II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 253

Sie.
Wege das Paar. Und er knallt die Frau kaut##
Offenbar schwebte ihm die Idee vor, die Ent¬
Blutes nieder. Dieses war der zweite Todesfall.
fühnung eines Vatermordes dritthalb tausend Jahre
Mit den Worten: „Nehmen Sie den
nach den antiken Tragikern zu zeigen, aber er
verläßt der Rächer den
Mord auf sich,“
vergaß, daß zu solcher Fleckputzarbeit die Götter ge¬
Schauplatz der Tat. Der zurückgebliebene
thören, die längst nicht mehr herniedersteigen.
Offizier will gerade die Pistole an die eigene Brust
Das Stück spielt um die Mitte des vorigen
setzen, als Marie hervortritt. Trotzdem sie Ohren¬
Jahrhunderts in Wien. Es setzt mit einer wunder¬
zeugin von den Leidenschaftsausbrüchen der Frau
lichen Legende ein. Das Regiment der blauen
Oberst war, trotzdem sie von dem Leichnam des
Kürassiere, das dreißig Jahre vorher vor dem
gemordeten Vaters kommt, und trotzdem sie
Feinde die Flucht ergriff, zieht jetzt zur Sühne dem
auf den Leichnam der erschossenen Nebenbuhlerin
sicheren Tode entgegen. Die Mannschaft hat den
stößt, vergeht ihr doch nicht der Appetit auf Liebe!
Schwur geleistet, sich auf eine Schlachtstätte zu
Denn sie ist schon 26 Jahre alt und hat noch nichts
stellen, von der es keine Wiederkehr gibt. Sämtliche
für die Unsterblichkeit des Menschengeschlechtes
Krieger, vom Gemeinen aufwärts, huldigen
getan! Der junge Krieger läßt die kalte Lö¬¬
enthusiastisch diesem Sühngedanken. Sie alle sind
brecherin im Zimmer liegen und geht mit Marie
unschuldig an der Schmach ihrer Vorläufer, von
fort, um ihre so dringende Angelegenheit außer¬
denen nur noch einer am Leben ist, aber sie reden sich
halb der Anstalt in Ordnung zu bringen. Dann
trotzdem in eine wahre Verserkerbegeisterung hinein,
kommt er zurück und erschießt sich bei geschlossenem
als ob es gar so süß wäre, für fremde Schuld dem
Vorhang. Dieses war der dritte Todesfall.
Vaterlande wegzusterben!
Im letzten Akt säuselt ein sanfter lyrischer
Das ist ein schöner Sagenstoff, geeignet für
Wind. Base Katharina, die sich monatelang auf
eine aus alten romantischen Tagen schmetternde
dem Felde der Unehre herumgetrieben, kommt zu
Ballade, aber nicht für das flutende Leben einer
Muttern heim, um wie Ophelia holdwahnsinnig zu
Zeit, von der uns nur ein halbes Jayrhundert
sprechen und wie die Kameliendame zu
sterben.
trennt. In das Licht der Wirtlichteit gerückt,
Diees war der vierte Todesfall. Dazu kommen noch
kracht die Fabel in den Fugen und mit ihr alles,
weitere 998 Todesfälle, denn das ganze Kürassier¬
was drum und dran hängt.
Regiment, abzüglich des bereits durch Selbstmord
Man lernt nie aus beim Theater. Ich hätte
umgekommenen Leutnants und eines durch Zufall
nicht geglaubt, daß der „Ruf des Lebens“ den
am Leben gebliebenen Kameraden, ist getreu dem
Erfolg haben werde, den er gestern tatsächlich er¬
Schwure in der Schlacht gefallen. Aus Schande
zielte. Der erste meisterhaft geführte Akt mußte
darüber, daß er dem Tode entging, brachte auch
freilich gefallen, wenn auch die Schlußszene nicht
der letzte Ueberlebende, sich selber um. Und was
nach jedermanns Geschmack ist. Was aber dann an
geschah mit Marie, der Vatermörderin?
Die
romanhaften Begebenheiten und knallender Theatralik
wollte sich dem Gerichte stellen, aber der liebende Haus¬
ge.eistel wird, hätte nicht verdient, so beifällig
arzt sagte wissentlich falsch aus, daß der alte Mann
aufgenommen zu werden. Ein Glück für Artur
eines natürlichen Todes gestorben ist. Und so geht
Schnitzler, daß er der Artur Schnitzler ist, denn
die Sünderin frei herum und wird von dem
einem minder beliebten Dramatiker wär es kaum
gütigen Doktor noch mit der Aussicht auf einen
so gut ergangen. Das vielverschriene Premieren¬
Platz an der Sonne getröstet, wenn sie den Ruf des
publikum hat also doch noch Respekt vor seinen
Lebens einmal reiner und tiefer ersassen sollte. Eine
Tichtern. Und das ist das Er#reuliche an dem
Vatermörderin, die, statt von dem Schwurgerichte,
gestrigen Abend.
von ihrem Hausarzt freigesprochen wird, will mir
Die Wiedergabe des Inhalts macht mir
nicht in den Sinn. Vielleicht heiratet noch der gute
weniger Freude. Ich erzähle wie folgt: Mit
Mann die Dame, die sich selbst zur Waise machte!
zwei Leutnants des todgeweihten Regiments
Ich gönne sie ihm. Und dabei war der Vatermord
haben in einer Faschingsnacht Christine und
nicht einmal eine dramatische Notwendigkeit, denn
die Schlager=Mizzi
sie heißen jetzt Marie
zur Einschläferung des Alten hätten zehn Tropfen
und Katharina
ein Tänzchen gewagt. Es war,
genügt. Warum mußte sein Schlaf just ein ewiger
wie wir sehen werden, eine verhängnisvolle
sein?
Faschingsnacht. Marie muß Tag und Nacht ihren
Mit starkem künstlerischen Empfinden
79jährigen kranken und boshaften Vater pflegen.
milderte Fräulein Hannemann den Charakter
In seiner namenlosen Angst vor dem Tode läßt
der Heldin. Am besten gefielen mir ihre ein¬
er die Tochter nicht aus dem Hause, ja er bereut es
dringlichen Anklagen im ersten Akte. Sehr realistisch
tief, daß er ihr jene eine Nacht freigab. Seit
spielte Fräulein Müller das verlorene Tuberkel=
damals ist Marie wie ausgewechselt, aus dem füßen
wurde ein bitteres Mädel. Sie denkt nur an den
kind. Sie durfte nicht, wie im Buche, auf offene#
Offizier, weist die Bewerbung eines Ifflandschen
Szene sterben, umso ausführlicher traf sie alle Vor
Forstadjunkten schroff zurück und begegnet auch der
bereitungen dazu. Herr Kramer gab den
heimlichen Neigung des Hansarztes mit eisiger Kälte.
Leutnant, der so viel Unglück im Glück bei Frauen
Nun zieht das Regiment in den Tod,
hat, sehr effektvoll. Alle Weiberherzen flogen ihm zu.
ohne daß sie einen warmen Bissen Kürassier zu sich
In Hermn Homma sah man den Vater. Er
genommen hätte! Da war ihre Base, die tuber¬
spielte diese unheimlich lebenswahre Figur mit
kulose Katharina, viel courragierter. Die hat schon viel
ihem Egoismus des Alters und der Krankheit so
frühet ihre Jungfräulichkeit dem Offizier ihrer Wahl ge¬
echt, wie sie erdacht ist. Der Hausarzt, der den Ruf
opfert, was sie mit freudigem Stolz der Marie
des Lebens zuerst anschlägt und die Weisheit des
serzählt. Auch auf diese stürmt der Ruf des Lebens
alten Musikus in der „Liebelei“ fortspinnt, war bei
ein, sie will nur eine Nacht ihren Hunger nach
Herrn Kutschera bestens geborgen. Fräulein
Liebe stillen. Ihr Haß gegen den väterlichen
Marberg lieh der Ehebrecherin ihre wohl¬
Tyrannen lodert umso heftiger auf, als sie ver¬
temperierte Leidenschaft.
In kleineren Rollen
nimmt, daß in seiner Rittmeisterzeit er selbst es war,
zeichneten sich Frau Thaller und Herr Klitsch aus.
der als erster die Flucht des Regiments veranlaßt
Herr Direktor Weisse als Schichsalsvollstrecker
hat. Die Tochter will entsetzt zu ihrem Liebsten
war vielen nicht dämonisch genug. Ich möchte den
fliehen, aber der Vater, den sie erwürgen möchte in
Schauspieler sehen, der den Eindruck des
ihrer Qual, stellt sich ihr in den Weg. Er sperrt
Dämonischen hervorrufen könnte, wenn er dabei
das Zimmer ab und läßt sie nicht heraus. Da
durch das Fenster steigen muß. Schnitzler machte
schüttet Marie statt zehn Tropfen eines Schlaf¬
sich's bequemer, er kam, stürmisch gerufen, durch die
mittels den ganzen Inhalt des Fläschchens ins
Türe.
Wasser und vergistet den Vater vor den Augen des
Publikums. Dieses war der erste Todesfall.
Die Rabentochter, die den Vater tötet, auf
daß sie kurz lebe auf Erden mit einem blauen
Kürassier, läßt den Leichnam ihres Urhebers liegen,
und eilt spornstreichs in die Kaserne. Dort steht der
Oberst am Fenster des von Marie geliebten Leutnants,
frische Luft und Verdacht schöpfend. Die Frau
Oberst hat nämlich ein Verhältnis mit einem
von
den Blauen, ohne daß der Gatte weiß,
mit
welchem. Wir aber wissen, daß es Mariens Herz¬
liebster ist. Der Leutnant sucht den Argwohn seines
Vorgesetzten zu beseitigen.
Der Eine spricht
zum Fenster herein, der Andere zum Fenster hinaus.
während die Uhr ¾ auf Tod steht. Das düstere
Frag= und Antworspiel wäre besser im Zimmer