II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 259

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19. Der Ruf des Lebens
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I. östebr. behördl. konz. Unternahmen für Zeitungs-Ausschsltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
nagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York.
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gswähr).
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vom:
Theater und Kunst.
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„Der Ruf des Lebens.“
Im
(Schauspiel in drei Aufzügen von Artur
Deutschen Volkstheater zum erstenmal aufgeführt am 11. Bezember 1909.)
Es gibt noch Dankbarkeit und Freundschaft. Schnitzlers
Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ ist auf seinem Leidens¬
wege in Wien angekommen und hat hier gut bestanden.
Dieses Stück hat das Antlitz eines kranken, einer Zwangsehe
entsprossenen Kindes. Es ist nicht in Künstlerfreuden gezeugt, ist
unter Qualen geboren worden. Sein Vater hat an ihm wieder¬
holt schwere Operationen vorgenommen, aber es lernt nicht
„gehen“, geschweige denn „ziehen“ Man sollte ihm vielleicht
endlich doch die Ruhe in den gesammelten Werken gönnen.
„Der Ruf des Lebens“ ist ein Lesestück. Es gestattet dem
Leser eine Mitarbeiterschaft, die der Zuschauer niemals zu leisten
imstande sein kann. Es ist überreich, nicht an Handlung, wohl
aber an Handlungen, es enthält mehrere Dramen, die sich nur
scheinbar berühren, sich nur scheinbar einer gemeinsamen Entwicklung 1#
zustoßen und die nebeneinander an dem Titel aufgehängt sind,
der, da er aller psychologisches Thema anszusprechen hat,
notwendigerweise vieldeutig sein muß. Denn. „der Ruf des
Lebens“ wird bei dem neunundsiebzigjährigen Rittmeister Moser,
der dem Ruf des Lebens folgend, durch seine Feigheit vor dreißig
Jahren den Verlust einer Schlacht verschuldet, zur Angst vor dem
Ende, dessen Heranschleichen den siechen Greis erregt. Er ist bei
seiner Tochter Marie, die er mit der schrankenlosen Selbstsucht
des Alters und der Krankheit martert und brutalisiert und
hermetisch im Dunstkreis seines Sterbebettes eingeschlossen
halten will, ein Aufschrei des brünstigen, heißen Jugendblutes.
Man könnte hier das Schlagwort vom „Schrei nach dem Kinde“
gelten lassen. Er ist bei der Cousine der Marie, bei der schwind¬
süchtigen, neunzehnjährigen Katharina, die weiß, daß sie ebenso
wie ihre Schwestern mit zweiundzwanzig Jahren im Grabe liegen
wird, die verzweifelte Furcht, daß auch nur eine Glückesstunde
der kurzen Frist ungenossen entschlüpfen könnte, weshalb sie von
Mann zu Mann hastet. Er ist es, der die Offi¬
ziere der blauen Kürassiere bedrängt und verwirrt, die in
den sicheren Schlachtentod reiten, um die Schmach von den
Standarten ihres Regiments zu tilgen. Der Titel des Stückes,
von symbolistischen Absichten weit entfernt, erhält demnach für
jedes Einzelschicksal seinen besonderen Sinn, er zielt nicht nach einem
Kernpunkt des Schauspiels, sondern entspringt einem Spiel der
Geschicklichkeit, die der Autor benötigt, der für mehrere Einatter
einen Generaltitel erklügelt. Ist dergleichen jedoch bei einem
Stück erforderlich, dann offenbart sich hiedurch, daß novellistische
Elemente zusammengefangen werden sollen, die jedoch dann im
hellen, heißen Bühnenlichte fast immer zu ihrem eigenen Leben
erwachen und auseinanderstreben. Das ist denn auch gestern
wieder mit zu erwartender Pünktlichkeit eingetroffen.
Der erste Akt, vom Autor, dem Regisseur und der Dar¬
stellung wundervoll abgetönt, fand durch das einträchtige Zu¬
sammenwirken dieser drei Künste eine glänzende Wirkung. Bis
zur Schlußszene. Marie schüttet eine Arznei, die den „Schlaf pon
hundert Nächten“ enthält, in das Glas, das sie dem Kranken
reicht, der ihr die „Tür ins Freie“ versperrt hat. Sie ver¬
giftet vorsätzlich und nicht einmal im Augenblick eines aufs
höchste gesteigerten Affekts, den eigenen Vater, um dem geliebten
Kürassie utnant Max (Herr Kramer) die Nacht vor dem Ausmarsch
des dem Tod geweihten Regiments zu schenken. Dieser Aktschluß ver¬
stimmte einen Teil des Publikums. In der Novelle ließe sich das