hermetisch im Dunstkreis seines Sterbebettes eingeschlossen
halten will, ein Aufschrei des brünstigen, heißen Jugendblutes.
Man könnte hier das Schlagwort vom „Schrei nach dem Kinde“
gelten lassen. Er ist bei der Cousine der Marie, bei der schwind¬
süchtigen, neunzehnjährigen Katharina, die weiß, daß sie ebenso
wie ihre Schwestern mit zweiundzwanzig Jahren im Grabe liegen
wird, die verzweifelte Furcht, daß auch nur eine Glückesstunde
der kurzen Frist ungenossen entschlüpfen könnte, weshalb sie von
Mann zu Mann hastet. Er ist es, der die Off
ziere der blauen Kürassiere bedrängt und verwirrt, die in
den sicheren Schlachtentod reiten, um die Schmach von den
Standarten ihres Regiments zu tilgen. Der Titel des Stückes,
von symbolistischen Absichten weit entfernt, erhält demnach für
jedes Einzelschicksal seinen besonderen Sinn, er zielt nicht nach einem
Kernpunkt des Schauspiels, sondern entspringt einem Spiel der
Geschicklichkeit, die der Autor benötigt, der für mehrere Einakter
einen Generaltitel erklügelt. Ist dergleichen jedoch bei einem
Stück erforderlich, dann offenbart sich hiedurch, daß novellistische
Elemente zusammengefangen werden sollen, die jedoch dann im
hellen, heißen Bühnenlichte fast immer zu ihrem eigenen Leben
erwachen und auseinanderstreben. Das ist denn auch gestern
wieder mit zu erwartender Pünktlichkeit eingetroffen.
Der ersie Akt, vom Autor, dem Regisseur und der Dar¬
stellung wundervoll abgetönt, fand durch das einträchtige Zu¬
sammenwirken dieser drei Künste eine glänzende Wirkung. Bis
zur Schlußszene. Marie schüttet eine Arznei, die den „Schlaf von
hundert Nächten“ enthält, in das Glas, das sie dem Kranken
reicht, der ihr die „Tür ins Freie“ versperrt hat. Sie ver¬
giftet vorsätzlich und nicht einmal im Augenblick eines aufs
höchste gesteigerten Affekts, den eigenen Vater, um dem geliebten
Kürassierleutnant Max (Herr Kramer) die Nacht vor dem Ausmarsch
des dem Tod geweihten Regiments zu schenken. Dieser Aktschluß ver¬
stimmte einen Teil des Publikums. In der Novelle ließe sich das
Verbrechen der Tochter wohl psychologisch erklären. Auf der Bühne
erscheint es als unnatürlich und im höchsten Grade verabscheuens¬
würdig, denn es ist auch für die höchste Darstellungskunst, die
nicht nur von Fräulein Hannemann, sondern auch von Herrn Homma
geboten wurde, eine unerreichbare Aufgabe, in der Zeitspanne
einer halben Stunde eine stumm Duldende, sich völlig Selbst¬
aufopfernde glaubhaft in eine Giftmischerin umzuwandeln.
Der gebotene Respekt vor dem, was Artur Schnitzler bisher
schon Gutes geschaffen, untersagt es, den zweiten Akt, seinen
Inhalt, sowie die kleckshafte Malerei der knallenden Szenen, mit
den kräftigen Ausdrücken zu bedenken, die ihm gebühren würden.
Marie kommt in die Kaserne, in das Zimmer ihres Leutnants
geschlichen. Sie versteckt sich vor der jungen Frau des alten
Obersten, die auch zu einer Abschiedsschäferstunde nächtlich ein¬
dringt. Der Oberst springt durchs Gangfenster in die Stube und
schießt seine Frau nieder, worauf er den Leutnant ersucht, da er selbst.
ich einige sehr dringliche Dienstesverrichtungen zu besorgen hat,
den Mord vorläufig auf sich zu nehmen. Der Doctor mediciae
Schnitzler kennt keine Gnade; was er sinnt, ist Schrecken, und
was er blickt, ist Wat, und was er spricht, ist Geißel, und was
er schreibt, ist Blut. Das Publikum bereitete dem Wüterich und
seinen schauspielerischen Helfershelfern förmliche Ovationen. Die
große Gefahr des Abends war vorüber.
Was folgt, ist kein Akt mehr, das sind Soupergespräche
nach der eigentlichen Vorstellung, die zufälligerweise nicht von
den Premierenbesuchern im Gasthause, sondern überflüssigerweise
von den Darstellern auf der Bühne gehalten werden. Der Autor
kann uns bei aller Geschicklichkeit dadurch nicht irreführen, daß er
die Reden in sogenannter poetischer Prosa führen läßt, die man
seinerzeit, da im Café Größenwahn die Klassiker demoliert wurden,
beim Absynth als rhetorischen Schwulst belächelte und die sich
jetzt, Anno Neunzehnhundertneun, doch mit Leichtigkeit zum ver¬
Dramatisch
gibt
spotteten Blankvers abteilen ließen.
nichts mehr zu erledigen. Das Episodenfigürchen der
es
ihrem Tod die
Katharina muß erscheinen, um mit
Fiktion eines wenn auch noch so kleinen Ereignisses vorzutärschen.
Fräulein Paula Müller, im ersten Akt wirklich gespenstisch=schreck¬
haft, besorgt dies als Ophelia, oder als Stella Hohenfels, oder
als Müller und sein Kind ohne Müller.
Man darf schon sagen, daß die Schauspielkräfte des Volks¬
theaters ein ungewöhnlich schwieriges Hindernisrennen bravourbs
wie die blauen Kürassiere mit heldenhafter Todesverachtung ge¬
ritten haben. Es sind noch besonders die Herren Kutschera,
Weisse und Fürth sowie die Damen Thaller und Marberg zu
nennen.
Dr. Artur Schnitzler mag ihnen dankbar sein. Vielleicht in
Es gibt
höherem Maße dem gestrigen Premierenpublikum.
o. t-h,
soch Dankbarkeit und Freundschaft ...
halten will, ein Aufschrei des brünstigen, heißen Jugendblutes.
Man könnte hier das Schlagwort vom „Schrei nach dem Kinde“
gelten lassen. Er ist bei der Cousine der Marie, bei der schwind¬
süchtigen, neunzehnjährigen Katharina, die weiß, daß sie ebenso
wie ihre Schwestern mit zweiundzwanzig Jahren im Grabe liegen
wird, die verzweifelte Furcht, daß auch nur eine Glückesstunde
der kurzen Frist ungenossen entschlüpfen könnte, weshalb sie von
Mann zu Mann hastet. Er ist es, der die Off
ziere der blauen Kürassiere bedrängt und verwirrt, die in
den sicheren Schlachtentod reiten, um die Schmach von den
Standarten ihres Regiments zu tilgen. Der Titel des Stückes,
von symbolistischen Absichten weit entfernt, erhält demnach für
jedes Einzelschicksal seinen besonderen Sinn, er zielt nicht nach einem
Kernpunkt des Schauspiels, sondern entspringt einem Spiel der
Geschicklichkeit, die der Autor benötigt, der für mehrere Einakter
einen Generaltitel erklügelt. Ist dergleichen jedoch bei einem
Stück erforderlich, dann offenbart sich hiedurch, daß novellistische
Elemente zusammengefangen werden sollen, die jedoch dann im
hellen, heißen Bühnenlichte fast immer zu ihrem eigenen Leben
erwachen und auseinanderstreben. Das ist denn auch gestern
wieder mit zu erwartender Pünktlichkeit eingetroffen.
Der ersie Akt, vom Autor, dem Regisseur und der Dar¬
stellung wundervoll abgetönt, fand durch das einträchtige Zu¬
sammenwirken dieser drei Künste eine glänzende Wirkung. Bis
zur Schlußszene. Marie schüttet eine Arznei, die den „Schlaf von
hundert Nächten“ enthält, in das Glas, das sie dem Kranken
reicht, der ihr die „Tür ins Freie“ versperrt hat. Sie ver¬
giftet vorsätzlich und nicht einmal im Augenblick eines aufs
höchste gesteigerten Affekts, den eigenen Vater, um dem geliebten
Kürassierleutnant Max (Herr Kramer) die Nacht vor dem Ausmarsch
des dem Tod geweihten Regiments zu schenken. Dieser Aktschluß ver¬
stimmte einen Teil des Publikums. In der Novelle ließe sich das
Verbrechen der Tochter wohl psychologisch erklären. Auf der Bühne
erscheint es als unnatürlich und im höchsten Grade verabscheuens¬
würdig, denn es ist auch für die höchste Darstellungskunst, die
nicht nur von Fräulein Hannemann, sondern auch von Herrn Homma
geboten wurde, eine unerreichbare Aufgabe, in der Zeitspanne
einer halben Stunde eine stumm Duldende, sich völlig Selbst¬
aufopfernde glaubhaft in eine Giftmischerin umzuwandeln.
Der gebotene Respekt vor dem, was Artur Schnitzler bisher
schon Gutes geschaffen, untersagt es, den zweiten Akt, seinen
Inhalt, sowie die kleckshafte Malerei der knallenden Szenen, mit
den kräftigen Ausdrücken zu bedenken, die ihm gebühren würden.
Marie kommt in die Kaserne, in das Zimmer ihres Leutnants
geschlichen. Sie versteckt sich vor der jungen Frau des alten
Obersten, die auch zu einer Abschiedsschäferstunde nächtlich ein¬
dringt. Der Oberst springt durchs Gangfenster in die Stube und
schießt seine Frau nieder, worauf er den Leutnant ersucht, da er selbst.
ich einige sehr dringliche Dienstesverrichtungen zu besorgen hat,
den Mord vorläufig auf sich zu nehmen. Der Doctor mediciae
Schnitzler kennt keine Gnade; was er sinnt, ist Schrecken, und
was er blickt, ist Wat, und was er spricht, ist Geißel, und was
er schreibt, ist Blut. Das Publikum bereitete dem Wüterich und
seinen schauspielerischen Helfershelfern förmliche Ovationen. Die
große Gefahr des Abends war vorüber.
Was folgt, ist kein Akt mehr, das sind Soupergespräche
nach der eigentlichen Vorstellung, die zufälligerweise nicht von
den Premierenbesuchern im Gasthause, sondern überflüssigerweise
von den Darstellern auf der Bühne gehalten werden. Der Autor
kann uns bei aller Geschicklichkeit dadurch nicht irreführen, daß er
die Reden in sogenannter poetischer Prosa führen läßt, die man
seinerzeit, da im Café Größenwahn die Klassiker demoliert wurden,
beim Absynth als rhetorischen Schwulst belächelte und die sich
jetzt, Anno Neunzehnhundertneun, doch mit Leichtigkeit zum ver¬
Dramatisch
gibt
spotteten Blankvers abteilen ließen.
nichts mehr zu erledigen. Das Episodenfigürchen der
es
ihrem Tod die
Katharina muß erscheinen, um mit
Fiktion eines wenn auch noch so kleinen Ereignisses vorzutärschen.
Fräulein Paula Müller, im ersten Akt wirklich gespenstisch=schreck¬
haft, besorgt dies als Ophelia, oder als Stella Hohenfels, oder
als Müller und sein Kind ohne Müller.
Man darf schon sagen, daß die Schauspielkräfte des Volks¬
theaters ein ungewöhnlich schwieriges Hindernisrennen bravourbs
wie die blauen Kürassiere mit heldenhafter Todesverachtung ge¬
ritten haben. Es sind noch besonders die Herren Kutschera,
Weisse und Fürth sowie die Damen Thaller und Marberg zu
nennen.
Dr. Artur Schnitzler mag ihnen dankbar sein. Vielleicht in
Es gibt
höherem Maße dem gestrigen Premierenpublikum.
o. t-h,
soch Dankbarkeit und Freundschaft ...