II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 240

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Mittwoch ging er wie gewöhnlich elastischen Schrittes
malt
zu. Wer
schnurstracks auf die Direktionsloge
„Bitte,
sein Entsetzen? Die Loge ist geschlossen.
öffnen Sie“, sagt er dem Billetteur. „Der Herr Direktor hat
den Schlüssel bei sich und ist — abgereist.“ Was tat der Autor,
um keine Aufführung seines Stückes zu versäumen. Er eilte
san die Kasse und bat um ein anderes Billett. „Der Herr
Sekretär muß es anweisen, ich darf keine Karte ausfolgen,“
bemerkt der Kassier. Und so mußte der gute Autor seinen Sitz
auf der letzten Galerie, wo er ganz eingekeilt war, voll bezahlen.
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Er hat sich an diesem Abend grün und gelb geärgert. Denn die
Schauspieler, die ihn nicht in der Direktionsloge sahen, glaubten
„USSEIVER
natürlich, er sei auch nicht im Theater. Sie atmeten erleichtert
1österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnltte
auf und ließen sich endlich gehen. So „schlampert“ hatten sie noch
Wien, I., Concordiaplatz 4.
an keinem Abend gespielt!
Man kann sich auf nichts mehr verlassen, nicht einmal auf
Vertretungen
den Aberglauben. Ein weiblicher Star, dem nicht weniger als
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
drei glückbringende Rauchfangkehrer begegnet waren, als er zur
nagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom. San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
Generalprobe ins Theater eilte, erklärte freudestrahlend: „Das
(Quellenangabe ohne Gewähr).
o Eva! — das Stück fiel
Stück muß Erfolg haben.“ Und
trotzdem durch! Nun schwört die Schwerenttäuschte nicht mehr
Ausschnitt aus
auf die sonst so beliebte Rauchsangkehrergilde, die sonst immer
Lotteastk iSes
Angenehmes in Aussicht zu stellen pflegt. Sie wird sich nächstens
Hauas Wiener lournal
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mehr an die Hufeisen halten, die sie mit emsigem Fleiße sammelt.

Manchmal ist der Aberglaube aber beim Theater doch zu etwas
gut. Das beweist folgendes Geschichtchen:
Theater und Kunst.
Alerander Girardi hat eine Konferenz mit einem vater¬
ländischen Dichter, der ihm eine Rolle nach Maß zu verfertigen
Hinter den Kulissen.
hat und gerade zur letzten „Anprobe“ kommt. Das Stück sitzt im
Der sensationelle

Die Schnitzler=Woche.
ganzen und großen sehr gut, nur im dritten Akt wirft es noch
(Der Ruf des Lebens.
Warum das Burgtheater um seine Schnitzler=Premiere
Vorverkauf.
Falten. Aber der Stoff ist haltbar für eine Saison, echte
kam. — Die zweite Fassung. — Die Kritik Brahms. — Die Selbstkritil
senglische Ware — denn die Grundidee ist von Dickens!
* Das Publikum. — Der zufriedene Antor. — Ein auf¬
des Dichters.
Girardi macht seine kleinen Einwände, die sehr zutreffend sind
merksamer Zuschauer. — Der Kontrollor in der Loge. — Ausgesperrt.
Wie man zu Freikarten kommt. —
und dem vaterländischen Autor auch einleuchten. „Ich mache die
— Der trügerische Aberglaube.

Das mysteriöse Dekret.
Der vorurteilslose Burgtheaterdirektor.
Geschichte heute abend fertig", sagt er. „Für morgen lade ich
Du mußt es zweimal sagen! — Wer hat recht? — Ein Erfolg, auf
mich dann bei Ihnen zum Essen ein und lese Ihnen die
den man draufzahlt.)
Aenderungen vor.“
Eine Schnitzler=Premiere ist immer ein Ereignis. Sogar
„Pardon“ — erwidert Girardi — „ich lade nie einen
wenn es eine Premiere aus zweiter oder dritter Hand ist. Be¬
Autor vor der Premiere zum Essen ein, da bin ich sehr aber¬
scheiden wie wir sind, nehmen wir auch das dankbar hin. Die
wie viel Geld ich
gläubisch! Und Sie haben keine Ahnung¬
große Nummer wird vom Deutschen Volkstheater abgezogen.
da erspar.“
Große Ereignisse werfen ihren Vorverkauf voraus, und weil man
Auch ein anderer Fall aus der vorigen Woche zeigt die
immer von Theatermüdigkeit spricht, ist es nicht uninteressant, daß
praktische Seite des Aberglaubens. Ein Herr, der so reich ist,
gleich die ersten beiden Vorstellungen schon seit voriger Woche
daß es ihm die Mittel erlauben, in die Theater Freikarten zus
ausverkauft sind. Was „ausverkauft“ heißt, können eigentlich
bekommen, behauptete in Gesellschaft eines Theaterdirektors:
nur Direktoren ermessen, besonders zur Zeit vor Weihnachten, wo
„Wenn ich bei einer Premiere bin, hat das Stück immers
man die Leute nicht einmal mit Freikarten, sondern nur noch
Erfolg. Es ist merkwürdig, ich war noch nie bei einem
mit Gewalt ins Theater schleppen muß.
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Durchfall.“
Ein neuer Schnitzler ist sonst eine Burgtheaterangelegenheit.
Der Direktor erhob sich, ging auf den Herrn zu und
Aber Herr Schlenther hat eben Pech. Das Werk, das ihm der
sprach also:
Dichter versprochen hat, wird einer Umarbeitung unterzogen, die
„Sie sind mein Mann. Sie bekommen zu jeder meiner
noch eine Weile dauern kann. Die Sache war so lang wie der
Premieren zwei Karten zugeschickt.“
„Don Karlos“ geraten; man rechnete mit einer Spieldauer von
Der abergläubische Direktor war dem „Freikartenschwindler“
sieben Stunden. Das mußte man sich überlegen. Herr Schnitzler
einfach aufgesessen. Er sadte ihm seit vorigem Jahre auf seins
sah das ein und zog das Stück zurück. Er wird es nun neu
gestalten und man tröstet sich mit der Aussicht, daß „Der Herr glückliches Gesicht hin immer die zugesagten Premierenkarten. Biss
Medardus“ in der nächsten Saison zur Aufführung kommt. Am vor vier Wochen ein Stück in seinem Theater durchfiel. Ders
unglücklichsten ist darüber sicher Herr Korff, dem die Titelrolle Direktor sah durch das Guckloch, ob sein Vertrauensmann untend
zufallen sollte. Ihn hätten selbst die sieben Stunden nicht sitze. Strahlend saß das Wahrzeichen da und trotzdem war der#
geniert. Während aber das Burgtheater sich solchermaßen Abend unglücklich. Der Direktor stellte daraufhin sofort die Frei¬
in Geduld zu fassen hat, bringt das Volkstheater sein karten ein. Auch die nächste Premiere fiel durch. Nun schriebt
Schnitzler=Stück heraus. Freilich, eine richtige Uraufführung ihm der Freikartler einen Brief, worin er betonte: „Sehen Sie,
ist es nicht. „Der Ruf des Lebens“ ist schon vor Jahren in lieber Direktor, seitdem ich nicht mehr in Ihr Theater gehe, fallend
Berlin gespielt worden, und während der eine Teil des Stückes alle Ihre Stücke durch.“ Und nun hat der gute Mann wieder#
seine Freikarten!
eine tiefe Wirkung übte, ließ der andere Teil aus. Bei der
Nicht jeder Theaterdirektor ist abergläubisch. Herr Hofrati
Generalprobe spielte sich damals eine hübsche Szene ab. Direktor
Schlenther zum Beispiel macht eine Ausnahme. Im Burgtheater
Brahm trat auf Schnitzler zu und sagte:
sprachen sie neulich darüber und ein besonders boshafter Mann
„Lieber Doktor, ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß Ihr
charakterisierte den Chef wie folgt: „Der Direktor glaubt nicht an
Stück starke Konstruktionsfehler har!“
Rauchfangkehrer, er sammelt keine Hufeisen, er nimmt schlechte
Schnitzler zuckte die Achsel „Aber, lieber Direktor, das
weiß ich ja selbst schon lange, aber — vielleicht merkt es das Stücke auch am Dreizehnten an und refüsiert gute auch an einem
Freitag. Aber daß er an eine Blütezeit des Burgtheaters unter
das ist doch ein
Publikum gar nicht!“
Auf das Publikum war aber kein Verlaß. Es merktes seinem Regime glauben will
Aberglaube!“
trotzdem, und Schnitzler erkannte mit kritischem Blick die Fehler,
Wenn sie im Burgtheater nicht gerade vom Direktor sprechen,
setzte sich hin und änderte sein Werk in wesent ichen Teilen um.
unterhalten sie sich darüber, ob Frau Senders und Frau Wittels
Bloß den ersten Akt ließ er ganz unberührt. Direktor Weisse griff
mit beiden Händen zu. Aber die neue Fassung sollte noch vorherldas Dekret als Hofschauspielerinnen erhalten werden. Die Ge¬
erprobt werden. Das Stück wanderte also nach Prag, wo es im schichte geht nämlich nicht so glatt und irgendwo ist ein Haken.“
Deutschen Landestheater seine Renaissance erlebte. Nun kommt Direktor Schleuther ist jedenfalls bemüht, ihnen das Dekret durch¬
Wien als dritte Station. Man hat im Deutschen Volkstheater zusetzen. Er hatte schon im Vorjahre einen Antrag bei der
alle Mühe und Liebe auf die Novität verwendet, und der Intendanz gestellt, aber merkwürdigerweise kam ein ablehnender
Dichter beteiligte sich mit Eifer an den Vorbereitungen. Er wird Bescheid zurück. Nun hat Herr Schlenther den Antrag wiederholt,