II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 273

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(Quellenangabe ohne Gewähr)
Husschnitt aus:
Salzburger 1
latt
vom:15. 12.1909
Der Ruf des Lebens.
(Schauspiel in drei Aufzügen von Arkur Schnitzler.)
Man muß es der Direktion des Deutschen Volks¬
theaters hecy anrechnen, daß sie ab und zu das Werk
eines deutschen Dichters auf ihre Bühne stellt. Denn
die übrigen bürgerlichen Privatbühnen Wiens pflegen
ja fast nur mehr französische oder slawische Kunst.
Warum auch nicht? Die Deutschen, ohne Unterschied
der Parteizugehörigkeit, finden das in der Ordnung.
Man hai ja jetzt so vor kurzem eine Woche hindurch
Schiller gefeiert und wird ihm in fünfzig Jahren ganz
bestimmt wiederum die gleichen Ehren erweisen.
Inzwischen aber will man sich in der kurzen Spanne
Zeit bis zur nächsten Jubelfeier des deutschen Dichter¬
heros auch ein bißchen an französischen Zoten ver¬
gnügen. Und derartige Vorstellungen stärken das
Nationalbewußtsein im eigene: Volke! Dann gibt es
immerhin ein Burgtheater, das der Tradition gemäß
deutsche Kunst in den Vordergrund stellt. Und es gibt
außerdem noch eine freie Volksbühne, eine Schöpfung
der sozialdemokratischen Partei, die zum Unterschied
von den bürgerlichen Bühnen in fast ausschließlicher
Weise hervorragende Werke germanischer Dichter zur
Aufführung bringt und somit einem bestehenden
n## nalen Kulturbedürfnis Rechnung trägt.
Man muß also dem Deutschen Volkstheater wirk¬
lich dankbar sein, daß es uns aus eigener Initiative
ein Werk des feinsten Wiener Dichters in einer
geradezu meisterhaften Darstellung geboten hat. Der
Ruf des Lebens, dieses eigenartigste Werk Schnitz¬
lees, hat seltsamer Weise in Berlin versagt. Das
Berliner Publikum, das den heimatlosen deutschöster¬
reichischen Dramatikern auf seinen Bühnen jenes
Gastrecht gewährt, das die Deutschen in Oesterreich
in überschwänglichem Maße den französischen und
klawischer autoren einräumt, hat ausnahmsweise den
Ruf des Lebens abgelehnt. Das ereignete sich vor
drei Jahren. Und nun schien das Werk Schnitzlers
für die Bühne verloren zu gehen. Da aber wagte zu
Beginn der Saison Neumann in Prag eine Wieder¬
belebung. Neumanns Ruf als Direktor ist aus der
Kampfzeit Richard Wagners sehr begründet. Er ist
eine der würdigen Ausnahmen unter den deutsch¬
österreichischen Provinzdirektoren — man kann noch
Graz und in jüngster Zeit Salzburg nennen —,
die den Mut besitzen, deutsche Kunst auf deutschen
Bühnen zu pflegen. Neumanns Wiederbelebung des
Schnitzlerschen Werkes war von Erfolg gekrönt. Und
dieser große Erfolg blieb dem Stücke auch bei der
samstägigen Aufführung im Volkstheater treu.
Es spielt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
in Wien. Das Regiment der blauen Kürassiere, das
vor dreißig Jahren durch die Flucht vor dem Feinde
die entscheidende Niederlage verschuldete, will zur
Sühne auf dem Schlachtfelde, auf das es jetzt gerufen
wird, bis auf den letzten Mann bleiben. Die Offiziere
und die ganze Mannschaft geloben dies in einem frei¬
willig gegebenen Schwur. Niemand ahnt, daß noch
ein Ueberlebender jener Schmach existiert. Es ist der
fürchterlichen Lage. Und nun reiten die bleuen
Kürassiere unter den Fenstern der Marie vorüber.
Da verniemt auch sie den Ruf de Lebens. Und als
sie von ihrer Cousine Katharina hört, daß ihr Herz¬
liebster unter den Abziehenden nicht war, daß en erst
morgen früh mit seiner Schwadron dem sicheren Tod
entgegenreitet, gibt es für sie kein Bleiben mehr bei
dem alten Mann, aus dessen Mund sie noch dazu ver¬
nommen, daß er derjenige ist, der den Schwur der
blauen Kürassiere verschuldete. Um sich von dem
Alten zu befreien, der sie zu sich in seinem Zimmer
einsperrt, gießt sie das Fläschchen Gift, das ihr der
Arzt anvertraut hatte, ganz in das Wasserglas aus.
Der Alte trinkt und stirbt. Sie aber eilt vimn der
Leiche weg zu ihrem Liebsten, muß in dessen Woh¬
nung, von einem Vorhang gedeckt, die Liebestragödie
des jungen Offiziers miterleben, muß sehen, wie der
Oberst sein junges Weib niederknallt und ihrem Herz¬
liebsten den Selbstmord aufzwingt. Da stürzt sie in
seine Arme, mit ihm an der Leiche der jungen Frau
vorüber, hinaus in die Nacht, dem stürmischen Ruf
des Lebens gehorchend. Der dritte Akt, dramatisch
der schwächste, aber lyrisch der stimmungsvollste, be¬
steht nur mehr aus Reflexionen. Er konnte dem Er¬
folg der vorausgegangenen Akte keinen Eintrag mehr
tun. Darsteller und Dichter wurden unzähligemale
gerufen. Es steht zu hoffen, daß „der Ruf des Lebens“.
auch in der Provinz erklingt.
g.ist.