus dem Rahmen des Stückes heraus. Ebenso er¬
scheint die Figur des Forstadjuntien Eduard Rainer, der das
junge Mädchen ohne Gegenliebe liebt, etwas hölzern. Oder ist
es die Schuld des Darstellers, Herrn Feona, der die ganze
Zeit eine zu steife Haltung bewahrt? Noch eine kleine
Episode wird in die dramatische Handlung verflochten:
die Lebenssehnsucht eines schwindjüchtigen jungen Mädchens,
die in den wenigen, letzten Tagen ihres Daseins dem „Rufe
des Lebens“ folgt und das Leven voll auskostel, bis der Tod
sie mitten in dem Daseinsrausch ereilt. Diese sehr schwere
Episodenrolle wurde von Frl. Schilowskaja mit großer Lebens¬
wahrheit verkörpert, was um so anertennenswerter ist, als die
Darstellungen kränkelnder Personen zu den unerquicklichsten
und undankbaren schauspielerischen Aufgaben gehören. Dieselbe
Anerkennung verdient Herr Michailow für die schwere Dur¬
stellung des totkrunken, nach Leben verlangenden alten
Mannes. Doch wäre ihm noch größere kunstlerische Reserve
anzuraten, damit die unerquicklichen, patholooischen Momenten
nicht so kraß wirken. W. F. Kommissarsyewskaja ver¬
körperte mit gewohnter künstlerischer Vollendung die Gestalt
des in glühender Lebenssehnsucht nach Befreiung ringenden
jungen Mädchens. Vortrefflich war Herr Brawitsch in der
Rolle des lebenserfahrenen, menschenkundigen Arztes. Seinen
mit warmer Empfindung gesprochenen Worten verdankt der
Schluß des Dramas zum großen Teil seine Wirkung, das
schöne Ausklingen der Lebensakkorde. Die übrigen Rollen sind
Nebenfiguren, von denen die Rolle des jungen Offiziers, der
im Verlauf des Dramas so kurze, aber inhaltreiche Levens¬
stunden zu durchleben hat, von dem Darueller Herrn Ljubosch
mit wenigen Strichen gut gezeichnet wird.
A. Stürzwage.
Telephon 12801.
29
„UBSCHVER
I. österr. behördl. Konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Corsordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest. Chicago, (#isuania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
DIE ZEIT, WIEN
vom:
—
t Schnitzlers „Ruf des Lebens“ in Peters¬
burg.
ißt uns aus Petersburg,
119. d.: Das neueste Werk von Artur Schnitz¬
ler, „Der Ruf des Lebens“, dessen
Berliner Premiere dieser Tage stattfindet.
torher schon im hiesigen Dramatischen Theater.
in der russischen Uebertragung von P. Swies.“
ditsch und A. Tesi mit einem sehr starken Erfolg¬
W
aufgeführt worden. Die Darstellerin der
Hauptrolle, Frau Kommissarschewska,
hat das neue Werk von Schnitzler in das
Repertoire ihrer Tournée, die sie durch ganz
Rußland führen wird. aufgenommen.
Telephon 12801.
„OBSERVER“
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Aussohnitte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicage, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quallenang be #ine Gewähr.)
Auschmit aubloues Wiener lournal
vom —2 S. 1200
Artur Schnitzlers neuestes Werk „Der Ruf
des Lebens“ist###re#s vor seiner Freitag im Berliner
Lessing=Theater stattfindenden ersten deutschen Aufführung in einer
russischen Uebersetzung von P. Swiewditsch und A. Tesi
im Dramatischen Theater in Petersburg unter starkem Beifall in
Szene gegangen.
S. Zuege
M####g,
Theater und Musik.
Dramatisches Theater. (Direktion: W. F. Kommissar¬
sshewskoja) Am 6. Februar: „Kpüks knaun“ (Der Ru#¬
des Levens), Drama in 3 Alten von A. Schnitzler, übersetz
von P. Swesditsch und A. Tesi. — Das Lebensdrama, da¬
uns Schnitzter hier in künstlerisch wirksamer Stimmungsmalere
schildert, macht in seiner Gesamtheit genommen einen ungleichen
Eindruck. Der B ginn des ersten und der Schluß des letzten
Akts sind die Gianzpunkte des Dramas: erst das detaillie##te, in
sorgsam naturgetteuen Nüancen gehaltene Bild eines traurigen
Fomilienlebens, die Alltagstragik, wie sie sich in engstem Raum
in der Stille kleiner Verhältnisse abspielt, dann im letzten Akt
die wehmutige, aber abgeklärte Anschauung des Lebens. Das
sind die schonsten Partien des Dramas. Die Mitte jedoch, be¬
sonders der zweite Akt, enthält trotz seiner dramatisch sehr wir
kungsvollen Szenen viel theatralisch Gekunsteltes, absichtlich auf
den äußeren Eisekt Zugespitztes. Das Lebensverlangen, der
„Lebenshunger“, der das eben erst ins wahre Leben blickende
Mädchen und den sterbenden alten Mann mit gleicher Sehnsucht
#festhält, — bildet die Grundidee des Dramas. Mit dem krassen
Egoismus des durch sein Leiden verbitterten Kranken fesselt der
alte Mann, der täglich mit dem Tode ringende Rittmeister a. D.
Mosher seine Tochter an sein Krankenzimmer. Sie verkummert
an der Seite des griesgrämigen Vaters, der sie nicht von seiner
Seite lassen will. Das junge Mädchen verzehrt sich in Lebens¬
sehnsucht. Aber auch in der Seele des krankelnden alten Mannes
ist noch der Lebenshunger mächtig. In diesem Antagonismus
ist der bramatische Konstilt gegeben, und die Erklarung des
Dramentnels — „Der Ruf des Lebens“. Die Lebensseynsucht
wird in der Seele des jungen Mädchens übermächtig, der Schrei
nach dem Leben ertönt so iaut, so gebieterisch in ihrem Innern,
daß sie alle Rücksicht vergißt und nur dem Rufe des Lebens
olge. Bei einem erneuten Ausbruch des egoistischen Lebens¬
hungers des Sterbenden, läß, sie sich zu einem Verbrechen hinreißen:
in ihrer Hand liegt es, aus ein m Flaschchen mit einem Schlaftrunk
eine töblich wirkende Dosis dem Kranken zu reichen... Nach
vollbrachter Tat flieht sie hinaus aus dem Sterbezimmer, der
Lebenshoffftung entgegen. Bittere Entläuschung bietet ihr
der erile, heißverlangende Blick ins Leben. Aber sie ist dem
Rufe des Leyens“ gesolgt und kennt keine Reue ... Die welt¬
liche Justiz hätte die Verbrecherin gerichtet, aber eine höhere
Weltanschauung, die in der Person eines Arztes, eines Mannes
mit reiser, durch Leiden abgeklärter Lebenserfahrung, verkörpert
wird, spricht die Sünderin frei. Das ist die krasse „Moral“
des Lebensdramas, wenn man in einem Kunstwerk überhaupt
mit biegerlichen Moralbegriffen rechner darf und nicht mit der
bloße Schi derung des Lebens, wie es sich dem Künstlerange
bietet und sich im Kunstwerk spiegelt. Ein Kunstwerk ist aber
das Drama Schnitzlers in allen seinen Teilen, auch da noch,
wo es um der Bühnenwirksamkeit, willen in den künstle¬
rischen Mitteln nicht sehr wahlerisch ist: in der Episode, die
die Lebensmomente eines Offiziers schildert, der in Kampf 1.d
sicheren Tod hinausziehen muß. Denn das Regiment, dem er
angehört, hat sich dem Tode geweiht, als Suhne für die
Schmach, die einst — vor dreißig Jahren — dasselbe Regiment
auf sich geladen hat. als es vor dem Feinde die Flucht ergriff.
Diese Episode wird sehr #eschickt mit der Haupthandlung ver¬
voben. Der Rittmeister, der damals an der Spitze seiner
Schwadron in jähem Schrecken das Zeichen zur Flucht gab, in
der sterbende alte Mann, dessen letzte Lebensstunden der erste
Akt schildert. Und der junge Offizier, der in den sicheren Tod
gehen muß, ist es, der die Lebens= und Liebeshoffnung des
jungen Mädchens verkörpert. Aufdringlich störend inmiten der
sein nüancierten Stimmungsmalerei wirken in dieser Episode
die theatralischen Szenen, die sich aus der Eifersucht des Regi¬
mentsobersten ergeben, der seine Ingetreue Gattin erschießt.
Das fällt aus dem Rahmen des Stückes heraus. Ebenso er¬
scheint die Figur des Forstadjuntien Eduard Rainer, der das
junge Mädchen ohne Gegenliebe liebt, etwas hölzern. Oder ist
es die Schuld des Darstellers, Herrn Feona, der die ganze
Zeit eine zu steife Haltung bewahrt? Noch eine kleine
Episode wird in die dramatische Handlung verflochten:
die Lebenssehnsucht eines schwindjüchtigen jungen Mädchens,
die in den wenigen, letzten Tagen ihres Daseins dem „Rufe
des Lebens“ folgt und das Leven voll auskostel, bis der Tod
sie mitten in dem Daseinsrausch ereilt. Diese sehr schwere
Episodenrolle wurde von Frl. Schilowskaja mit großer Lebens¬
wahrheit verkörpert, was um so anertennenswerter ist, als die
Darstellungen kränkelnder Personen zu den unerquicklichsten
und undankbaren schauspielerischen Aufgaben gehören. Dieselbe
Anerkennung verdient Herr Michailow für die schwere Dur¬
stellung des totkrunken, nach Leben verlangenden alten
Mannes. Doch wäre ihm noch größere kunstlerische Reserve
anzuraten, damit die unerquicklichen, patholooischen Momenten
nicht so kraß wirken. W. F. Kommissarsyewskaja ver¬
körperte mit gewohnter künstlerischer Vollendung die Gestalt
des in glühender Lebenssehnsucht nach Befreiung ringenden
jungen Mädchens. Vortrefflich war Herr Brawitsch in der
Rolle des lebenserfahrenen, menschenkundigen Arztes. Seinen
mit warmer Empfindung gesprochenen Worten verdankt der
Schluß des Dramas zum großen Teil seine Wirkung, das
schöne Ausklingen der Lebensakkorde. Die übrigen Rollen sind
Nebenfiguren, von denen die Rolle des jungen Offiziers, der
im Verlauf des Dramas so kurze, aber inhaltreiche Levens¬
stunden zu durchleben hat, von dem Darueller Herrn Ljubosch
mit wenigen Strichen gut gezeichnet wird.
A. Stürzwage.
Telephon 12801.
29
„UBSCHVER
I. österr. behördl. Konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Corsordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest. Chicago, (#isuania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
DIE ZEIT, WIEN
vom:
—
t Schnitzlers „Ruf des Lebens“ in Peters¬
burg.
ißt uns aus Petersburg,
119. d.: Das neueste Werk von Artur Schnitz¬
ler, „Der Ruf des Lebens“, dessen
Berliner Premiere dieser Tage stattfindet.
torher schon im hiesigen Dramatischen Theater.
in der russischen Uebertragung von P. Swies.“
ditsch und A. Tesi mit einem sehr starken Erfolg¬
W
aufgeführt worden. Die Darstellerin der
Hauptrolle, Frau Kommissarschewska,
hat das neue Werk von Schnitzler in das
Repertoire ihrer Tournée, die sie durch ganz
Rußland führen wird. aufgenommen.
Telephon 12801.
„OBSERVER“
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Aussohnitte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicage, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quallenang be #ine Gewähr.)
Auschmit aubloues Wiener lournal
vom —2 S. 1200
Artur Schnitzlers neuestes Werk „Der Ruf
des Lebens“ist###re#s vor seiner Freitag im Berliner
Lessing=Theater stattfindenden ersten deutschen Aufführung in einer
russischen Uebersetzung von P. Swiewditsch und A. Tesi
im Dramatischen Theater in Petersburg unter starkem Beifall in
Szene gegangen.